Natio / Gens: Abstammung, Herkunft, Volk. Natio abgeleitet nasci (entstehen, geboren werden), gens von gignere (erzeugen, hervorbringen, zeugen, gebären).
Die einander aus semantischer Perspektive nahestehenden Begriffe natio und gens wurden im spätantiken und frühmittelalterlichen Sprachgebrauch oftmals weitgehend synonym verwendet. Beide Begrifflichkeiten wurden in der Zeit der römischen Republik und während der Kaiserzeit häufig dazu verwendet, Bevölkerungsgruppen zu bezeichnen, die aus ethnischer, sozialer, geographischer oder aber politischer Perspektive als nichtrömisch charakterisiert wurden1 Vgl. S. Kocovska-Stevovic, Roman Concept of Natio, S. 8-13; R. Mathisen, Natio, Gens, Provincialis and Civis, S. 279-281. Cicero stellte die nationes dem populus Romanus gegenüber (vgl. Cicero, De re publica I, 39).. Auch in patristischen Schriften besaßen die Termini natio und gens oftmals einen pejorativen Charakter, dienten dort jedoch zur Bezeichnung von Nichtchristen2 Vgl. B. Zientara, Populus. Zur Verwendung von natio und gens im Kontext gegenseitiger Abgrenzung vgl. V. Scior, Das Eigene und das Fremde. Diese Verwendung von natio und gens lässt sich dabei bereits im biblischen Sprachgebrauch beobachten.. Im Gegensatz zu dieser Verwendung von natio und gens wurde mit dem Terminus populus im antiken und frühmittelalterlichen Sprachgebrauch in stärkerem Maße ein durch gemeinsame politische und rechtliche Grundlagen verbundenes Volk bezeichnet3 Diese Bedeutung des Terminus populus lässt sich auf die Ausführungen Ciceros (Cicero, De re publica I, 39) zurückführen. Zur frühmittelalterlichen Rezeption der betreffenden Passage, vgl. O. Zwierlein, Definition von populus in Isidors Etymologiae, S. 123-128.; im übertragenen Sinne konnte populus Christianus in Abgrenzung zu den heidnischen gentes für die auserwählte Gemeinschaft der Christen stehen4 Vgl. S. Patzold, Pater noster.. Doch bereits für den spätantiken Sprachgebrauch lässt sich eine große inhaltliche Breite der Begriffe natio und gens nachweisen. So verstand Isidor von Sevilla darunter eine Gruppe von Personen, die entweder aufgrund eines gemeinsamen Ursprunges oder anderer Kriterien von anderen Gruppen zu differenzieren seien5 Vgl. Isidor, Etymologiae IX, 2, 1. Die Differenzierung verschiedener Völker und Sprachen voneinander wurde in Spätantike und Frühmittelalter auf den Turmbau zu Babel (Gen 11,7-9) zurückgeführt, so etwa beispielsweise bei Frechulf von Lisieux, Chronik I, 28 (PL 106), col. 936C.. Zu diesen eine natio oder gens konstituierenden Merkmalen konnten dabei etwa eine gemeinsame Abstammung, Sprache, Sitten oder Gesetze zählen6 Vgl. Isidor, Etymologiae V,6; IX,2; Beda Venerabilis, De linguis gentium, col. 1179; Hrabanus Maurus, De rerum naturis 16, 1; Regino von Prüm, Chronicon, S. XX. Welche dieser Kriterien im frühmittelalterlichen Sprachgebrauch jeweils genau dazu herangezogen wurden, eine natio oder gens zu bezeichnen7 Vgl. P. Geary, Myth of Nations; fernerhin die Beiträge in S. Airlie/W. Pohl/H. Reimitz, Staat im frühen Mittelalter; W. Pohl/B. Zeller, Sprache und Identität; H. Wolfram/W. Pohl, Typen der Ethnogenese., konnte dabei von Autor zu Autor variieren8 Vgl. H.-W. Goetz, Funktion und Anwendung, S. 14-15; H.-W. Goetz, Gentes et linguae, S. 300..
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