Burgundi: Burgunder.
Nach Orosius (gestorben um 418) leitete sich der Name Burgundi von den sogenannten burgi ab, Kastellen, um welche die Burgundi von Drusus und Tacitus im römischen Grenzgebiet angesiedelt worden seien1 Orosius, Historiarum adversum paganos VII,7,32,11-12. Diese Darstellung wurde auch von Isidor, Etymologiae IX,2,99 übernommen.. Nach Ammianus (gestorben um 395) wussten die Burgunder von alters her, dass sie Nachkommen der Römer seien2 R. Kaiser, Die Burgunder, S. 21. Der Ursprung dieser Legende ist wohl auf die römische Diplomatie zurückzuführen. I. Wood, Gentes, S. 244f.. Aus dem 7. Jahrhundert stammt wiederum die Herkunftserzählung, die Burgunder hätten ihre Ursprünge in Skandinavien gehabt3 Passio Sigismundi 1. Vgl. dazu R. Kaiser, Die Burgunder, S. 22-24, auch für die lange Zeit positive Rezeption dieser Legende durch die Wissenschaft. Zu den Herkunftsvorstellungen der frühmittelalterlichen gentes und der von ihnen verwendeten Topoi vgl. A. Plassmann, Ursprungsvorstellungen.. Die frühesten Erwähnungen von Burgundi finden sich bei Plinius (gestorben 79), Tacitus (gestorben ca. 120) und Ptolemaios4 R. Kaiser, Die Burgunder, S. 15-20. Vgl. hier auch zu den sogenannten östlichen Burgundern, die als Splittergruppen gemeinsam mit den Geten im 4. Jahrhundert an der unteren Donau auftreten.. Von letzterem wurden sie an der mittleren Oder oder Weichsel verortet. Wirklich greifbar werden die Burgundi erst ab ca. 278 in den römischen Quellen, als sie sich zunächst im mainfränkischen Raum niederließen5 D. Neubauer, Das Volk, S. 58f. Vgl. M. Grünewald, Burgunden, S. 134-139 zum Problem, die Burgunden archäologisch nachzuweisen.. Im 5. Jahrhundert wurden die Burgundi nach einer Niederlage6 Die Niederlage und darauffolgende Umsiedlung bildet den Hintergrund für die später entstandene Nibelungensage. Diese Sage ist der einzige Hinweis auf ein Burgunderreich in dieser Zeit im Raum Worms. In der Erinnerung der als Folge der Niederlage in der Sapaudia angesiedelten Burgunder scheinen die Ereignisse keine wesentliche Rolle gespielt zu haben. Vgl. M. Grünewald, Burgunden, insb. S. 128-134; R. Kaiser, Die Burgunder, S. 31-34; I. Wood, Gentes, S. 247-250. Zum historischen Kern der Nibelungensage vgl. E. Bender, Die Burgunden. gegen das römische Heer von den Römern in der Sapaudia (Savoyen) mit Zentrum um Genf angesiedelt und dehnten ihr Herrschaftsgebiet von dort bis Lyon aus7 D. Neubauer, Das Volk, S. 58f.; R. Marti, Von der multikulturellen Gesellschaft, S. 61f.; I. Wood, Roman barbarians, S. 277; I. Wood, Gentes, S. 250-256. Die Ausdehnung des Herrschaftsgebietes erfolgte im Rahmen des römischen Reiches und mit kaiserlicher Autorisierung. So trugen die burgundischen Könige im 5. Jahrhundert den Amtstitel des magister militum Galliarum und den Ehrentitel des patricius. . Das Burgunderreich wurde 534 von den Franken erobert.
Erscheinen die Burgundi in den spätantiken Quellen auch als abgrenzbares Volk (gens), zu dem Personen zugerechnet werden konnten, so darf dies nicht im Sinne einer Abstammungsgemeinschaft verstanden werden. Vielmehr handelte es sich bei den Burgundi, wie auch bei den anderen gentes der Spätantike und des frühen Mittelalters, um flexible Traditionsgemeinschaften, die Außenstehenden die Möglichkeit boten, sich anzudocken und zu integrieren8 W. Pohl, Telling the difference; H.-W. Goetz, Zur Wandlung, S. 133. Zur alten Vorstellung von gentes als sprachlich, ethnisch und kulturell homogener Abstammungsgemeinschaften vgl. F. Dahn, Kampf. Zum modernen Verständnis der Ethnogenese vgl. insb. R. Wenskus, Stammesbildung, sowie die Arbeiten Herwig Wolframs, Walter Pohls und Peter Heathers. Einen Überblick über die Forschungsgeschichte bietet P. Heather, Ethnicity. Für die Burgunder geht dies mit dem Fehlen einer eigenständigen Sachkultur einher. R. Marti, Von der multikulturellen Gesellschaft, S. 63f.. So finden sich für die Burgundi Belege für die Aufnahme unterschiedlicher Gruppen in den Verband, unter anderem etwa auch alanischer Reiternomaden9 R. Marti, Von der multikulturellen Gesellschaft, S. 63f.; I. Wood, Ethnicity, S. 61-63. Auch nach der Ansiedlung in der Sapaudia nahmen die Burgunder weiterhin fremde Personen und Gruppen auf.. Nach ihrer Ansiedlung innerhalb der Reichsgrenzen scheint eine rasche Annäherung an den lokalen Senatsadel stattgefunden zu haben, einhergehend mit der teilweisen Übernahme römischer Sitten durch die burgundischen Eliten10 R. Marti, Von der multikulturellen Gesellschaft, S. 64f. . Die im zweiten Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts entstandenen burgundischen Leges differenzierten zwischen Burgundi und Romani und verschriftlichten die vom römischen Recht abweichenden Rechtsvorstellungen der Burgundi, waren jedoch zugleich um Ausgleich und Gleichbehandlung bemüht11 I. Wood, Gentes, S. 256-258. P. Amory, The meaning, S. 24-26 und K. Ubl, Sinnstiftungen, S. 44-50 sehen in der Verschriftlichung der burgundischen Rechtsvorstellungen das Bemühen der burgundischen Könige, die burgundische Identität zu stärken. Dementgegen ordnet Wood die Leges in ein Bemühen ein, Burgundi und Romani zusammenwachsen zu lassen.. Ungeachtet dieser Differenzierung scheint bereits in den 530er Jahren der Romanisierungsprozess der Burgundi weit fortgeschritten gewesen zu sein12 Vgl. S. Esders, Römische Rechtstradition, S. 294 mit Verweis auf das Verschwinden der burgundischen Sprache und die Aufgabe getrennter Gräber in dieser Zeit. . Bereits um 500 kam der Name Burgundia für das burgundische Reich auf13 Cassiodor, Variae I,46 (Brief Theoderichs des Großen an den Burgunderkönig Gundobad von 507)., der nach der Eroberung des Reiches durch die Franken 534 zum Namen nicht nur für das ehemalige Herrschaftsgebiet der burgundischen Könige, sondern für das gesamte südöstliche Teilreich wurde14 E. Ewig, Volkstum, S. 632-635; R. Marti, Von der multikulturellen Gesellschaft, S. 65; I. Wood, Gentes, S. 265-267; S. Esders, Römische Rechtstradition, S. 294f. Bereits für Gregor von Tours († 593/594) war der Name Burgundia als geographische Bezeichnung selbstverständlich.. Abgeleitet von dieser geographischen Bezeichnung konnte Burgundio nun jede Person bezeichnen, die aus diesem Gebiet stammte15 S. Esders, Römische Rechtstradition, S. 295. Die burgundischen Herkunftslegenden stammen tatsächlich erst aus dieser Zeit. Vgl. I. Wood, Gentes, S. 265-267..
HL