Consuetudo: wörtlich „die Gewohnheit“, „das Herkommen“, „der Brauch“1 DNG I, „consuetudo I“, Sp. 1212f..
In der klassischen römischen Zeit stellte die consuetudo als durch allgemeine Übung inhaltlich verfestigte mos2 P. Kreutz, Romidee, S. 56, Anm. 148. einen Zwischenschritt zwischen dieser und der (schriftlich niedergelegten) lex dar3 P. Kreutz, Romidee, S. 56.. Seit dem 2./3. Jahrhundert galt die consuetudo, wenn sie lange genug in Gebrauch war, im Sinne eines Gewohnheitsrechts als eigene Rechtsquelle neben den leges sofern sie diese ergänzte und ihnen nicht entgegenstand4 K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, S. 323; U. Wolter, Consuetudo, S. 89; A. Laquerrière-Lacroix, Ius et Iustitia, S. 33. Bei Julian gilt die consuetudo neben dem mos als Rechtsgrundlage für Fälle, die durch die lex nicht geregelt sind. P. Kreutz, Romidee, S. 91.. In der römischen Rechtssprache wurde sie damit als ungeschriebenes Recht Teil des ius und der lex gleichgestellt5 D. Nörr, Entstehung, S. 361f.; U. Wolter, Consuetudo, S. 92. . Dieses Modell findet sich auch bei Isidor6 Isidor, Etymologiae V,3; G. Köbler, Frührezeption, S. 360; U. Wolter, Consuetudo, S. 100f. , der die Gültigkeit der consuetudo zusätzlich vom Konsens über ihren Inhalt und ihre Übereinstimmung mit der ratio abhängig macht7 Zur consuetudo bei Isidor siehe vor allem J. de Churruca, Concept. Vgl. auch K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, S. 323 und U. Wolter, Consuetudo, S. 97-99 zur consuetudo im frühen christlichen Rechtsdenken.. Mit dem Verlust der Schärfe des lex-Begriffes als schriftlich gesetztes Recht löst sich im Frühmittelalter das Verständnis von der Trennung von lex und consuetudo auf, so dass die Begriffe zwar noch mit bestimmten Assoziationsfeldern verbunden wurden, jedoch nunmehr nahezu synonym verwendet werden konnten8 G. Köbler, Recht, S. 50 und 210f.; G. Dilcher, Fragen und Probleme, S. 35; S. Kerneis, J.-P. Poly, La coutume, S. 357. G. Köbler, Frührezeption, S. 353f. zu Folge findet sich consuetudo vor allem in Quellen mit Herkunft im romanischen Sprachgebiet, während außerhalb dieses Belege weitgehend fehlen. Auch O. Guillot, Apparition, S. 117 und 129 stellt für die Karolingerzeit fest, dass consuetudo häufig sehr generell und meist ohne rechtliche Bedeutung gebraucht wird. Nach K. Hallinger, Consuetudo, S. 143f. ist die consuetudo im monastischen Bereich zumeist die ungeschriebene und gelebte Praxis, die damit faktisch neben der regula steht und diese ergänzt und auslegt; allerdings lässt sich dort bereits im 7. Jahrhundert auch eine geschriebene consuetudo feststellen.. Consuetudo konnte mithin weiter eine Quelle des Rechts in Form einer lange verfolgten Praxis bedeuten9 G. Köbler, Recht, S. 227f.; O. Guillot, Apparition, S. 112f. Guillot zu Folge existierte seit der Merowingerzeit noch eine zweite Bedeutungsebene, in welcher consuetudo die praktische Auslegung von Gesetzen im Laufe der Zeit bezeichnen konnte (O. Guillot, Apparition, S. 115, 117 und 129). Die von ihm angeführten Beispiele aus den Formulae Andecavenses überzeugen jedoch nicht., aber auch einzelne Sachverhalte der alltäglichen Lebenswirklichkeit bezeichnen, die nach der consuetudo abliefen oder selbst consuetudo genannt wurden10 G. Köbler, Frührezeption, S. 354, mit spezifischem Bezug auf die Formelsammlungen.. Schließlich findet sich auch seit der Spätantike eine enge Verbindung zwischen consuetudo und Abgabenwesen11 G. Köbler, Frührezeption, S. 353; S. Kerneis, J.-P. Poly, La coutume, S. 360f., durch welche der Begriff auch die Bedeutung von Abgaben oder Zoll annehmen konnte12 H. Hattenhauer, Bellum, S. 114f.; E. Magnou-Nortier, Lex et consuetudo, S. 199. Die von Hattenhauer und Magnou-Nortier vorgebrachten Beispiele überzeugen nicht. G. Köbler, Frührezeption, S. 353 verweist auf eine Reihe von Kapitularien (MGH Capit. I, Nr. 65, 132, 143, 145, 280, 294), in welchen die Lesart consuetudo = Abgabe näher liegt.. Im 11. Jahrhundert fand eine Wiederbelebung des antiken Inhalts des consuetudo-Begriffes statt13 G. Köbler, Recht, S. 230., die im 12. Jahrhundert zur Grundlage einer neuen rechtlichen Ausformung des Begriffes wurde14 G. Köbler, Frührezeption, S. 364..
HL