Sacramentum: der Eid; das Sakrament, Geheimnis, Symbol1 DNG II, „sacramentum“, Sp. 4228f..
1) Sacramentum konnte im klassischen Rom als Bezeichnung für unterschiedliche Handlungen dienen, die sacer waren2 M. Neri, Per la storia del lemma sacramentum. . Im frühen Christentum fand sacramentum als Übersetzung für das griechische μυστήριον (mysterion) Eingang in den Sprachgebrauch3 J. Gaudemet, Évolution de la notion de sacramentum, S. 73; P. Hensels, Die Bedeutung und Problematik, S. 82; M. Becher, Eid und Herrschaft, S. 101. und konnte die rei sacrae signum bezeichnen. Sacramentum wurden damit Weihehandlungen wie Taufe und Konfirmation oder, seit dem Ende des 4. Jahrhunderts, auch die Ehe4 J. Gaudemet, Évolution de la notion de sacramentum, S. 73-77. Im 11. Jahrhundert kannte der Sprachgebrauch bereits zwölf sacramenta, darunter nun auch die Armenwaschung, Beichte, Eucharistie, Bischofsweihe, Königssalbung, Kirchweihe oder die Lebensweise von Kanonikern, Mönchen, Eremiten und Jungfrauen.. Bereits in der römischen Antike bezeichnete sacramentum darüber hinaus auch den von den Rekruten zu leistenden Fahneneid5 P. Hensels, Die Bedeutung und Problematik, S. 64; M. Becher, Eid und Herrschaft, S. 101. Vermutlich auf den römischen Soldateneid zurück ging der zunächst in der Merowingerzeit bekannte und unter Karl dem Großen erneuerte Treueid aller Bewohner des Reiches. S. Esders, Römische Rechtstradition, S. 233; M. Becher, Eid und Herrschaft, S. 100; Ph. Depreux, Les Carolingiens et le serment, S. 68f.. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Eid, dem iusiurandum, drohte beim Bruch des sacramentum der Zorn der Götter und die Verstoßung aus der Gemeinschaft6 P. Hensels, Die Bedeutung und Problematik, S. 64-66.. Vom Christentum übernommen, wurde das sacramentum zur höchsten Form des Versprechens7 Ph. Depreux, Les Carolingiens et le serment, S. 65f. Dies gilt gleichermaßen auch für das sacramentum im Sinne des Fahneneides der Soldaten, welcher sich im christlichen Taufgelöbnis (mit dem der Täufling zum miles Christi wird) widerspiegelt. M. Becher, Eid und Herrschaft, S. 101. und zumindest im frühen Mittelalter oft mit der Berührung einer res sacra verbunden8 M. David, Le serment du sacre; M. Becher, Eid und Herrschaft, S. 94.. Eide nahmen, ob als versprechende oder versichernde, unilaterale oder gegenseitige, eine zentrale Rolle in der frühmittelalterlichen Gesellschaft ein9 Ph. Depreux, Les Carolingiens et le serment, S. 64.. Im rechtlichen Kontext konnten Eide unter anderem als Beweismittel mit hoher Glaubwürdigkeit der Wahrheitsfindung dienen10 Ph. Depreux, Les Carolingiens et le serment, S. 64. . Eine besondere Stellung nicht nur im weltlichen Rechtswesen, sondern auch im Bereich der Grundherrschaften und des kanonischen Rechtes, nahm hier der oft mit Eidhelfern zu leistende Reinigungseid ein, bis er im Hochmittelalter durch den Inquisitionsprozess abgelöst wurde11 Vgl. dazu S. Esders, Reinigungseid; Ph. Depreux, La prestation de serment, S. 521-532; O. Guillot, La justice dans le royaume franc, S. 701f. Findet sich der Reinigungseid Esders zufolge bereits in der römischen Provinzialrechtsprechung als Ergänzung zum materiellen Beweis, so stellt er für Guillot eine Abkehr von der römischen Rechtspraxis dar. Entscheidend war im frühmittelalterlichen Verfahren, wer den Reinigungseid zu erbringen hatte. Die Eidhelfer dienten dabei der Unterstreichung der Glaubwürdigkeit des Schwörenden (sei es durch ihr Wissen oder den durch sie ausgeübten sozialen Druck). Die jeweilige Zahl der Eidhelfer (oftmals, 2, 3, 6, 7, 12 oder Vielfaches dieser Zahlen) beeinflusste das Gewicht des zu leistenden Eides. Vgl. S. Esders, Reinigungseid, S. 58-62; Ph. Depreux, La prestation de serment, S. 528-532.
2) Sacramentum fand als Übersetzung des griechischen μυστήριον (mysterion, Geheimnis) Eingang in den christlichen Sprachgebrauch12 H. Vorgrimler, Sakrament III., Sp. 1440; P. Hensels, Die Bedeutung und Problematik, S. 75f. . Im biblischen Sprachgebrauch bezeichnete sacramentum „das Geheimis“, aber auch „das Symbol“13 J. Gaudemet, Évolution de la notion de sacramentum, S. 71f.. Nach dem für das frühe Mittelalter prägenden Verständnis von Augustinus von Hippo († 430) wurde sacramentum zur Bezeichnung für einen sinnlich wahrnehmbaren Sachverhalt, der zugleich auf eine über diese sinnliche Wahrnehmbarkeit hinaus bestehende, unfassbare Wirklichkeit hinweist14 J. Finkenzeller, Die Lehre, S. 38f. Zum voraugustinischen Verständnis von sacramentum bei Tertullian († nach 220) vgl. etwa H. Vorgrimler, Sakrament III., Sp. 1440; J. Gaudemet, Évolution de la notion de sacramentum, S. 73.. Ihrem Wesen nach sind die sacramenta sichtbare Zeichen (signa) der göttlichen Dinge, in denen zugleich unsichtbare Dinge verehrt werden15 J. Finkenzeller, Die Lehre, S. 41f. Neben Augustinus prägte vor allem der eng an diesen angelehnte Isidor von Sevilla das frühmittelalterliche Verständnis von sacramentum. Vgl. zu Isidor J. Finkenzeller, Die Lehre, S. 68-71; J. Gaudemet, Évolution de la notion de sacramentum, S. 75.. Unterschieden wird in der Folge zwischen einem weiteren und einem engeren Verständnis von sacramentum. Bei einem weiteren Verständnis sind alle kirchlichen Zeremonien sacramenta, bei einem engeren Verständnis jedoch nur zwei: die heilsnotwendigen sacramenta der Taufe und die Eucharistie, durch die der Mensch Anteil am Erlösungswerk Christi gewinnt16 J. Finkenzeller, Die Lehre, S. 38f. Nach Isidor, der zwischen Taufe und Firmung differenziert, sind es drei Sakramente. Andere Zählungen differenzieren zudem noch bei der Eucharistie zwischen Leib und Blut Christi und kommen damit auf vier Sakramente. Zu den verschiedenen Zählweisen vor der Festlegung auf sieben Sakramente im zwölften Jahrhundert vgl. J. Finkenzeller, Die Lehre, S. 73f.; J. Gaudemet, Évolution de la notion de sacramentum, S. 75f. Seit der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert wurde auch die Ehe gelegentlich als sacramentum bezeichnet, doch setzte sich diese Vorstellung erst im 12. Jahrhundert durch. Vgl. J. Gaudemet, Évolution de la notion de sacramentum, S. 71-75; Ph. Reynolds, The primordial marriage, S. 11-14..
HL