Misericordia: Mitleid, Barmherzigkeit.
Während die antiken Philosophen das Mitleid als affektgesteuerte Handlung oder auch als Bedrohung der Seelenruhe ablehnten, ist misericordia für die Christen eine der zentralen Tugenden1 B. Stoeckle, Misericordia, Sp. 667.. Im Sprachgebrauch der Bibel besaß misericordia ein gewisses Bedeutungsspektrum, das Mitleid und Mitgefühl beinhaltete, aber auch Gnade, Erbarmen und Barmherzigkeit umfassen konnte2 T. Koehler, The significance, S. 30-32.. Im Verständnis des Augustinus von Hippo († 430) war misericordia das spontan geäußerte Mitgefühl mit einer fremden, leidenden Person, das zur aktiven Hilfe für diese Person führt. Diese moralische Handlungsanweisung war jedoch an die eigene Befähigung zur Hilfe gebunden. Abzuwägen war zudem, ob die Ursache des Leidens der fremden Person auf deren eigenes Fehlverhalten zurückzuführen war. Allgemein war misericordia mittels ratio (Vernunft) zu kontrollieren und der iustitia unterzuordnen3 T. Fischl, Mitgefühl, S. 80-82; T. Koehler, The significance, S. 34-38. Zu den Wurzeln von Augustinus’ misericordia-Verständnis vgl. P. F. Moretti, Misericordia.. Prägend für das frühe Mittelalter war der biblische Gebrauch von misericordia4 T. Koehler, The significance, S. 38-40., oft geknüpft an praktische Gesichtspunkte und mit der Hilfe und Unterstützung für Arme und Kranke verbunden5 B. Stoeckle, Misericordia, Sp. 667f..
HL