Consilium: Rat, Beratung. Neben colloquium, placitum, conventus und curia einer der Schlüsselbegriffe für Beratung im frühen Mittelalter1 G. Althoff, Colloquium familiare, S. 145 Anm. 2..
Beratung (consilium) und Zustimmung (consensus) gewannen in der römischen Gesetzgebung erst im Laufe der Spätantike an Bedeutung. Leiteten die Kaiser ihren Herrschaftsanspruch zuvor alleinig aus dem Recht ab, begann nun eine Öffnung hin zur Legitimierung auch über Moral, Billigkeit und gemeinen Nutzen, in welche nun auch der Konsensgedanke einzufließen begann2 J. Hannig, Consensus fidelium, S. 42-49. Größere Bedeutung kamen consilium und consensus dagegen im Rahmen der Provinzialkonzilien und der städtischen Kurien zu. . In der fränkischen Zeit spielten consilium und consensus im Rahmen der Herrschaftsausübung zunächst keine große Rolle. Beeinflusst von christlichen Normen entwickelten sich bis zum 7. Jahrhundert das Hören auf guten Rat (bonum consilium) und die Herstellung von Konsens mit einem bestimmten Kreis von Personen zunächst zu Fürstentugenden, die im 8. Jahrhundert unter den frühen Karolingern dann zum politischen Programm wurden3 J. Hannig, Consensus fidelium, S. 209-214. Zum Einfluss der kirchlichen Vorstellungen auf das consilium der fränkischen Herrscher vgl. auch J. Devisse, Essai sur l’histoire, S. 179f. Zur Bedeutung der Beratung in den Fürstenspiegeln des frühen Mittelalters vgl. auch G. Althoff, Colloquium familiare, S. 150f. Wichtig sind hier vor allem Pseudo-Cyprian, De duodecim abusivis saeculi; Dhouda, Liber manualis und Hinkmar, De ordine palatii.. Dem Herrscher mit Rat beizustehen wurde nun zu einer Pflicht, aber auch zu einem Recht der Großen, Rat einzuholen zu einer Pflicht des Herrschers4 J. Hannig, Consensus fidelium, S. 202-205. Consilium konnte in diesem Zusammenhang ebenso „Rat geben“ wie auch „sich mit der Entscheidung einverstanden erklären“ bedeuten. Zum Problem „Pflicht oder Recht“ vgl. auch G. Althoff, Colloquium familiare, S. 147. Die Rolle von consilium wird auch bei der Rechtsfindung betont, hier ausgedrückt durch die Formel, nach welcher eine Entscheidung consilio et iudicio ergangen sei. Sie drückt die Teilnahme der Beisitzer eines Gerichtes an der Urteilsfindung sowie deren Einverständnis mit dem Urteil aus. Vgl. dazu H. Krause, Consilio et iudicio.. Form und Ablauf der Beratung folgten dabei bestimmten Normvorstellungen, die jedoch den Akteuren im Einzelfall relativ großen Gestaltungsspielraum lassen konnten5 G. Althoff, Kontrolle der Macht, S. 301-311. Von Bedeutung waren in diesem Zusammenhang auch Fragen des Ranges, der Reihenfolge des Sprechens, der Art des Sprechens und der Auswahl der Berater. Zu unterscheiden ist dabei insbesondere zwischen informellen Treffen, die größeren Spielraum ließen, und formellen, offiziellen Treffen, bei denen der Wahrung von Ansehen und Ehre eine weitaus größere Rolle zukam. Vgl. dazu G. Althoff, Colloquium familiare, insb. S. 154-156.. Abhängig vom Einzelfall waren dabei auch die Fragen, inwieweit der Herrscher an den Rat der Ratgeber gebunden war und wie stark die Bindung der Ratgeber an die im Rat gefasste Entscheidung war6 G. Althoff, Colloquium familiare, S. 149.. Seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts konnte sich consilium in diesem Zusammenhang auch mit auxilium (Hilfe) verbinden. Consilium et auxilium wurde damit zur Formel für die Verpflichtung, dem Herrscher (oder allgemein dem Herrn) nicht nur mit Rat, sondern auch mit Diensten zu Hilfe zu kommen7 Vgl. dazu J. Devisse, Essai sur l’histoire. Zur Bedeutung von consilium et auxilium vgl. auch F. L. Ganshof, Qu’est-ce que la féodalité? S. 140-149.. Die Bedeutung, die der Beratung im Verhältnis zwischen Herrscher und Großen zukam, findet sich neben dem weltlichen auch im kirchlichen Bereich. So dienten Konzilien (concilia) der Beratung (consilium)8 G. Althoff, Colloquium familiare, S. 145f.. Auch im klösterlichen Bereich, in welchem dem Abt als dominus eigentlich unbedingter Gehorsam durch die Mönche geschuldet wurde, gehörte das Heranziehen von (guten) Ratgebern durch diesen seit dem 9. Jahrhundert zum Wertekanon für einen guten Abbatiat9 F. J. Felten, Auctoritas, S. 34. Gefordert wurde die Beratung des Abtes etwa auch von der Regula Benedicti. In den wichtigsten Angelegenheiten sollte diese durch alle Mönche erfolgen, in den weniger wichtigen durch einen Rat von seniores. Bewertung der Fälle und Auswahl der Ratgeber standen jedoch dem Abt offen, dem auch die alleinige Entscheidung zukam. Vgl. F. J. Felten, Auctoritas, S. 30-32.. Die notwendige Zustimmung der Mönche zu Entscheidungen des Abtes entwickelte sich seit dieser Zeit zur rechtlichen Norm, war jedoch zunächst auf das Klostergut betreffende Angelegenheiten beschränkt10 F. J. Felten, Auctoritas, S. 32-36 und 40-45. Bis zum 12. Jahrhundert wurde die Beratungs- und Zustimmungspflicht der Mönche auch auf andere Bereiche ausgedehnt. In der Praxis blieb der tatsächliche Einfluss der Mönche auf die Entscheidungen des Abtes immer eine Machtfrage, da dieser sich immer auf die in den Mönchsregeln verankerte Gehorsamspflicht der Mönche berufen konnte, um das Recht der Mönche auf consilium und consens zu umgehen..
HL