Precarium: Präkarie; besondere Form der Landleihe.
Im klassisch-römischen Recht bezeichnete precarium die jederzeit widerrufbare, unentgeltliche Überlassung zumeist von Grund und Boden auf unbestimmte Dauer1 J.-U. Krause, Spätantike Patronatsformen, S. 255.. Diese Bedeutung überdauerte im nachklassischen Recht; jedoch entwickelte sich seit der frühen Kaiserzeit auch ein precarium, welches sich durch die Vereinbarung von Zinszahlungen und einer Begrenzung der zeitlichen Dauer auszeichnete2 J.-U. Krause, Spätantike Patronatsformen, S. 256f. Über die Entwicklung des frühmittelalterlichen precarium aus römischen Rechtsformen herrscht in der Forschung Dissens. Am weitesten Verbreitet scheint die These von E. Levy, Vom römischen Precarium, das fränkische precarium habe sich aus der locatio-conductio von Fiskalgütern entwickelt, da in dieser im Gegensatz zum klassischen precarium die Elemente Zinsverpflichtung und zeitliche Begrenzung auf 5 Jahre finden (vgl. etwa auch L. Morelle, Les actes de précaire, S. 611f.). Angesichts der von Krause festgestellten Veränderung des precarium bereits in der römischen Kaiserzeit (von Wood und Morelle nicht berücksichtigt) überzeugt diese These jedoch nicht vollends. B. Kasten, Beneficium, S. 249, mit Bezug auf Krauses Erkenntnisse, spricht von der frühmittelalterlichen „Prekarie, in der anscheindend der Name der antiken Prekarie mit den Merkmalen des antiken Nießbrauchs miteinander verschmolzen worden sind“.. In den spätantiken Quellen verschwindet der Begriff precarium nahezu vollständig3 E. Levy, Vom römischen Precarium, S. 3-5.. Isidor von Sevilla war der Begriff jedoch noch bekannt und verstand darunter die Gewährung eines usufructus auf ein Gebet (preces) hin4 Isidor, Etymologiae, V.25; I. Wood, Teutsind, S. 45. Auch in den folgenden Jahrhunderten wurde der Abschluss eines precarium durch die preces des Bittstellers eingeleitet. L. Morelle, Les actes de précaire, S. 611.. Vom 6. Jahrhundert an ist das precarium im fränkischen Reich nachweisbar5 I. Wood, Teutsind, S. 46. und scheint sich vom späten 7. Jahrhundert ab, vermutlich vor allem über die Praxis der Kirchen, Land zu verleihen, rasch zu verbreitet zu haben6 P. Fouracre, The use of the term beneficium, S. 70. Der größte Teil der überlieferten precaria zeigt zwar kirchliche Landleihen, doch dürfte dies den Überlieferungsverhältnissen geschuldet sein. B. Kasten, Beneficium, S. 251.. Grundsätzlich bestand ein fränkisches precarium aus der Übertragung von Grundbesitz verbunden mit der Verpflichtung zu Abgaben und Diensten, wobei das Eigentum am betreffenden Grund beim Gebenden verblieb, der Nießbrauch jedoch an den Empfänger ging und die Vereinbarung bei Nichterfüllung der Verpflichtungen widerrufen werden konnte7 É. Chénon, Histoire générale du droit francais, S. 421; M. Petitjean, Remarques sur l’emploi de la précaire; L. Morelle, Les actes de précaire, S. 610. Juristisch wird darüber hinaus zwischen drei Formen von Prekarienverträgen unterschieden: der precaria data, im Zuge welcher der Empfänger, unter Präzisierung der Bedingungen, Güter zum Nießbrauch erhält, welche er zuvor erbeten hat; der precaria oblata, in welcher der Empfänger Güter zum Nießbrauch erhält, welche von diesem zuvor der Kirche geschenkt worden waren; der precaria remuneratoria, in welcher der zum Nießbrauch übertragene Grund sowohl aus einer Schenkung des Empfängers als auch aus dem weiteren Besitz des Gebenden stammt. Vgl. H. Voltelini, Prekarie und Benefizium, S. 271; L. Morelle, Les actes de précaire, S. 612-614. Zum Aufbau einer Prekarienurkunde vgl. K. Groß, Visualisierte Gegenseitigkeit, S. 78f.. Bereits im 7. Jahrhundert findet sich eine große Bandbreite von Transaktionen, die als precaria bezeichnet wurden, jedoch, personalisiert und angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse, über diese enge Definition hinausgreifen8 I. Wood, Teutsind, S. 47; L. Morelle, Les actes de précaire, S. 610f und 614; K. Groß, Visualisierte Gegenseitigkeit, S. 126-149.. Wurden zunächst im Rahmen der Landleihe zwei Dokumente ausgefertigt, die precaria des Landnehmers sowie die praestaria des Landverleihers, schwand diese Aufteilung ab dem 8. Jahrhundert zugunsten eines einzigen Dokumentes, in welchem Bestandteile der beiden älteren Ausfertigungen verbunden wurden9 B. Kasten, Beneficium, S. 247; L. Morelle, Les actes de précaire, S. 615-617.. Bezeichnete precarium zunächst nur das Dokument selbst, konnte der Begriff seit Mitte des 9. Jahrhunderts für die ihm zugrundeliegende Landleihe verwendet werden10 I. Wood, Teutsind, S. 46, für das 6. Jahrhundert und L. Morelle, Les actes de précaire, S. 615f. für die spätere Zeit.. Für diese setzte sich Mitte des 11. Jahrhunderts wiederum der Begriff beneficium durch, das sich durch die Verbindung mit Dienstverpflichtungen zum Lehen wandelte11 F. L. Ganshof, Note sur les origines, S. 174, 182f. und 187. Zum Verhältnis von precarium und beneficium im 10. und 11. Jahrhundert vgl. K. Groß, Visualisierte Gegenseitigkeit, S. 134-136., während precarium nun zum Begriff für an den Herrn zu leistende Abgaben wurde12 L. Morelle, Les actes de précaire, S. 646 mit Anm. 187. Dagegen A. Hedwig, „Precaria“, Sp. 171, demzufolge das Prekarium zum terminus technicus für die bäuerliche Leihe wurde..
HL