Agnatio: ursprünglich das Nachgeboren werden, die Nachkommenschaft, später die (männliche) Verwandtschaft väterlicherseits1 DNG I, „agnatio“, Sp. 200, „agnatus“, Sp. 200; Le Grand Gaffiot, „agnatio“, S. 89. Bezogen auf freie Menschen bezeichnete agnatio ursprünglich die Geburt eines Sohnes nach dem Tod seines Vaters beziehungsweise noch zu dessen Lebzeiten, aber bereits nach der Abfassung dessen Testamentes. Ein agnatus war also ein Sohn der geboren wurde, nachdem bereits (durch Verwandtschaft, Adoption oder Testament) ein rechtmäßiger Erbe in der Familie vorhanden war. Die „Nachgeborenen“ gehörten, ebenso wie die „Vorgeborenen“, zu den sui heredes. Vgl. U. Manthe, „Sui heredes“. Im Zusammenhang mit Sklaven oder Unfreie konnte agnatio unterschiedslos zur Bezeichung des Nachwuchses gebraucht werden..
Im klassisch-römischen juristischen Sprachgebrauch bezeichnete agnatio alle männlichen Personen, die unter der patria potestas desselben pater familias standen oder gestanden hätten, falls dieser noch gelebt hätte2 D. Bullough, Early medieval social groupings, S. 6. Vgl. auch G. Lingelbach, „Agnaten und Kognaten“, Sp. 83; A. C. Murray, Germanic kinship structure, S. 3; H. L. Nelson, U. Manthe, Gai Institutiones, S. 65f.. Im allgemeinen Sprachgebrauch der römischen Antike diente agnatio der Bezeichnung der männlichen Verwandtschaft oder der männlichen Verwandten, jeweils in männlicher Linie3 DNG I, „agnatio“, Sp. 200; TLL I, „Agnatio“, S. 1349; G. Lingelbach, „Agnaten und Kognaten“, Sp. 83; A. C. Murray, Germanic kinship structure, S. 3. Vgl. auch Isidor, Etymologiae IX, 6, 1: Agnati dicti, eo quod accedant pro natis, dum desunt filii. Qui ideo prius in gente agnoscuntur quia veniunt per virilis sexus personas, veluti frater eodem patre natus, vel fratris filius, noposve ex eo, item patruus. Für Isidor bezeichnen die agnati die männlichen Nachkommen der Brüder des Vaters. Hat dieser keine Söhne treten sie an deren Stelle.. Agnatio wurde dabei synonym zu agnati benutzt; wobei agnatus sich, im Gegensatz zur agnatio, immer auf Freie und nie auf Sklaven oder Unfreie bezog4 Vgl. DNG I, „agnatio“, Sp. 200 und DNG I, „agnatus“, Sp. 200.. Eine besondere Gruppe der agnati bildeten die consanguinei5 H. L. Nelson, U. Manthe, Gai Institutiones, 65f., jene Geschwister, die einen gemeinsamen Vater teilten6 Im Gegensatz zu den uterini, die eine gemeinsame Mutter haben. Vgl. H. L. Nelson, U. Manthe, Gai Institutiones, 65f.. Wörtlich eigentlich die Blutsverwandten, diente consanguineus im allgemeinen Sprachgebrauch der Bezeichnung eines Verwandten bis zum 3. Grad, beziehungsweise seit dem Ende des 9. Jahrhunderts bis zum 4. Grad7 H.-W. Goetz, Verwandtschaft I, S. 20; R. Le Jan, Famille et pouvoir, S. 166.. Jene Blutsverwandten, die keine agnati waren, wurden als cognati bezeichnet. Seit der Spätantike wandelte sich die Verwendung von agnati und cognati von „männlichen Verwandten in männlicher Linie“ und „Blutsverwandten“ hin zur allgemeinen Bezeichnung für die Verwandten väterlicher- beziehungsweise mütterlicherseits8 M. Mitterauer, Terminologie der Verwandtschaft, S. 63. In der adeligen Lebenswelt erhält sich das agnatische Prinzip im Sinne seiner ursprünglichen Bedeutung im Rahmen des Erbrechts. Vgl. D. Bullough, Early medieval social groupings, S. 8-9; A. Guerreau-Jalabert, La désignation des relations, S. 89-90; R. Le Jan, Famille et pouvoir, S. 162f. Vgl. auch M. Kaser/R. Knütel/S. Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 373; K. Kroeschell, Sippe, S. 5f.; G. Lingelbach, „Agnaten und Kognaten“, Sp. 84-85..
BQ