Alligatio: Eintragung eines Dokuments in die öffentlichen Akten einer Stadt (gesta municipalia). Abgeleitet von alligare/adligare („anbinden, verbinden“).
Die Bezeichnung alligatio für die Eintragung eines Dokuments in die öffentlichen Akten einer Stadt (acta, gesta municipalia, codices publici) erscheint erstmals in verschiedenen um 500 entstandenen Rechtstexten1 Edictum Theoderici, c. 52; Breviarium Alarici IV,4,4 Interpretatio; Lex Romana Burgundionum XXII,3. Vgl. auch J.-O. Tjäder, Nichtliterarische Papyri I, P10-11.. Ihr Auftreten geht mit der wohl seit Mitte des 5. Jahrhunderts zunehmenden Verbreitung von alligare zur Beschreibung desselben Vorganges einher2 Der Codex Theodosianus ist diesbezüglich von einer großen terminologischen Vielfalt geprägt, innerhalb welcher alligare (etwa CT VIII,12,3) nur eine von zahlreichen Möglichkeiten darstellt, den Vorgang zu bezeichnen (etwa auch: CT II,4,2 affigere, insinuare; CT III,5,1 inserare, consignare; CT VIII,12,8 publicare). Der Rückgang dieser Vielfalt zugunsten von alligare wird besonders im Breviarium Alarici deutlich (alligare: Interpretationes zu CT II,24,1; III,5,1, 3 und 8; VIII,5,1. Dagegen etwa noch Interpretationes zu CT II,4,2 affigere; II,5,8 inserare; IV,4,4 firmare; V,1,2 affiliare). Die Entwicklung scheint im Osten nicht mitgegangen worden zu sein. So findet sich in der Justinianischen Gesetzgebung alligare kaum (Codex Justinianus III,53,31). Hier setzen sich stattdessen insinuare (Codex Justinianus III,53,31; V,3,20; VIII,48,5; VIII,53,30, 32 und 36; Institutiones II,7,2; Novellae 119) und davon abgeleitet insinuatio (Codex Justinianus VII,37,3; VIII,53,36) durch. , bis alligare gegen Ende des 6. Jahrhunderts endgültig zum festen Terminus für die Eintragung von Akten in die gesta municipalia geworden zu sein scheint3 Vgl. etwa die Briefe Gregors des Großen, MGH Epp. 1, Nr. II,9 und 15; MGH Epp. 2, Nr. VIII,5, IX,57, 71, 98 und 180, XIII,18 und App. 1. Auch die italienischen Papyri (J.-O. Tjäder, Nichtliterarische Papyri I und J.-O. Tjäder, Nichtliterarische Papyri II) zeigen diese Entwicklung, nutzen neben alligare (vgl. dazu J.-O. Tjäder, Nichtliterarische Papyri I, S. 261) allerdings auch noch indere (P10-11, P21, P32), migrare (P14-15) und inserare (P29), jedoch nicht in Kombination mit den gesta, sondern den acta. Eine Ausnahme stellen die Formulae Visigothicae (21 und 25) dar, wo adcorporare und inserare zur Bezeichnung des Vorganges benutzt werden, nicht jedoch alligare. . Diese Terminologie wurde auch von der bis ins frühe 9. Jahrhundert reichenden fränkischen Praxis übernommen, wobei die in dieser Zeit häufig benutzte Kombination von alligare mit (ad)firmare auf eine Verschiebung der Bedeutung des Eintragungsprozesses hindeutet4 So ChLA 13, Nr. 569; Testament Bertrams von Le Mans, S. 49; Chartes de Saint-Benoît-sur-Loire I, Nr. 1; J.-P Andrieux, Donation 1, Nr. 2. Siehe auch die Formeln Auvergne 4, Marculf II,37 und Marculf II,38, Tours 23, Bourges C 14 a-c, Cartae Senonicae Appendix 1. Zur Überlieferung der Gesta in fränkischer Zeit vgl. J. Barbier, Archives oubliées, insb. S. 179-238. Ausnahmen stellen die in die gesta von Poitiers inserierte Schenkung des Bischofs Ansoaldus (J.-P Andrieux, Donation 1, Nr. 1-3), die neben alligare auch corporare, inserare und inherebare zur Bezeichnung des Vorganges benutzt, sowie Formulae Turonenses Additamenta 5 (neben alligare auch infirmare und inserare) dar. .
Nach dem Codex Theodosianus sah das römische Recht die Eintragung von Rechtsvorgängen nur für Schenkungen5 Vgl. die Regelungen zu den Schenkungen (donationes) in Codex Theodosianus VIII,12. Die justinianische Gesetzgebung konkretisierte die Bestimmungen des Codex Theodosianus durch die Festlegung von Mindestwerten, ab denen Schenkungen einzutragen waren, sowie Regelungen, an welchen Orten die Eintragung zulässig war. Vgl. dazu B. Hirschfeld, Gesta municipalia, S. 36-43. Mit Justinian wurde auch die Eintragung von donationes inter virum et uxorum, zunächst ab einer Höhe von 200 Solidi, verpflichtend. Derartige Schenkungen waren zuvor verboten, aber in der Praxis wohl verbreitet. Vgl. B. Hirschfeld, Gesta municipalia, S. 45. und Hochzeitsgaben ab einer bestimmten Höhe verbindlich vor6 Vgl. Codex Theodosianus III,5; B. Hirschfeld, Gesta municipalia, S. 43-45.. Die Eintragung von Testamenten nach ihrer Eröffnung war möglich7 Codex Justinianus VI,23,19,1. Vgl. dazu M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 477-482., wurde aber erst im Laufe des 5. Jahrhunderts verbindlich gemacht8 Entsprechende Regelungen finden sich erst in den Interpretationes des Breviarium Alarici IV,4,4 Interpretatio (Ungültigkeit von Testamenten, die nach ihrer Eröffnung nicht eingetragen wurden) und Nov. Theod. IX Interpretatio (Regelung der Möglichkeit, dass Zeugen, vor denen eine Person mündlich testamentarische Bestimmungen ausgesprochen hat, diese nach dem Tod des Testators in die gesta eintragen lassen). , ebenso wie die von Mandaten9 Breviarium Alarici II,12,1 Interpretatio. Vgl. auch Lex Romana Burgundionum XII,2. In den Interpretationes des Breviars tritt die Bedeutung der gesta an verschiedenen Stellen stärker hervor als im ihnen zugrundeliegenden Text des Codex Theodosianus. Vgl. etwa die Interpretationes zu CT II,12,1; II,24,1; IV,4,4 und V,1,2, welche gegenüber dem eigentlichen Gesetzestext die Eintragung in die gesta explizit erwähnen.. Darüber hinaus finden sich in den gesta Eintragungen zu Verträgen, Eigentumstransfers, Freilassungen und Adoptionen sowie Dokumente der Verwaltung und kaiserliche Entscheidungen10 J. Barbier, Archives oubliées, S. 13, mit Verweis auf B. Hirschfeld, Gesta municipalia, S. 51-65.. Die Eintragung hatte vor einer Gruppe aus drei Kurialen, einem Magistrat sowie einem exceptore publico zu erfolgen11 Codex Theodosianus XII,1,151; Breviarium Alarici XII,1,8; Edictum Theoderici c. 53. Für anfallende Gebühren vgl. Codex Justinianus XII,21,8 (2 Solidi für Eintragungen, 1 Solidus für Abschriften) mit VI,23,23 (keine Gebühren für Testamente im Wert unter 100 Solidi). . Die Eintragung in die gesta diente dabei der Stärkung der Rechtssicherheit durch die Herstellung von Öffentlichkeit sowie dem Schutz vor Fälschungen. Zugleich erlaubte sie es der römischen Verwaltung, den Wechsel von Eigentumsverhältnissen und damit von Steuerpflichten nachzuvollziehen12 J. Barbier, Archives oubliées, S. 13. Kritisch zur Bedeutung der gesta municipalia und ihrer Verbreitung in der Spätantike N. Everett, Lay documents, ausgehend von der geringen Überlieferung von auf die gesta verweisenden Dokumenten in dieser Zeit. Die Ausbildung einer Fachterminologie für den Vorgang der Eintragung im 5. Jahrhundert deutet jedoch auf die große Bedeutung der gesta hin.. Der spätantike Inserierungsprozess begann mit der Bitte einer Person oder ihres Vertreters an eine Versammlung, ein Dokument in die gesta zu inserieren. Nach dem öffentlichen Verlesen des Dokuments durch den Notar wurde dieses geprüft und, falls anwesend, die unterzeichnenden Zeugen befragt oder eine Delegation an den Ausfertiger des Dokuments zu dessen Befragung entsandt. Nach Rückkehr der Delegation wurde die Eintragung des Dokuments in die gesta vollzogen und dem Bittsteller eine Kopie ausgehändigt. Die Aufzeichnungen umfassten dabei nicht nur das Dokument selbst, sondern auch eine protokollartige Aufzeichnung des gesamten Prozedere13 Vgl. dazu B. Hirschfeld, Gesta municipalia, S. 58-65; W. Brown, The gesta municipalia, S. 98-100. Das beste Beispiel für diesen Prozess bietet J.-O. Tjäder, Nichtliterarische Papyri I, P10-11, in welches zusätzlich noch die traditio des geschenkten Landgutes aufgenommen ist.. In fränkischer Zeit scheinen die Befragungen der Zeugen und des Ausstellers des einzutragenden Dokuments entfallen und der Prüfungsprozess damit verkürzt worden zu sein14 So entfallen die Verweise auf die Befragung der Zeugen beziehungsweise der Aussteller des zu inserierenden Dokuments in den fränkischen gesta-Protokollen. Vgl. zusammenfassend W. Brown, The gesta municipalia, S. 103.. Die Bedeutung der allegatio scheint sich damit weg von der Sicherung des Dokuments in einem zentralen Archiv durch die Eintragung in die gesta hin zur Stärkung seiner Rechtsgültigkeit durch die öffentliche Bestätigung des Vorganges verschoben zu haben15 W. Brown, The gesta municipalia, S. 106f..
HL