Ius: wörtlich „das Recht“1 DNG II, „2. ius“, Sp. 2768., aber auch die Gewalt2 DNG II, „2. ius B2“, Sp. 2769..
Gemeinsam mit lex und consuetudo gehörte ius zur Trias der römischen Rechtssprache3 M. Kaser/R. Knütel/S. Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 33; D. Nörr, Entstehung, S. 361f.; U. Wolter, Consuetudo, S. 92.. Anfänglich weitgehend unbestimmt, entwickelte sich ius in der klassischen Zeit zum Oberbegriff für die Gesamtheit der Gesetze und Regeln4 M. Kaser/R. Knütel/S. Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 33; D. Nörr, Entstehung, S. 361f.; P. Kreutz, Romidee, S. 52. Das altrömische ius bezeichnete ursprünglich jedes keine andere Person verletzende Verhalten. Davon ausgehend wandelte sich die Bedeutung von ius hin zu einer allgemein verbindlichen Verhaltensordnung, wobei der Begriff die Erlaubtheit eines Verhaltens sowohl als Rechtsstellung als auch als von jemandem beanspruchte günstige Rechtslage bezeichnen kann. In der spätrepublikanischen Zeit wurde ius damit neben potestas zur Benennung meist genau beschriebener Einzelbefugnisse verwendet. G. Köbler, Recht, S. 140f. . Neben der objektiven Bedeutung als Rechtsnorm, Rechtseinrichtung oder Rechtsordnung konnte ius auch im subjektiven Sinn verwendet werden, um die Berechtigung, Rechtsbefugnis oder Rechtsmacht eines Individuums zu bezeichnen5 M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 52; K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, S. 314f. A. Laquerrière-Lacroix, Ius et Iustitia, S. 31, stellt ius als Rechtsauslegung den leges als Gesetzgebung gegenüber.. Im Laufe der Spätantike wurde die Abgrenzung zwischen ius und lex schwächer, ohne jedoch aufgegeben zu werden6 M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 54.. Zugleich konnte ius nunmehr auch als Begriff für aus spezifischen Ansprüchen abgeleitete Rechte, zumeist bezogen auf Besitz, verwendet7 K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, S. 314f.; G. Köbler, Recht, S. 226; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 52. und somit in die Nähe der potestas gerückt werden8 G. Köbler, Recht, S. 229.. Ius als Oberbegriff für das Recht findet sich noch bei Isidor (560-636) und in der ihn rezipierenden Lex Baioariorum9 Isidor, Etymologiae V,3; Lex Baioariorum, Prolog. Für Isidor vgl. U. Wolter, Consuetudo, S. 100f., für die Lex Baioariorum G. Köbler, Recht, S. 121.. Im Allgemeinen scheint ius im Frühmittelalter jedoch im Sinne von „Gewalt“ (potestas10 K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, S. 315-318. und damit weitgehend synonym zu lex, mos und consuetudo verwendet worden zu sein11 K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, S. 315-318.. In einigen Fällen findet sich darüber hinaus auch die Gleichsetzung von ius mit „Gericht“12 G. Köbler, Recht, S. 226.. Es erscheint mithin als irreführende Vereinfachung, ius für diesen Zeitraum mit „Recht“ gleichzusetzen13 K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, S. 318.. Eine Wiederbelebung des antiken Inhalts von ius fand schließlich im 11. Jahrhundert statt und bereitete den hochmittelalterlichen Rechtsvorstellungen den Boden14 G. Köbler, Recht, S. 230. In der grundlegenden Rechtslehre Gratians im 12. Jahrhundert findet sich allerdings, im Gegensatz zu Isidor, nicht das ius als allgemeine Bezeichnung für das Recht, sondern die consuetudo. G. Dilcher, Normen, S. 24f und 155f..
HL