Nobilitas; nobilis: Edel, bekannt; der Edle, der Bekannte, der Adlige1 Zum Problem des Adelsbegriffes im frühen Mittelalter wie auch anderer stattdessen verwendeter Forschungstermini wie „Eliten“ oder „Große“ vgl. die Beiträge in F. Bougard/H.-W. Goetz/R. Le Jan, Théorie et pratiques..
Bereits in der Zeit der späten römischen Republik drückte nobilitas den besonderen Rang einer Person aus, der sich zum einen aus deren Abkunft von einer bedeutenden, bekannten Familie speiste, zum anderen aus deren Erreichen eines hohen öffentlichen Amtes, insbesondere des Konsulats, resultierte2 M. Salzman, Competing claims, S. 359f.. Diese Kombination aus Abstammung und Amt als Bedingungen für nobilitas bestand bis in die Spätantike fort, verschob sich aber mit der Mitte des 4. Jahrhunderts immer mehr auf die Abkunft aus einer dem Senatorenstand angehörenden Familie3 Ch. Badel, Le thème, S. 985-997; M. Salzman, Competing claims, S. 360f.. Diese Bezüge bestanden im frühen Mittelalter zunächst fort, wobei römisch geprägte Autoren wie Gregor von Tours († 594) begannen, den Terminus auch auf die fränkische Oberschicht zu übertragen, die jedoch teilweise nach anderen Kriterien (Ansehen, Reichtum, Position) gebildet wurde4 F. Irsigler, Untersuchungen, S. 88-95. So ist bei Gregor noch eine klare Distinktion im Gebrauch des Terminus für Angehörige des römisch-gallischen Senatorenstandes einerseits und der fränkischen Oberschicht (etwa nobilissimi in gente sua; überwiegend aber maiores natu) andererseits festzustellen. Vgl. auch M. Aurell, La noblesse, S. 17-27.. Mit dem Verschmelzen der römischen und fränkischen Oberschichten verlor sich der Bezug zum alten Senatorenstand, so dass in karolingischer Zeit nobilitas die regelmäßig durch Abstammung bedingte Zugehörigkeit zur Oberschicht bezeichnete5 H.-W. Goetz, Nobilis, S. 179-181. , ohne dass diese jedoch als eigener Stand verstanden werden sollte6 S. Patzold, Adel oder Eliten, S. 132f.. Nobiles leiteten aus ihrer Abkunft einen Anspruch auf Teilhabe an der Herrschaft und die Übernahme hoher öffentlicher Ämter ab, doch gehörte nur ein kleiner Teil der nobiles zu jener politisch-kirchlichen Führungsschicht, die diese Ämter tatsächlich inne hatte und deren Angehörige in den Quellen als proceres, primores, primates, optimates oder principes bezeichnet werden7 F. Irsigler, Untersuchungen, S. 93-95; H.-W. Goetz, Nobilis, S. 170-176. So findet sich in bayerischen Quellen des 8. und 9. Jahrhunderts nobilis als allgemein gebrauchter Terminus für Freie (liberi) mit Allodialbesitz. Vgl. Th. Kohl, Lokale Gesellschaften, S. 41-43. Letztlich durfte die Zugehörigkeit zur nobilitas vom jeweiligen Bezugsrahmen, dem eigenen sozialen Ansehen und der sozialen Stellung abhängig gewesen sein. H.-W. Goetz, Nobilis, S. 177-179.. Mit der Abstammung gingen bestimmte Erwartungshaltungen an die Lebensform eines nobilis einher, die neben Wohlstand (aus Grundbesitz) und Teilnahme an den Kriegszügen auch Erwartungen an Aussehen, Auftreten, Bildung und Tugendhaftigkeit beinhalteten8 H.-W. Goetz, Nobilis, S. 181-188.. Mit diesen Tugenden verband sich bereits in römischer Zeit ein weiteres Verständnis von nobilitas: Nobilis war, unabhängig von seiner Abstammung, derjenige, der sich durch besondere Tugendhaftigkeit auszeichnete9 F. Irsigler, Untersuchungen, S. 142-148 und 237-252; H.-W. Goetz, Nobilis, S. 181-188. Diese aus Tugend gewonnene nobilitas erhöhte die angeborene nobilitas, war aber von dieser unabhängig. Zu den römischen Ursprüngen dieser Bedeutung von nobilitas vgl. M. Salzman, Competing claims, S. 361-364 und 373-379..
HL