Servus, weibl. ancilla: ursprünglich „Sklave“ und „Sklavin“1 DNG II, „servus“, Sp. 4376; DNG I, „ancilla“, Sp. 325. Die Lebenssituationen von servi und ancillae unterschieden sich im Frühmittelalter nicht wesentlich. Vgl. dazu M. Obermeier, Ancilla., im Frühmittelalter allgemein auch „Unfreier“ und „Unfreie“2 Niermeyer II, „servus 2“, S. 1262. Die Literatur zum Problem, ob servus in den frühmittelalterlichen Quellen als „Sklave“ oder als „Unfreier“ (engl./frz. serf) zu übersetzen sei, bzw. ab wann nicht mehr von „Sklaven“ gesprochen werden sollte, ist ebenso reichhaltig wie gespalten. Vgl. dazu etwa H.-W. Goetz, Serfdom; Ch. Verlinden, Esclavage; P. Bonnassie, Slavery; W. Rösener, Vom Sklaven zum Bauern; A. Rio, Slavery.. Servus und ancilla sind als Begriffe während des gesamten ersten Jahrtausends in Gebrauch3 V. Corriol, Serfs, S. 27; A. Rio, Slavery, S. 15. Inwieweit der servus in den frühmittelalterlichen Quellen noch dem antiken Bild eines Sklaven entspricht ist in der Forschung umstritten. (Vgl. auch Anm. 2). und werden im Laufe des 11. Jahrhunderts zu Gunsten der allgemeineren Bezeichnung homo aufgegeben4 D. Hägermann, Aspekte, S. 62; M. Parisse, Esclavage, S. 97.. Neben dem allgemeinen Begriff servus finden sich im häuslichen Bereich auch puer und puella5 S. Freudenberg, Trado atque dono, S. 188; DNG II, „puer B 1“, Sp. 3948. sowie vernaculus und vernacula6 DNG II, „vernaculus“, Sp. 4977..
Nach klassisch-römischen Grundsätzen bezeichnete servus eine Person, die über keine Freiheit verfügte und als Eigentum einer anderen Person prinzipiell wie eine Sache behandelt wurde. Eine eingeschränkte Rechtsfähigkeit war dabei zum Teil möglich7 H. Grieser, Sklaverei, S. 6. Das spätantike Recht kannte verschiedene Ursachen für den Sklavenstand: die Abstammung von einer unfreien Mutter, durch Verkauf oder Aussetzung (bei Kindern), durch Versklavung wegen begangener Verbrechen oder hoher Verschuldung sowie als Folge von Kriegsgefangenschaft. E. Magnou-Nortier, Servus – servitium, S. 277; H. Grieser, Sklaverei, S. 90-96. . In den leges stellen die servi eine rechtliche Personenkategorie dar, die streng von den Freien durch andere Strafen, Bindung an einen Herrn und Einschränkungen bei der Heirat geschieden ist8 H.-W. Goetz, Serfdom, S. 34; H. Nehlsen, Sklavenrecht, S. 266-273. Zur Entwicklung des Eherechtes der servi vgl. H. Grieser, Sklaverei, S. 99-103.. Selbst nur partiell rechtsfähig, wurde die Verletzung, Tötung oder der Raub eines servus nach Sachenrecht beurteilt. Wird in den frühesten Fassungen der Herr voll für die Vergehen seiner servi in Haftung genommen, so lockert sich dies in der Folge bis zur völligen Befreiung des Herrn von jeglicher Verantwortung unter Chilperich I9 H. Nehlsen, Sklavenrecht, S. 266-273 und 353f.; D. Hägermann, Aspekte, S. 66; W. Rösener, Vom Sklaven zum Bauern, S. 79.. Bereits das römische Recht kannte mit dem peculium persönlichen Besitz des Sklaven, der jedoch trotz einer gewissen Eigenverantwortlichkeit letztlich in der Verfügungsgewalt des Herrn blieb10 H. Grieser, Sklaverei, S. 97.. Diese beschränkte Vermögensfähigkeit findet sich auch in den frühmittelalterlichen leges11 D. Hägermann, Aspekte, S. 66. Spätestens für das 9. Jahrhundert finden sich so auch servi im Besitz von servi. A. Rio, Slavery, S. 164.. Bemühungen zum Schutz der Sklaven vor ihren Herren finden sich in den leges der fränkischen Zeit im Gegensatz zur Gesetzgebung der Spätantike nicht12 H. Nehlsen, Sklavenrecht, S. 271-273.. Dennoch scheint sich die rechtliche Position der servi vom 7. bis 9. Jahrhundert insbesondere durch die Bemühungen der Kirche stark verbessert zu haben13 H.-W. Goetz, Serfdom, S. 29f. Spätestens seit dem 3. Jahrhundert wurde die Zulassung von servi zu Kirchenämtern diskutiert und dabei die grundsätzliche Unvereinbarkeit von servitus und diginitas sacri ordinis festgestellt. Für den Eintritt in Kirchenämter scheint daher zumindest die Befreiung von operae notwendig gewesen zu sein. Der Eintritt ins Kloster war erst nach Freilassung und Zustimmung des Herrn möglich. H. Grieser, Sklaverei, S. 143 und 158-162..
In sozialer Hinsicht fand bereits früh eine Differenzierung der servi statt. Neben die direkt im Haus und auf den zum Herrenhof gehörenden Feldern beschäftigten servi traten servi casati, die als Pächter auf eigenen Hofstellen eingesetzt wurden14 W. Rösener, Vom Sklaven zum Bauern, S. 79 und 84f.; H.-W. Goetz, Serfdom, S. 32f. Bei den Langobarden finden sich an Stelle der servi casati die servi massarii. Gegenüber den Haussklaven waren diese rechtlich besser gestellt und genossen eine gewisse wirtschaftliche Selbständigkeit. D. Hägermann, Aspekte, S. 69. und deren Leben sich nicht sonderlich von jenem halbfreier und freier Pächter unterschieden haben dürfte15 A. Rio, Half-free, S. 132. Die Abgrenzung zwischen servi casati und servi non casati sollte als recht durchlässig betrachtet werden. Vermutlich bestand eine recht hohe Mobilität zwischen den beiden Gruppen. J.-P. Devroey, Men and Women, S. 27f.; A. Rio, Slavery, S. 165. Die exakte Ausformung der Verpflichtung zu Abgaben und Diensten war das Ergebnis individueller Aushandlungsprozesse und variierte deshalb stark. In der Folge konnten etwa wohlhabende servi besser gestellt sein als arme Freie. A. Rio, Slavery, S. 211.. Unabhängig von der sozialen Position blieb ein Kennzeichen des Rechtsstandes als servus die enge Verbindung mit dem servitium (der Verpflichtung zu Diensten16 H.-W. Goetz, Serfdom, S. 42f. und 48f.; E. Magnou-Nortier, Servus – servitium, S. 280. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ausschließlich servi zu Diensten verpflichtet waren. Zu verschiedenen Formen des servitium vgl. L. Kuchenbuch, Bäuerliche Gesellschaft, S. 124-129.. Mit der zunehmenden Fixierung von Abgaben und Dienstpflichten seit dem 8. Jahrhundert setzte eine Angleichung an jene anderer rechtsständischer Gruppen ein, die seit dem 9. Jahrhundert zu einer Auflösung der Unterschiede zwischen diesen führte17 H.-W. Goetz, Serfdom, S. 34; W. Rösener, Vom Sklaven zum Bauern, S. 85-87.. In der Grundherrschaft des 10. Jahrhunderts war der servus auf eigener Hofstelle kein Sklave mehr, sondern ein Höriger mit eigenen Rechten und Pflichten18 H.-W. Goetz, Serfdom, S. 48f.; W. Rösener, Vom Sklaven zum Bauern, S. 88; M. Parisse, Esclavage, S. 97..
HL