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Gratia (deu)

Gratia: Gunst, Gnade, Huld, Anmut.

Im klassischen Gebrauch konnte gratia sowohl die Gunst oder den Gunsterweis als auch die Anmut bedeuten und fand in einer großen Bandbreite von Kontexten Verwendung. Im Kern dieser Verwendungen stand im Rahmen von zwischenmenschlichen Beziehungen oder der Beziehung der Menschen zu Gott eine Form von Verbindung mit der Praxis der Wohltätigkeit. Gratia drückte hier die Dankbarkeit für eine erwiesene Wohltat aus, die auch als Verpflichtung verstanden werden und materielle Erkenntlichkeiten und Zuwendungen zur Folge haben konnte. Diese Bedeutungen von gratia prägten auch das christliche Verständnis. Gratia beschreibt hier, neben den klassischen Bedeutungen, den auf Gottes Wohlwollen beruhenden Heilsstand der Christen, der durch Taufe und Zugehörigkeit zur Kirche angeeignet wird. Mit Augustinus versetzt die gratia Gottes den zur Erkenntnis gelangten Christen in die Lage, dieser Erkenntnis zu folgen und so zur Erlösung zu gelangen. Während gratia im römischen Recht kaum eine Rolle spielt, wird sie als clementia principis zu einem wesentlichen Zug der kaiserlichen Herrschaft, der dafür Sorge trägt, die Härten des Rechts abzuschwächen. Zu einer Tugend wie auch zu einem Attribut der herrscherlichen Macht wird die gratia auch bei den Franken. Gratia bezeichnet hier das königliche Wohlwollen, das notwendig ist, um Zugang zu honores zu bekommen und diese zu behalten. In karolingischer Zeit verbindet sich die gratia des Herrschers mit der liberalitas. Wie zuvor ist sie die Grundvoraussetzung für den Erhalt von honores, wird nun jedoch im Gebrauch individualisiert und mit konkreten Handlungen verbunden. Wohlverhalten führt nun zur Gewährung von gratia, die wiederum bei Ungehorsam entzogen werden kann. Gratia beschreibt damit ein Grundverständnis von königlicher Macht, nach welchem Niemandem ein Anrecht auf bestimmte Privilegien oder honores zukommt, sondern diese alleine durch die gratia des Herrschers gewährt werden.

HL

Empfohlene Zitierweise:

Lößlein, Horst, "Gratia", in: Formulae-Litterae-Chartae. Neuedition der frühmittelalterlichen Formulae, Hamburg (2022-08-25), [URL: https://werkstatt.formulae.uni-hamburg.de/texts/urn:cts:formulae:elexicon.gratia.deu001/passage/all] (letzter Aufruf: 2024-11-21)