Villa: Landhaus, Landgut1 DNG II, „villa I“, Sp. 5023..
Nachdem im klassisch-römischen Sprachgebrauch villa für ein kombiniertes Wohn- und Wirtschaftsgebäude im Kontext der Landwirtschaft stand, differenzierte sich der Begriff ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. aus. Neben die villa rustica im Agrarbereich traten nun villa-Formen, die an der Freizeitkultur orientiert waren, womit zugleich die Grenzen zum domus und Palast verschwammen2 C. Höcker, „villa“.. Seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. entwickelte sich im Rahmen der großen Güterkomplexe ein neuer, luxuriöser, oft befestigter Typ der villa, der als agrar-ökonomisches Zentrum der Großdomäne diente3 C. Höcker, „villa“; H. Dubled, Observations, S. 1f.. Der Begriff villa konnte dabei in dieser Zeit sowohl für das Landhaus selbst, den Gebäudekomplex bestehend aus der Wohnstätte des Großgrundbesitzers nebst Gemeindegebäuden, als auch für den Großgrundbesitz insgesamt verwendet werden4 H. Dubled, Observations, S. 1f. und 9. Villa konnte mithin auch synonym für domus oder curtis Verwendung finden. J. Durliat, Finances publiques, S. 155.. Während zwischen den spätantiken und frühmittelalterlichen villae zumeist keine bauliche Kontinuität bestanden zu haben scheint, lebte die Gliederung des Großgrundbesitzes, fortgeschrieben mittels des fundus, wohl fort5 R. Agache, Villae, S. 25f.; W. Rösener, Grundherrschaft, S. 38f.. Ausgehend von der Großdomäne konnte villa im frühen Mittelalter sowohl das bauliche Zentrum als auch die Domäne als Ganzes6 W. Schlesinger, Hufe und Mansus, S. 578f.; H. Dubled, Observations, S. 9; M. Heinzelmann, Villa, S. 60-62; J. Durliat, Manse, S. 496 mit Anm. 94. Die Bezeichnung villa war unabhängig von der Größe des Ortes, der an Stelle des alten Domänenzentrums entstanden war und konnte mithin sowohl ein Dorf als auch eine Stadt beschreiben. Zugleich umfasste villa als Begriff auch die gegebenenfalls an einem Ort vorhandenen besonderen Bauten, wie Befestigungsanlagen oder Pfalzen. Villa als Bezeichnung für „Dorf“ findet sich zumindest bis in die Karolingerzeit. J. Durliat, Finances publiques, S. 154f. Villa als Territorium wurde im Elsass noch im 8.-9. Jahrhundert gebraucht und konnte dort synonym zu marca oder finis verwendet werden. H. Dubled, Observations, S. 2-4. oder eine an Stelle des alten Komplexes entstandene Ortschaft mit den sie umgebenden Feldern bezeichnen. In diesem Sinne konnte villa zum einen die diese Felder bewirtschaftende Bevölkerung als soziale Einheit beschreiben7 M. Heinzelmann, Villa, S. 62. Dieses Verständnis von villa findet sich auch in der Lex Salica. Vgl. N. P. Grazianskij, Auslegung, S. 373., zum anderen aber auch, unter Einbeziehung der von diesen zu leistenden Abgaben und Dienste, als administrative Einheit Verwendung finden8 B. Chauvin, Villa, S. 164; M. Heinzelmann, Villa, S. 62. J. Durliat, Finances publiques, S. 154, spricht sich dafür aus, in der villa auch eine Fiskaleinheit zu sehen, welche die Höhe der aus einer villa entspringenden Einkünfte bemaß. Als Begründung führt er die Zirkulation von villae in Schenkungen, die Trennung von Böden und Menschen und die fehlende Präzision der Beschreibung in den Pertinenzformeln der Schenkungsurkunden sowie schließlich dem Problem, wie Teile von villae verschenkt werden konnten. Dieser Mangel an Präzision ist jedoch typisch für Besitz betreffende Urkunden des frühen Mittelalters und vernachlässigt die wahrscheinlich mit der Ausstellung der Urkunden getroffenen mündlichen Vereinbarungen, welche die notwendigen Präzisierungen zweifelsohne enthielten. E. Magnou-Nortier, Remarques, S. 205, betrachtet die villa als Bemessungsgrundlage für Grundbesitz., in die auch weitere am Ort angesiedelte Handwerksbetriebe einbezogen waren9 B. Chauvin, Villa, S. 164.. Bis zum 12. Jahrhundert scheint eine Begriffsverengung der Bedeutung von villa auf die Bezeichnung eines Dorfes stattgefunden zu haben10 H. Dubled, Observations, S. 7..
HL