Vidua: Witwe.
Bis ins 3. Jahrhundert hinein diente vidua zur Bezeichnung jedweder alleine lebenden Frau1 B. Jussen, Der Name der Witwe, S. 36-38. Vgl. auch Digesten 50,16,242,3.. Erst in der Folgezeit verengte sich die Begriffsbedeutung von vidua auf die Bedeutung „Witwe“. Bis 800 entstand, ausgehend von den Schriften der Kirchenväter und der kirchlichen Gesetzgebung, die Witwe als eine eigene soziale Kategorie, an die bestimmte Normerwartungen hinsichtlich ihrer Lebensführung (Enthaltsamkeit, Frömmigkeit) gerichtet waren2 B. Jussen, Der Name der Witwe, S. 156-198. Dies führte aus kirchlicher Sicht zur Existenz zweier Arten von Witwe: die „wahre Witwe“, deren Lebenswandel diesem Bild entsprach, und Frauen, deren Ehemänner verstorben waren. Äußeres Zeichen der „wahren Witwe“ war auch das Anlegen schwarzer Trauerkleidung. Vgl. zur frühmittelalterlichen Erwartungshaltung an die Witwe auch E. Santinelli, Des femmes éplorées? S. 144-190.. Diese „wahren Witwen“ standen im Normenmodell der Kirche hinter den Jungfrauen an zweiter Stelle3 B. Jussen, Der Name der Witwe, S. 143; J. Nelson, The wary widow, S. 84; A. Pieniądz, Widows in the Early Middle Ages, S. 33-35.. Problematisch aus kirchlicher Sicht war die Wiederheirat der Witwe, die zwar als legitim angesehen, moralisch jedoch abgelehnt wurde4 E. Santinelli, Des femmes éplorées? S. 231-240; B. Jussen, Der Name der Witwe, S. 139f.. Römisches Recht und Leges gestatteten die Wiederheirat, sahen jedoch unterschiedliche Trauerfristen vor, innerhalb derer die Wiederheirat verboten war, und räumten verschiedentlich den Verwandten der Witwe ein Mitspracherecht bei der Eheschließung ein5 Vgl. E. Santinelli, Des femmes éplorées? S. 229-231; S. Saar, Ehe, S. 341-350.. Wichtig aus Sicht der Leges waren vor allem Regelungen zur Übernahme der Munt über die Witwe durch die Verwandten, zur Verfügungsgewalt über ihre dos, sowie ihre Versorgung nach dem Tod ihres Mannes, wobei sich die Schwerpunkte der verschiedenen Leges und die Ausführung der einzelnen Punkte stark unterscheiden6 Vgl. A. Pieniądz, Widows in the Early Middle Ages, S. 31-33; S. Saar, Ehe, S. 341-350.. In der Praxis scheint die Witwe vor allem auf ihre Verwandten angewiesen gewesen zu sein, um ihre Rechte zu wahren7 J. Nelson, The wary widow, S. 88; A. Pieniądz, Widows in the Early Middle Ages, S. 32f.. Zugleich waren es diese Verwandten, die zu ihrem eigenen Vorteil die Witwe, wie andere unverheiratete Frauen, zur Knüpfung familiärer Bande einsetzen und Ansprüche auf ihr Eigentum erheben konnten8 A. Pieniądz, Widows in the Early Middle Ages, S. 30; E. Santinelli, Des femmes éplorées? S. 128-140 und 257-275..
HL