Habere – tenere – possidere: „haben“1 DNG I, „habere“, Sp. 2303-2308; Le Grand Gaffiot, „habere“, S. 735-737. – „halten“2 DNG II, „tenere“, Sp. 4696-4698; Le Grand Gaffiot, „tenere“, S. 1580f. – „besitzen“3 DNG II, „possidere“, Sp. 3746; Le Grand Gaffiot, „possidere“, S. 1220..
Im klassisch-römischen Recht bedeutet habere, dass eine Person über ein Recht (actio) verfügt, welches es ihr ermöglicht, sich ihr Eigentum (dominium, proprietas) oder ihren Besitz (possessio) zu sichern (habere ius actionis4 A. Berger, Encyclopedic dictionary, „habere (rem)“, S. 484; MLW IV, „habeo“, Sp. 894-909.. Tenere dagegen drückt nur ein rein faktisches Innehaben aus5 A. Berger, Encyclopedic dictionary, „tenere“, S. 731, mit Verweis auf „detentio“, S. 433. Tenere wird also synonym zu detentare benutzt.. Possidere wiederum bedeutet besitzen, wobei der Besitz (possessio) sich im klassisch-römischen Recht klar vom Eigentum (dominium, proprietas) unterscheidet6 J.-Ph. Lévy/A. Castaldo, Histoire du droit civil, S. 527-543.. Ab dem 4.-5. Jahrhundert ändern sich mit den grundherrschaftlichen Strukturen und den Interessen des Fiskus auch die klassisch-römischrechtlichen Bedeutungen der Besitz- und Eigentumsbegriffe: possessio wird der allgemein gängige Begriff für alle „reellen“ Rechte7 A. Biscardi, Studi sulla legislazione, S. 279-287; A. Laquerrière-Lacroix, Ius et Iustitia, S. 54; E. Levy, West Roman vulgar law, S. 19-99 ; C. Cannata, Possessio, S. 197.. Neue Begriffe wie zum Beispiel firmiter possidere oder sine inquietudine possidere entstehen, um einen Besitz mit Rechten von einem rein faktischen Besitz unterscheiden zu können. Dieser Besitz, der über das rein faktische Innehaben hinausgeht, lässt sich nicht (immer) deutlich von Eigentum oder Nießbrauch unterscheiden, weshalb es zu Verwirrung kommt8 S. Vandendriessche, Possessio und Dominium, S. 6.. Seit der klassisch-römischen Zeit können habere, tenere und possidere sowohl im juristischen als auch im allgemeinen Sprachgebrauch eine Trias bilden9 Im dritten Teil der stipulatio Aquiliana (1. Jahrhundert. v. Chr.) heißt es quodve tu meum habes tenes possides (Flor. D. 46, 4, 18, 1) bzw. quodque tu meum habes tenes possides possideresve dolove malo fecisti, quo minus possideas (Inst. 3, 29, 2). Vgl. M. Kaser, Stipulatio Aquiliana, S. 346; F. Sturm, Stipulatio Aquiliana, S. 15f. und 282f. Noch älter sind die zweigliedrigen Ausdrücke habere, possidere und possidere, tenere die sich bis ins 2. Jahrhundert. v. Chr. zurückverfolgen lassen. Auch sie bezeichnen sowohl im juristischen als auch im allgemeinen Sprachgebrauch die Sachgewalt, ohne diese rechtlich näher zu qualifizieren. Vgl. M. Kaser, Stipulatio Aquiliana, S. 354; F. Sturm, Stipulatio Aquiliana, S. 286 und 294. Zur kontinuierlichen Verwendung dieser Ausdrücke, siehe H. Siems, Handel und Wucher, S. 396f., die als einheitlicher Begriff aufzufassen ist und jedes Recht an einer Sache ausdrücken kann10 F. Sturm, Stipulatio Aquiliana, S. 282 und 294..
BQ & AJ