Lex Romana: Das römische Recht.
Römisches Recht blieb auch nach dem Untergang des weströmischen Reiches in vielen Facetten, in Form des kodifizierten Reichsrechts, Provinzialrechts oder der Jurisprudenz, maßgeblich1 Vgl. dazu auch S. Esders/H. Reimitz, After Gundovald.. Die romanischen Teile der Bevölkerung2 J. Gaudemet, Survivances romaines, S. 157f.; P. Heather, Law and society. Das Personalitätsprinzip des Rechts wurde später durch das Regionalprinzip abgelöst. wie auch die Kirche blieben ihm unterworfen3 Lex Ribuaria 61 (58),1; vgl. auch D. Walters, From Benedict.. Römisches Recht wirkte (in unterschiedlichem Maße) in die verschiedenen Leges hinein4 I. Wood, The code in Merovingian Gaul, S. 161f.; J. Gaudemet, Survivances romaines, S. 161f. Vgl. auch S. 162f. für die Rezeption römischen Rechts in den merowingischen und karolingischen Kapitularien. und blieb prägend für das Kirchenrecht5 D. Walters, From Benedict; I. Wood, The code in Merovingian Gaul, S. 161f.; J. Gaudemet, Survivances romaines, S. 164-168. Rezipiert wurden hier vor allem kirchliche Fragen betreffende Regelungen wie Eherecht, Inzestverbot, Asylrecht, Bestattungen u.a. Römische Rechtssetzungen konnten dabei auch auf Weisen interpretiert werden, die ihrem ursprünglichen Sinne entgegenstanden. Vgl. dazu S. Esders/H. Reimitz, After Gundovald.. Prinzipien des römischen Rechts wirkten vor allem auch im privatrechtlichen Bereich fort, wobei dessen juristische Kategorien im Laufe der Zeit einem Wandlungsprozess unterworfen sein konnten6 J. Gaudemet, Survivances romaines, S. 182f. .
Grundlegend für die Tradierung römischen Rechts war die Kodifizierung der seit Konstantin dem Großen († 337) erlassenen kaiserlichen constitutiones im Jahr 438 unter Theodosius II. im Codex Theodosianus7 Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes, ed. T. Mommsen/P. Meyer, Berlin 1905. Vgl. dazu D. Liebs, Roman Law, S. 244-246; J. F. Matthews, Laying down; J. F. Matthews, The making of the text; B. Sirks, The sources of the code. Das auf dem Vorbild privater Sammlungen aus der Zeit Diokletians (Codex Gregorianus und Codex Hermogenianus) beruhende Vorhaben Theodosius II. hatte ursprünglich das sehr viel weiter gesetzte Ziel, alles juristische Material zu sammeln, dieses nach Rechtsinhalten zu ordnen, dabei sprachlichen Zierrat zu entfernen, veraltete Gesetzgebung auszuscheiden und Widersprüchlichkeiten zu beseitigen. Das Vorhaben wurde nach sieben Jahren abgebrochen, so dass die aufgenommene Auswahl von Texten unvollständig ist. Welche Konstitutionen aufgenommen wurden und welche nicht, scheint dabei oft vom Zufall bestimmt worden zu sein. Obsoletes Material scheint zudem oft nicht ausgeschieden worden zu sein.. Der Codex wurde in der Folgezeit um weitere Novellen, vor allem der Kaiser Theodosius II. und Valentian III. († 455), ergänzt8 D. Liebs, Roman Law, S. 246f. Nach den Novellen dieser Kaiser wurden auch Konstitutionen Majorans, Marcians, des Libius Severus und des Anthemius aufgenommen. Insgesamt finden sich so 102 weitere Titel. . Neben dem Codex Theodosianus existierten eine Vielzahl weiterer, nicht kodifizierter Gesetze, Rechtssammlungen (wie dem Codex Gregorianus, dem Codex Hermogenianus9 Der Codex Gregorianus und der Codex Hermogenianus entstanden gegen Ende des 3. Jahrhunderts aus Bestrebungen, kaiserliche Konstitutionen zu sammeln und zu gliedern. Beide sind nur mittelbar in Auszügen erhalten. oder den Constitutiones Simondianae10 Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes, ed. T. Mommsen/P. Meyer, Berlin 1905, Bd. I,2, S. 907-921. Bei den Consitutiones Sirmondianae handelt es sich um eine private Sammlung kaiserlicher Gesetzgebung mit Blick auf das Kirchenrecht, die wohl in den 430er Jahren in Gallien entstand. Vgl. D. Liebs, Roman Law, S. 255; M. Vessey, The origins. ) und Rechtsliteratur (wie den Pauli Sententiae11 Die Pauli Sententiae, auch pseudopaulinische Sentenzen, entstanden Ende des 3./Anfang des 4. Jahrhunderts. Bei ihnen handelt es sich um eine bis Mitte des 5. Jahrhunderts immer wieder überarbeitete Zusammenstellung von Texten zu Straf- und Privatrecht. Die Pauli Sententiae sind nur in Auszügen mittelbar erhalten. Pauli Sententiae, in: Lex Romana Visigothorum, ed. G. Hänel, Leipzig 1849, S. 338-444.Vgl. dazu etwa J. Gaudemet, Le bréviaire, S. 35f.; D. Liebs, Römische Jurisprudenz in Afrika. oder den Institutionen des Gaius12 Bei den Institutionen des Gaius handelte es sich um ein juristisches Lehrbuch zum Privatrecht aus der Mitte des 2. Jahrhunderts. Sie sind nur mittelbar in Auszügen erhalten.). Gemeinsam bildeten sie die Quellen für die in den Nachfolgereichen entstehenden Leges, so der Lex Romana Burgundionum, die sich neben der Lex Burgundionum auch stark auf römisches Recht stützte13 Lex Romana Burgundionum, ed. L. von Salis (MGH LL nat. Germ. II,1), Hannover 1892. Bei der wohl in den 510er Jahren entstandenen Lex Romana Burgundionum handelte es sich um eine Zusammenstellung von üblichen Fällen der Rechtspraxis für iudices. H. Nehlsen, Alarich II., S. 176f. Sie war im Aufbau und Text eng angelehnt an die Lex Burgundionum König Gundobads († 516) und basierte ansonsten auf dem Codex Theodosianus, den Institutionen des Gaius, den Pauli Sententiae, dem Codex Gregorianus, dem Codex Hermogenianus sowie dem ostgotischen Edictum Theoderici. D. Liebs, Geltung kraft Konsenses, S. 72-76; P. Heather, Law and society. Seine Gültigkeit war wohl nicht, wie oft angenommen, auf die romanische Bevölkerung beschränkt. Vgl. dazu insb. P. Amory, The meaning..
Die größte Wirkungsmacht für das frühe Mittelalter entwickelte jedoch die 506 unter Alarich II. zusammengestellte Lex Romana Visigothorum (auch Breviarium Alarici14 Lex Romana Visigothorum, ed. G. Hänel, Leipzig 1849. Die Bezeichnung Breviarium findet sich erst im 16. Jahrhundert. In den Manuskripten wird sie unter anderem als lex Romana, lex Romanorum, corpus Theodosianum, lex Theodosii, liber legum, liber iuris, liber legis oder corpus legum bezeichnet. Zur älteren Forschungsgeschichte und der oft negativen Wahrnehmung des Breviars vgl. H. Nehlsen, Alarich II., insb. S. 143-161. Zum Nachleben vlg. I. Wood, Nachleben.. Das Breviarium war umfassend angelegt und sollte das vorangegangene Recht aktualisieren und ersetzen. Aufgenommen wurde eine Auswahl von Texten aus dem Codex Theodosianus (vor allem Bücher I-V zum Privatrecht, verzichtet wurde demgegenüber auf die Regelungen zur römischen Armee, zur Organisation des sozialen Lebens in den Metropolen, zu Abläufen der Verwaltung und zum Steuerrecht), dem Codex Gregorianus, dem Codex Hermogenianus, den Novellen der späteren Kaiser sowie Auszüge aus dem liber Gaii15 Nicht zeitgenössisch auch Epitome Gai. Bei diesem handelte es sich um eine wohl in den 460er Jahren entstandene interpretierende Paraphrase der Institutionen des Gaius. D. Liebs, Roman Law, S. 256; J. Gaudemet, Le bréviaire, S. 34f., den Pauli Sententiae und ein Fragment der Responsa Papians16 Vgl. dazu H. Nehlsen, Alarich II., S. 175-178; J. Gaudemet, Le bréviaire, S. 16f. und 23-37. Gegenüber dem Codex Theodosianus entfielen damit ca. 3000 constitutiones sowie 71 Novellen. Gekürzt wurden ebenso Codex Gregorianus und Codex Hermogenianus sowie die Pauli Sententiae. Durchgeführt wurde die Zusammenstellung ebenso wie beim Codex Theodosianus durch eine mit anerkannten Rechtsgelehrten besetzte Kommission. Einige Manuskripte enthalten darüber hinaus Appendices (in unterschiedlichen Zusammenstellungen) mit weiteren Konstitutionen aus Codex Theodosianus, Codex Gregorianus und Codex Hermogenianus sowie den Pauli Sententiae.. Gegenüber dem bestehenden Recht wurden dabei nur minimale Korrekturen vorgenommen17 J. Gaudemet, Le bréviaire, S. 9 und 15-17; J. F. Matthews, The interpretationes, S. 12f.. Alle Texte mit Ausnahme des liber Gaii wurden dabei mit einem erklärenden Kommentar (interpretatio) versehen18 J. F. Matthews, The interpretationes, S. 12f., entgegen der lange vorherrschenden Meinung, die Interpretationes seien älteren Datums. Vgl. zur älteren Forschung auch J. Gaudemet, Le bréviaire, S. 37-41.. Das Breviar wurde bis ins 10. Jahrhundert wiederholt zusammengefasst19 Zu den wichtigsten Epitome zählen die Epitome Aegidii aus dem 8. Jahrhundert, basierend auf diesen und dem Codex Theodosianus die Epitome Scintilla, die Epitome Guelferbytana, die Epitome Monachi sowie die in Form einer Expositio des Breviars erscheinenden Epitome Lugdunensis (Ende 9./Anfang 10. Jahrhundert). Vgl. dazu J. Gaudemet, Le bréviaire, S. 42-48. Die Epitome wurden von Gustav Hänel parallel zum Text der Lex Romana Visigothorum ediert.; die knappen Zusammenfassungen beziehen sich dabei allerdings zumeist auf die interpretatio und nicht auf den eigentlichen Gesetzestext20 J. Gaudemet, Le bréviaire, S. 41f.. In ihnen wurde das Recht des Breviars an ihre soziale Lebenswelt angepasst, veraltetes Recht aber nicht ausgeschieden, sondern tradiert21 J. Gaudemet, Le bréviaire, S. 54-57.. Das ob ihrer Form und ihres Umfangs bedeutendste Beispiel stellt dabei die auch als Epitome Sancti Galli bekannte, wohl Anfang des 8. Jahrhunderts entstandene Lex Romana Curiensis dar, in die nun auch fränkische Rechtstermini Eingang fanden22 Die Rechtsquellen des Kantons Graubünden. Lex Romana Curiensis, ed. E. Meyer-Marthaler (Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, Abteilung XV), Aarau 1959. Vgl. dazu J. Gaudemet, Le bréviaire, S. 48-52; H. Siems, Zur Lex Romana Curiensis. Die Abhängigkeit der Lex Romana Curiensis vom Breviar ist eindeutig, der genaue Zusammenhang allerdings unklar. Offenbar wurde bei ihrer Erstellung eine gekürzte Fassung des Breviars genutzt. Auch eine Abhängigkeit von verschiedenen Epitome ist wahrscheinlich..
Wenig Beachtung im Westen fand vor dem 11. Jahrhundert, obwohl bekannt, die Gesetzgebung Kaiser Justinians († 56523 Vgl. dazu D. Liebs, Roman Law, S. 253; D. Walters, From Benedict; Ch. M. Radding/A. Ciaralli, The Corpus Iuris Civilis, S. 47-64.. Dieser nahm das Projekt Theodosius II. in vereinfachter Form wieder auf. Auf Grundlage des Codex Gregorianus, des Codex Hermogenianus, des Codex Theodosianus und der seither im Osten erlassenen Novellen wurde der Codex Justinianus geschaffen, der dieses ältere Recht ordnete, vereinfachte, korrigierte und ergänzte24 Corpus Iuris Civilis II: Codex Iustinianus, ed. P. Krüger, Berlin 1877. Vgl. dazu D. Liebs, Roman Law, S. 247-249. Eine zweite Fassung ersetzte bald die erste. . Daneben entstanden aus der Zusammenschau der juristischen Literatur die Digesten, bestehend aus immer wieder ergänzten und veränderten Exzerpten aus derselben, die wohl eher für die juristische Ausbildung als für den Gebrauch vor Gericht gedacht waren25 Corpus Iuris Civilis I: Iustinani Digesta, ed. Th. Mommsen, Berlin 1877; D. Liebs, Roman Law, S. 249f. Die Digesten überliefern 1508 Titel älterer Rechtsliteratur. Schätzungen gehen von etwa 7000 zu dieser Zeit bekannten Titeln aus.. Zur Lehre waren wohl auch die Institutiones Justinians gedacht, eine Kompilation aus verschiedenen Einführungswerken und den Digesten26 Corpus Iuris Civilis I: Iustiniani Institutiones, ed. P. Krüger, Berlin 1877; D. Liebs, Roman Law, S. 250f.. Weitere, später erlassene Novellen wurden nur noch privat gesammelt27 Corpus Iuris Civilis III: Novellae, ed. R. Schoell/W. Kroll, Berlin 1895; D. Liebs, Roman Law, S. 251f.. Codex Justinianus, Digesten, Institutiones und Novellen wurden seit dem 13. Jahrhundert als Corpus Iuris Civilis bezeichnet. Stärker im Westen rezipiert wurden lediglich die Epitome Juliani, eine Zusammenfassung von 124 Novellen Justinians28 Iuliani Epitome Latina Novellarum Iustiniani, ed. G. Hänel, Leipzig 1873. Ch. M. Radding/A. Ciaralli, The Corpus Iuris Civilis, S. 47-64; D. Liebs, Roman Law, S. 252.. Verarbeitung fanden sie unter anderem in der Lex Romana canonice compta, einer überwiegend kirchenrechtlichen Sammlung aus dem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts29 Lex Romana canonice compta, ed. C. Mor (Pubblicazioni della R. Università di Pavia, Facoltá di giurisprudenza 31), Pavia 1927. Neben den Epitome Juliani enthält sie auch Exzerpte aus dem Codex Iustinanus und den Institutionen sowie Kapitel aus dem Capitulare Olonnense ecclesiasticum primum Lothars I. und dem Edictum Theoderici. .
HL