Stipulatio: nach Isidor von Sevilla „Versprechen“ oder „Gelöbnis“1 Isidor, Etymologiae V, 24, 30: stipulatio est promissio vel sponsio..
In der römischen Antike bezeichnete die stipulatio ein streng formales Rechtsgeschäft2 T. Finkenauer, Stipulation, S. 305f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-387. Dieses beruhte zunächst auf einem mündlichen, an Frage- und Antwortform gebundenem Leistungsversprechen, bei welchem eine Partei gegenüber einer anderen eine Verpflichtung einging3 M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-387; M. Kaser/R. Knütel/S. Lohsse, Römisches Privatrecht, S.56f.; N. Forgó, „Stipulatio“. Dabei formulierte der zukünftige Gläubiger eine Frage an den zukünftigen Schuldner, welche dieser mit Wiederholung des Frageverbums beantworten muss (dari spondes? spondeo, ‘gelobst Du, daß gegeben wird?’ ‘Ich gelobe es, etc.’, Gaius, Institutiones 3,92; Breviarium Alarici, Pauli Sententiae II,3: Stipulatio est verborum conceptio, ad quam quis congrue interogatus respondet: velut, spondes? spondeo: dabis? dabo: promittis? promitto: fidei tuae erit? fidei meae erit. Et tam pure quam sub conditione concipi potest. Vgl. auch ebd. Interpretatio: Stipulatio est inter praesentes haec verba, quibus se invicem partes obligare possunt: ubi necesse est, ut interrogatione petentis pulsatus ad interrogata respondeat. Veluti si quis pro alio fideiussorem se dicat accedere: qui quum se hac responione obligaverit, ad solutionem etiam sine scriptura poterit retineri.). Vgl. auch P. Erhart, J. Kleindienst, Urkundenlandschaft, S. 45.. Auf diesen Verbalvertrag wird in lateinischen Urkunden des 2.-3. Jahrhunderts durch eine entsprechende Stipulationsformel verwiesen4 D. Simon, Studien, S. 26-28 und 34; A. Giry, Manuel, S. 573; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-387.. Die Formel ist zumeist abstrakt formuliert und nennt den Stipulationszweck nicht5 T. Finkenauer, Stipulation, S. 305f.. Während der rechtskonstituierende Gehalt der Formel bestehen blieb, verschwindet in der Folge die Notwendigkeit, die Stipulation tatsächlich mündlich zu vollziehen6 D. Simon, Studien, S. 26-28 und 34; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-387.. Bis zum Ende des 9. Jahrhunderts findet sich die spätantike Stipulationsformel zumeist in der Form cum stipulatione subnixa weit verbreitet in den Poenformeln fränkischer Urkunden7 A. Giry, Manuel, S. 572f.; P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 25f. und 30; P. Erhart, J. Kleindienst, Urkundenlandschaft, S. 37f. Letztere, S. 45, sehen in der Stipulationsformel cum stipulatione subnixa eine verballhornte Form der römischen stipulatio, die als Komplementär der Strafsanktionen oder als Corroborationsmittel diente. Abgewandelte Schreibformen der stipulatio finden sich etwa als astibulacione, extiblacione, constiblacione, istibulatione. Vgl. A. Giry, Manuel, S. 574.. Das Verständnis für die Herkunft der stipulatio scheint jedoch im Laufe der Zeit verschwunden8 C. Soliva, Römisches Recht, S. 198f.; A. Giry, Manuel, S. 574; P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 30f.; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, 34-46. So findet sich im 8. Jahrhundert eine Herleitung der stipulatio von stipula = „Halm“, der in Zusammenhang mit dem fränkischen Traditionssymbol der festuca gebracht wurde. Die festuca (= Stab, Halm) diente im Prozess aus Anlass der Abrede im Rahmen der sehr formellen Wechselrede der Parteien als Rechtswahrzeichen. Auch Isidor, Etymologiae V, 24, 30, erwähnt diese Herleitung. und nur ein geringes Bewusstsein für die Verbindung mit dem römischen Vertragswesen erhalten geblieben zu sein9 So klingen in Formulierungen wie stipulatione Aquiliana oder arcadiana subnixa wohl noch Erinnerungen an das römische Recht an. A. Giry, Manuel, S. 573; E. Meyer-Marthaler, Römisches Recht, S. 211; P. Erhart, J. Kleindienst, Urkundenlandschaft, S. 44. P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 30.. Es scheint, dass die Formel zur Stärkung von Autorität und Sicherheit der ausgestellten Urkunden weiterverwendet wurde10 A. Giry, Manuel, S. 572f.; E. Meyer-Marthaler, Römisches Recht, S. 210; P. Erhart, J. Kleindienst, Urkundenlandschaft, S. 37f.. In manchen Fällen kann sie zudem auf die Unterzeichnung durch den Aussteller oder der Zeugen hindeuten11 A. Giry, Manuel, S. 574; D. Simon, Studien, S. 35-40; P. Erhart, J. Kleindienst, Urkundenlandschaft, S. 45.. Nach dem 11. Jahrhundert erscheint stipulatio nach wie vor häufig in den Schlussklauseln der Urkunden, weißt jedoch keinen erkennbaren Bezug zur alten Formel cum stipulatione subnixa mehr auf. Im 12.-13. Jahrhundert scheint stipulatio in der Bedeutung von Versprechen oder Verpflichtung gebraucht worden zu sein12 A. Giry, Manuel, S. 574..
HL