Burgus: Vorstadt, Marktstraße. Möglicherweise vom germanischen *burgs oder griechischen πύργος, vermutlich Wurzel des spanischen burgo, italienischen borgo und französischen bourg1 Vgl. zu den verschiedenen Thesen zusammenfassend E. Ennen, Frühgeschichte, S. 124; W. Schlesinger, Stadt und Burg, S. 121; V. Bruppacher, Zur Geschichte der Siedlungsbezeichnungen II, S. 9-11..
In der Spätantike stand burgus für den kleinen Wehrturm oder das kleines Kastell an der Limesgrenze2 Orosius, Historiarum adversum paganos VII,7,32,11-12 (crebra per limitem habitacula constituta burgos vulgo vocant); übernommen auch von Isidor, Etymologiae IX,2,99 und IX,4,28 (Burgarii a burgis dicti quia crebra per limites abitacula constituta burgos uulgo uocant). Vgl. dazu auch E. Ennen, Frühgeschichte, S. 124f.; W. Schlesinger, Stadt und Burg, S. 121; V. Bruppacher, Zur Geschichte der Siedlungsbezeichnungen II, S. 10-13.. In merowingischer und karolingischer Zeit ist der Gebrauch von burgus nur vereinzelt belegt3 Vgl. zu den frühen Belegen V. Bruppacher, Zur Geschichte der Siedlungsbezeichnungen II, S. 12-14 und 16f. Die von Bruppacher angeführten Belege für das 9. Jahrhundert lassen sich ohne Probleme weiter vermehren, vgl. etwa DKdK 80 oder Chartes de Saint-Bénigne I, Nr. 82, 89 und 93.. Es scheint jedoch ein Bedeutungswandel stattgefunden zu haben, dessen Ende spätestens mit Liutprand von Cremona († 972) erreicht wurde. Burgus findet sich nun in der Bedeutung einer geschlossenen, aber unbefestigten Siedlung, zumeist im Sinne einer den Befestigungsanlagen etwa einer civitas vorgelagerten Ansiedlung oder einer Marktgasse innerhalb dieser Vorstadt4 Liutprand, Antapodosis III, 45 (ipsi domorum congregationen, quae muro non clauditur, burgum vocant). Vgl. dazu auch E. Ennen, Frühgeschichte, S. 124f.; W. Schlesinger, Stadt und Burg, S. 121-123. Schlesinger argumentiert gegen eine kontinuierliche Bedeutungsentwicklung von burgus seit der Spätantike und geht von einer Neubildung von burgus abgeleitet vom germanischen *burgs im frühen Mittelalter aus.. Erst im 10. Jahrhundert erscheint burgus in großer Zahl in Quellen aus dem westfränkischen Raum, wo es sich in der Folge zur Bezeichnung zunächst für in der Regel befestigte Siedlungen mit Markt und sodann auch für die Stadt entwickelte, zugleich aber ebenso eine einzelne Vorstadt wie auch die Summe der Vorstädte, ein Stadtviertel oder einen Straßenzug bezeichnen konnte5 H. Ammann, Vom Städtewesen, S. 140f.; E. Ennen, Die europäische Stadt, S. 104f. Burgi entstanden dabei nicht nur um bereits existierende Städte, sondern auch um Klöster und Burgen oder als Neugründungen völlig unabhängig von bereits bestehenden Strukturen. Vom westfränkischen Raum aus verbreitete sich das in diesem Sinne gebrauchte burgus auch auf der nördlichen spanischen Halbinsel sowie in Oberitalien. . Befestigte Orte bezeichnete burgus bereits zuvor im ostfränkischen Raum, wohl ausgehend vom germanischen *burg für „Wehranlage“, oft synonym verwendet zu castrum, aber auch zu civitas6 E. Ennen, Frühgeschichte, S. 126. Vgl. dazu auch W. Schlesinger, Stadt und Burg, S. 103 und 108-112.. Abgeleitet von burgus findet sich seit Mitte des 11. Jahrhunderts die Bezeichnung burgensis für die Bewohner eines so bezeichneten Ortes, meist in Abgrenzung von den als cives bezeichneten Bewohner der civitas7 H. Ammann, Vom Städtewesen, S. 133., bzw. den Handel treibenden Bewohner eines Ortes mit Markt8 E. Ennen, Frühgeschichte, S. 182.. Spätestens im 12. Jahrhundert entwickelte sich burgensis dann zur Standesbezeichnung im Sinne von Bürger, einhergehend mit einer besonderen Rechtsstellung9 H. Ammann, Vom Städtewesen, S. 141..
HL