SCHENKUNG, DIE ZUGUNSTEN DER BRAUT GETÄTIGT WURDE1 Es handelt sich um eine bearbeitete Fassung von Tours 14. Gegenüber der ursprünglichen Formel wurde vor allem die Arenga geändert und der Begriff des osculum intercedentis eingeführt. Die Formel enthält gegenüber dem ursprünglichen Toursmaterial zahlreiche Vulgarismen bzw. Romanismen, die wir so in den Toursstücken kaum finden. Mit donatio wurde im römischen Recht die Schenkung bezeichnet. Seit Konstantin dem Großen (†337) war die donatio ein Geschäftstyp eigener Art, der wie der Kauf den Übergang des Eigentums unmittelbar bewirkte. Wie dieser musste sie vor Zeugen stattfinden, schriftlich niedergelegt und öffentlich registriert werden. Vgl. dazu E. Levy, West Roman vulgar law, S. 138f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 394-399. Der Zusatz in sponsa facta weist die donatio hier als Brautgabe (auch dos) aus, deren Umfang in der Regel in Verhandlungen zwischen den Familien vor der Hochzeit bestimmt wurde. Sie wurde Eigentum der Frau, verblieb aber in der Kontrolle des Ehemannes und fiel erst mit dessen Tod oder einer von der Frau unverschuldeten Scheidung an diese, um ihre Versorgung und die ihrer Kinder zu sichern. Ch. Lauranson-Rosaz, Douaire et sponsalicium, S. 101; R. Le Jan, Aux origines du douaire médiéval, S. 115-118; E. Santinelli, Ni "Morgengabe", S. 247f. Nach römischem Recht war die dos vom Vater der Braut zu stellen. Im frühen Mittelalter scheint diese Praxis dagegen nahezu vollständig durch die Morgengabe des Bräutigams abgelöst worden zu sein. Vgl. dazu P. L. Reynolds, Dotal charters, S. 118-120.
Die Gesetzgeber haben befohlen und alter Brauch lehrt2 Lex und consuetudo stellen hier keine Gegensätze im Sinne schriftlichen und mündlichen Rechts dar, sondern beschreiben gleichermaßen das gültige und praktizierte Recht, welches durchaus von den in den Leges niedergelegten Bestimmungen abweichen konnte. Vgl. dazu H. Nehlsen, Aktualität, S. 462-464., dass man der Gattin zuerst ein Unterpfand3 Bei der arra (sponsalicia) handelte es sich nach römischem Recht um eine Gabe des Bräutigams an die Braut, mit welcher der Abschluss des Verlöbnisses bekräftigt wurde. Bei dieser konnte es sich um eine Summe Geldes oder auch ein symbolisches Objekt, insbesondere einen Ring handeln. Diese römische Praxis der Ringgabe zur Verlobung fand anschließend auch bei Franken, Westgoten und Langobarden Verbreitung. Vgl. Codex Theodosianus III,5,11; Breviarium Alarici III,5,6 Interpretatio; Gregor von Tours, Vitae patrum XX,1. Zur arra sponsalicia vgl. M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 160-162; E. Chénon, Recherches historiques, S. 578-587; P. L. Reynolds, Marriage in the western church, S. 6f. und 387f., später dann einen Verlobungskuss4 In der Handschrift ist die Endung von intercede[...] verblasst, im weiteren Verlauf des Dokuments ist jedoch stets vom osculum intercedentis die Rede. Die Arenga ist unabhängig vom vorliegenden Stück nochmals in einer singulär überlieferten Formel belegt. Die Handschrift Leiden, UB, Voss. Lat. O. 15 XIV überliefert auf fol. 210v eine teilanonymisierte donatio eines Barius an seine anonyme Braut. Dort findet sich an der entsprechenden Stelle allerdings die Junktur osculo intercedente (Latores legis edicunt [et] antiqua c[on]suetudo edocet ut prius arras c[on]iugis p[ost]m[od]o osculo int[er]cedente p[er]sonaru[m] qualitate c[on]cedat[ur], sic[ut] in theodosiano codice...). Nach römischem Recht (vgl. Breviarium Alarici III,5,5 Interpretatio) war der Verlobungskuss (interveniente osculo/intercedente osculo) eines der konsitutiven Elemente für die Gültigkeit einer Verlobung und den Anspruch der Braut auf die Brautgabe. Der Verlobungskuss selbst taucht erstmals in christlichen Texten auf und scheint zunächst vor allem auf der iberischen Halbinsel und in Nordafrika verbreitet gewesen zu sein. In fränkischer Zeit scheint osculum neben seiner Bedeutung als Kuss auch einen Bezug zur Brautgabe bzw. dem diese festhaltenden Dokument bekommen zu haben. Vgl. dazu E. Chénon, Recherches historiques, S. 587-597; M. B. Pharr, The kiss in Roman law, S. 394-397; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 195; P. L. Reynolds, Marriage in the western church, S. 386-389. entsprechend der Verhältnisse der Personen solcherart zukommen lasse, wie es die Autorität im Codex Thedodosianus über Verlobungsgeschenke und Schenkungen vor der Hochzeit5 Codex Theodosianus III,5 (De sponsalibus et ante nubtias donationibus). Gemeint ist wohl das Breviarium Alarici III,5, das in der Manuskriptüberlieferung häufig ebenfalls mit corpus Theodosianum oder lex Theodosii übertitelt ist. berichtet6 Vgl. Breviarium Alarici III,5,5 Interpretatio (Si quando sponsalibus celebratis, interveniente osculo, sponsus aliquid sponsae donaverit…). Wurde die Verlobung geschlossen und ein Kuss ausgetauscht, so stand der Braut eine Brautgabe von Seiten des Mannes zu. Starb der Mann vor der Eheschließung, hatte sie immer noch Anrecht auf die Hälfte der Brautgabe. War kein Kuss ausgetauscht worden, hatte sie keinerlei entsprechende Ansprüche., so dass ein Mann dafür sorgen muss, alles, was er seiner Braut vor dem Tag der Hochzeit aus seiner eigenen Habe schenken oder übergeben möchte, in schriftlicher Form festzuhalten7 Vgl. Breviarium Alarici III,5,2 Interpetatio (Quoties inter sponsos et sponsas de futuris nuptiis specialiter fuerit definitum, et donationem sponsalitiae largitatis vir in sponsam suam aut ex consensu parentum aut ipse, si sui iuris est, propria voluntate conscripserit et omni eam scripturarum solennitate firmaverit, ita ut et gesta legitime facta doceantur et introductio locorum vel rerum traditio subsequatur)..
Daher also ich, in Gottes Namen der Soundso, Sohn des Soundso:
Da es bei vielen allgemeine Bekanntheit genießt, dass ich mich mit einer Frau – oder einem Mädchen – mit Namen Soundso, Soundsos Tochter8 Wie bereits K. Zeumer, Formulae, S. 163 festgestellt hat, wurde nach illius ein suae getilgt., mit Zustimmung unserer Eltern und Freunde dem Gesetz entsprechend verloben will und mir wünsche, mich mit ihr, so wie es Sitte ist und alter Brauch war, mit Christi Gnade in rechtmäßiger Heirat und Ehe zu verbinden. Deshalb gefiel es mir und mein Wohlwollen entschied es aus Liebe und Zuneigung zu derselben Frau, dass ich ihr vor dem Tag unserer Hochzeit durch diesen Rechtstitel am heutigen Tage mit dem Verlobungskuss etwas aus meiner Habe schenken und geben sollte. Dies so zu tun, gefiel mir auch. Ich schenke Dir etwas, oh meine liebste Braut Soundso, und ich möchte, dass die Schenkung von Dauer sei; es handelt sich dabei um einen Ort namens Soundso, eine Besitzung aus meinem Eigentum, samt Häusern, Gebäuden, Ländereien, Weinbergen, Wiesen, Wäldern, Abgaben9 Bei exenis handelt es sich offenbar um eine Form von exeniis = xeniis. Der Begriff (e)xenium bezeichnet urspünglich ein „Geschenk“ für jemanden, den man sich gewogen machen will, und wird hier offenbar im Sinne von „Pflichtgeschenk“ bzw. Abgabe gebraucht. K. Zeumer, Formulae, S. 164 schlägt vor exenis als stark entstellte Form von exiis (= ex iis?) zu lesen. Auf Abgaben verweisen möglicherweise auch die Pertinenzformeln einer Reihe von Formeln der Marculfsammlung (Marculf I,33; Marculf II,6, Marculf II,11, Marculf II,16 und Marculf II,30: …vel reliquis quibuscumque beneficiis bzw. Marculf I,35: … aut quibuslibet beneficiis). Abgaben aus Wegerechten finden sich in den Pertinenzformeln seit der frühen Karolingerzeit (vgl. dazu B. Schwineköper, Cum aquis aquarumvae decursibus, S. 52f., abhängigen Ländereien, Landpächtern, Unfreien, Freigelassenen10 Freigelassene verblieben nach ihrer Freilassung zumeist in der Patronatsgewalt ihres Freilassers. Dessen Schutz war häufig mit der Verpflichtung zu exakt festgelegten Diensten und Abgaben verbunden. Im Laufe des Frühmittelalters wurde libertus zunehmend zu einem vererbbaren Stand, während sich zugleich die Beziehung zwischen Freigelassenem und Freilasser zunehmend entpersonalisierte. Seit dem 8. Jahrhundert scheinen die Grenzen zwischen liberti und servi, aber auch zwischen liberti und ingenui durch die Fixierung der Lasten zunehmend verschwommen zu sein. Vgl. dazu J.-P. Devroey, Puissants, S. 270; A. Rio, Slavery, S. 75-79; H. Grieser, Sklaverei, S. 150-153; S. Esders, Formierung, S. 23 und 30-33; H.-W. Goetz, Serfdom, S. 34; W. Rösener, Vom Sklaven zum Bauern, S. 85-87., stehenden und fließenden Gewässern, beweglicher und unbeweglicher Habe; das, was mir irgendwo entweder aus Eigengut11 Mit allodium wurde in der Merowingerzeit zunächst der eng mit dem erbbaren oder ererbten verbundenen und nicht auf andere Weise erworbenen Grundbesitz bezeichnet. Im Laufe der Karolingerzeit schwächte sich diese Trennung ab. Seit dem 10. Jahrhundert konnte allodium damit jede Form keinerlei Einschränkungen unterliegenden und frei verkäuflichen Grundbesitzes bezeichnen, der als Erbe weitergegeben werden konnte und für welchen lediglich an den fiscus Abgaben zu leisten waren. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242-246; E. Magnou-Nortier, Recherches sur l’alleu, S. 143-172. oder aus einem Kauf oder aus sonst irgendeiner12 Das qualibet wird hier wie quolibet gebraucht. Bereits seit der Spätantike verdrängte qualibet zusehends andere Formen von quilibet; vgl. P. Stotz, Handbuch 4, VIII, §68.2, S. 135f. Erwerbung zukam, vollständig und zur Gänze, so wie es von mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt besessen wird, mit allem oben dargelegten bis hin zu den abhängigen Ländereien. Diese ganzen Dinge, die oben aufgezählt und schriftlich festgehalten sind, schenke ich Dir, oh meine schon genannte liebste Braut, durch diesen Verlobungskuss vom heutigen Tage an zur Gänze, um sie zu haben und zu besitzen13 Bei ad habendi et possidendi für ad habendum et possidendum handelt es sich um einen Romanismus., und [dies gilt] in gleicher Weise für meine Unfreien, so dass Du dies alles, solange Du lebst, nach gesetzlicher Ordnung halten und besitzen sollst und es unseren Söhnen und Töchtern14 Eine entsprechende Bestimmung findet sich für die zugrunde gelegte Formel Tours 14 auch in Wa1, wo in diesem Zusammenhang explizit Töchter als Erben erwähnt werden (fillis vel filiabus relinquas)., die von uns gezeugt worden sein werden, hinterlassen magst [oder] – so ist das Gesetz – irgendjemandem, falls es an denselben fehlen sollte15 Nach römischem und frühmittelalterlichem Recht fiel die dos als Eigentum der Frau nach ihrem Tod nicht an ihren Ehemann, sondern an ihre Kinder. Vgl. dazu M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 185-189; Lex Salica 110, S. 262 oder Lex Ribuaria 50, S. 101..
Falls es aber jemanden geben sollte, sei es ich selbst oder einer meiner Erben oder sonst irgendjemand16 Die (maskuline) Rekompositionsform quislibet (aus quilibet, quis) wird sehr häufig auch für feminine Substantive verwendet, dazu P. Stotz, Handbuch 4, VIII, § 62.2, S. 129. Fremdes oder irgendein Gegner, der es wagt, gegen diese Schenkung17 Mit donatio wurde im römischen Recht die Schenkung bezeichnet. Seit Konstantin dem Großen (†337) war die donatio ein Geschäftstyp eigener Art, der wie der Kauf den Übergang des Eigentums unmittelbar bewirkte. Wie dieser musste sie vor Zeugen stattfinden, schriftlich niedergelegt und öffentlich registriert werden. Vgl. dazu E. Levy, West Roman vulgar law, S. 138f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 394-399., die18 Zum Eintreten quod als universalem Relativpronomen vgl. P. Stotz, Handbuch 4, VIII, § 66.5f., S. 129. als Verlobungskuss von mir vollzogen wurde, vorzugehen oder irgendwelche Schliche zu betreiben, muss er demjenigen gegenüber, dem er den Rechtsstreit aufbürdet, soundsoviel solidi bezahlen, darüber hinaus soll die Forderung in keinster Weise Bestand haben, aber diese vorliegende Schenkung19 Mit donatio wurde im römischen Recht die Schenkung bezeichnet. Seit Konstantin dem Großen (†337) war die donatio ein Geschäftstyp eigener Art, der wie der Kauf den Übergang des Eigentums unmittelbar bewirkte. Wie dieser musste sie vor Zeugen stattfinden, schriftlich niedergelegt und öffentlich registriert werden. Vgl. dazu E. Levy, West Roman vulgar law, S. 138f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 394-399. hier, die von mir getätigt wurde und die von meiner Hand und den Händen guter Männer20 Als boni homines (seltener auch als boni viri bezeichnet) wurden Männer bezeichnet, denen ob ihrer Lebensführung hohe Vertrauens- und Glaubwürdigkeit zukam und die zumeist wohl der lokalen Elite angehörten. Sie agierten unter anderem auch als Zeugen, Urteiler, Schlichter und Vermittler. Vgl. zu ihnen K. Nehlsen-von Stryk, Die boni homines; T. Szabó, Zur Geschichte der boni homines. bekräftigt wurde, soll samt einer hinzugefügten eidlichen Zusicherung21 Die Stipulationsformel wies in römischen Urkunden ursprünglich auf ein mündliches, an Frage- und Antwortform gebundenes Leistungsversprechen hin, mit welchem eine Partei gegenüber einer anderen eine Verpflichtung einging. Die Anbringung der Formel an den Vertrag wirkte rechtskonstituierend, auch wenn der mündliche Vollzug der Stipulation nach und nach entfiel. In fränkischer Zeit scheint das Bewusstsein für die Herkunft der Formel geschwunden, ihre Anbringung aber als Stärkung der Autorität und Sicherheit der Urkunde verstanden worden zu sein. Vgl. dazu; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 34-46; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-382; D. Simon, Studien, S. 33-40; P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 25-31. für alle Zeiten unerschütterlich bestehen bleiben.