Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Sens A 38 (deu)

Appennis-Verfahren: Ausstellung einer Appennis-Urkunde

Appennis-Urkunde, mittels welcher eine Versammlung aus einem Grafen und weiteren Männern das Eigentum eines Mannes bestätigt, nachdem dieser seine Dokumente durch Brand verloren und dieser Brand von einem Amtmannes ( iudex) und seinen Nachbarn bestätigt wurde.

BERICHT, DEN MAN APPENNIS^{1 Derartige appennis-Dokumente sind lediglich in den Formelsammlungen des gallo-fränkischen Raumes belegt (vgl. auch Angers 31, Angers 32, Angers 33; Auvergne 1; Tours 27, Tours 28 und Tours Ergänzung 2). Mit ihnen wurde bei einem Verlust von Dokumenten der von Zeugen festgestellte Besitzstand gesichert. Mit appennis konnte dabei sowohl das Dokument als auch das wohl auf römische Wurzeln zurückgehende mit der Ausstellung einhergehende Verfahren bezeichnet werden. Spätestens im 8. Jahrhundert scheint die Möglichkeit der Appellation an den König in derartigen Fällen neben den appennis getreten zu sein (siehe auch Sens A 46). Vgl. dazu K. Zeumer, Ersatz; Ch. Lauranson-Rosaz/A. Jeannin, Résolution; W. Brown, When documents are destroyed.} NENNT

Der Brauch der edlen Römer^{2 Vgl. auch Auvergne 1, wo auf ein nicht identifizierbares Gesetz der Kaiser Honorius (395-423) und Theodosius II. (408-450) verwiesen wird.} pflegte es und die Regel des Rechts verlangt es, dass, wenn irgendjemandes Haus vom Feuer verbrannt wurde, derjenige in schriftlicher Form eine Berichtsurkunde, die man appennis^{3 Derartige appennis-Dokumente sind lediglich in den Formelsammlungen des gallo-fränkischen Raumes belegt (vgl. auch Angers 31, Angers 32, Angers 33; Auvergne 1; Tours 27, Tours 28 und Tours Ergänzung 2). Mit ihnen wurde bei einem Verlust von Dokumenten der von Zeugen festgestellte Besitzstand gesichert. Mit appennis konnte dabei sowohl das Dokument als auch das wohl auf römische Wurzeln zurückgehende mit der Ausstellung einhergehende Verfahren bezeichnet werden. Spätestens im 8. Jahrhundert scheint die Möglichkeit der Appellation an den König in derartigen Fällen neben den appennis getreten zu sein (siehe auch Sens A 46). Vgl. dazu K. Zeumer, Ersatz; Ch. Lauranson-Rosaz/A. Jeannin, Résolution; W. Brown, When documents are destroyed.} nennt, erhalten soll.

Aus diesem Grund kam ein Mann namens Soundso, als an einem gewissen Tag der prächtige Graf Soundso mit zahlreichen Personen beisammensaß, um Rechtsangelegenheiten von vielen anzuhören und gerechte Urteile zu fällen, eben dorthin und legte dar [und] brachte vor, dass sich vor diesem Tage ein Vorfall ereignete habe, bei dem sein Haus mit allen beweglichen Besitztümern und dem Hausrat und die Urkunden im Feuer verbrannten. Und dies haben auch der Amtmann^{4 Als iudex konnten in der fränkischen Zeit Amtsträger aller Art bezeichnet werden, die Herrschafts- oder Disziplinarakte ausübten. Vgl. dazu J. Weitzel, Dinggenossenschaft S. 204f.; S. Barbati, Studi sui iudices.} Soundso und die Nachbarn^{5 Die „Nachbarschaft“ vicinitas war im spätantiken Recht eine eigene Institution, die bei Grundbesitzfragen in Erscheinung trat. Dazu A. Laquerrière-Lacroix, La vicinitas, S. 247-252.} desselben, die im [selben] Gau leben, die hier erschienen sind, genau so berichtet und sie haben das bezeugt^{6 Nachbarn und iudex fertigten über den Sachverhalt entsprechende Belegschreiben an (vgl. Angers 31 und Angers 33 sowie Sens A 46). Sie beschreiben, wie nach der Entdeckung des Dokumentverlustes die Nachbarn und ein iudex zusammengerufen wurden, die dann als boni homines fungierten und den Verlust und Eigentumsbestand schriftlich bestätigten. Einige von diesen Personen scheinen den Geschädigten dann auch für die Erlangung des appennis in die civitas begleitet zu haben (vgl. auch Angers 32).}, was sie dort zu sehen gekommen waren; solchermaßen hat es sich als wahr und geschehen herausgestellt. Und so entschieden der oben genannte Graf Soundso und die übrigen Franken, ihm entsprechend der [gegenwärtigen]^{7 Das Wort praesorium ist ein Hapax legomenon. Es hat nichts mit dem später belegten pr(a)es(s)orium der „Weinpresse“ zu tun. Für K. Zeumer, Formulae, S. 202 bleibt das Wort unverständlich. Der Du Cange (praesorium 1) vermutet eine Variante von praesens. Die vorliegende Übersetzung folgt diesem Vorschlag.} und auch der früher vorausgehenden Verhältnisse eine Berichtsurkunde zu geben, die man appennis nennt, damit alles, was auch immer er in Nachfolge der Eltern oder aus einer Erwerbung besitzt, sei es durch Verkäufe^{8 Wohl verkürzt von emptio venditio (nach römischem Recht der formfreie Konsensualvertrag, mit dem eine Übereinkunft über den Austausch von Waren gegen Geld getroffen wurde) etablierte sich in der Spätantike venditio als Bezeichnung für Kaufverträge aller Art. Vgl. dazu E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 208f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 385f.; T. Mayer-Maly, Kauf, Tausch und pacta, S. 606-609; K.-O. Scherner, Kauf, Sp. 1665f.} [oder] durch Schenkungen^{9 Mit donatio wurde im römischen Recht die Schenkung bezeichnet. Seit Konstantin dem Großen war die donatio ein Geschäftstyp eigener Art, der wie der Kauf den Übergang des Eigentums unmittelbar bewirkte. Wie dieser musste sie vor Zeugen stattfinden, schriftlich niedergelegt und öffentlich registriert werden. Vgl. dazu E. Levy, West Roman vulgar law, S. 138f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 394-399.}, Abtretungen^{10 Bereits in der Spätantike hatte sich cessio, ursprünglich nur für Forderungsabtretungen gebraucht, zum wichtigsten Begriff für Eigentumsübertragungen entwickelt. Vgl. E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 149f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 274 und 452 Anm. 4; T. Mayer-Maly, Kauf, Tausch und pacta, S. 606.}, Urteile, Unterwerfungen, Schuldscheine^{11 Die cautio löste in der Spätantike die Stipulationsurkunde als Schuldschein ab. Sie enthielt zumeist Angaben über den Empfang eines Darlehens, die Gewährung eines Pfandes sowie die Verpflichtung zur Rückzahlung nach einer bestimmten Frist nebst einer Strafklausel. Wurde das Darlehen zurückgezahlt, wurde die cautio zurückgegeben. Vgl. dazu M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 377-379; H. Siems, Handel und Wucher, S. 410-412 und 646-653; H. Lößlein/Ch. Walther, Darlehen.} [und] Tausche^{12 Commutatio diente im frühen Mittelalter neben concambium und permutatio als eine der Bezeichnungen für die vielfältigen Formen von Tauschvorgängen, deren gemeinsames Element die Gegenseitigkeit des Vorganges war. Vgl. dazu I. Rosé, Commutatio.} oder durch andere Schriftstücke in seine Herrschaft und seine Macht gekommen, daraufhin in sein rechtmäßiges Vermögen gelange [und] diese Dinge ohne Rückforderung oder Veränderung in seinem [Besitz] verbleiben. Wir haben es durch die eigene Hand der Nachbarn unten bekräftigen lassen und entschieden, es danach durch unsere [Hand] zu bekräftigen.