XII VERORDNUNG FÜR GEGENSEITIGE SCHENKUNGEN
Weil der Herr, der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde, es – gemäß dem, was man liest – im Anfang erlaubte, dass Mann und Frau sich in der Gemeinschaft der Ehe vereinigen, indem er sprach: „Ein Mann wird seinen Vater und seine Mutter verlassen, und wird seiner Frau anhängen, und sie werden zwei in einem Fleisch sein“. Falls sie entscheiden, sich aus liebevoller Zuneigung gegenseitig untereinander irgendetwas zu schenken, lehnt unsere Durchlaucht es nicht ab, dies zu bestätigen.
Es kamen also der Soundso und die Soundso eben hierhin an unseren Hof, weil sie miteinander überhaupt keine Söhne1 Die Form filiorum ist maskulin, inwiefern mit der Gruppe der filii möglicherweise auch etwaige filiae angesprochen werden, geht aus dem vorliegenden Dokument nicht hervor. Das Erbrecht von Töchtern scheint zumindest in der frühen fränkischen Zeit hinsichtlich Grundbesitzes eingeschränkt gewesen zu sein (vgl. Lex Salica 59,6, in den späteren Fassungen beschränkt auf Allodialgut). Diese Beschränkung scheint jedoch im Laufe der Zeit aufgelockert worden zu sein (Edictus domni Chilperici regis pro tenore pacis CVIII, MGH LL nat. Germ. 4,1, S. 262; Lex Ribuaria 57 (56),1) und in der Praxis nur bedingt Anwendung gefunden zu haben. Vgl. dazu K. Kroeschell, Söhne und Töchter, S. 95-101; A. Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand, S. 215-219. Zur weiten Verbreitung von Grundbesitz in weiblicher Hand vgl. K. Kroeschell, Söhne und Töchter, S. 96f. mit Verweis auf das Testament der heiligen Burgundofara; I. Heidrich, Besitz; J. Nelson, The wary widow. gezeugt hatten, und schenkten sich untereinander durch unsere Hand ihren ganzen Besitz und – wenn es so passt2 Es handelt sich hier um einen Hinweis für den Schreiber, gesetzt den Fall, dass explizit bestimmte Landgüter geschenkt wurden. Es konnten demnach auch kleinere Vermögenswerte geschenkt werden oder man verzichtete gegebenenfalls auf die explizite Nennung bestimmter Güter und schenkte schlicht „alles“. Inwieweit hier möglicherweise unklare oder strittige Besitzverhältnisse eine Rolle gespielt haben könnten, muss offen bleiben. – schenkten sich untereinander bestimmte Landgüter3 Frühmittelalterliches Erbrecht sah nicht die Eheleute, sondern deren Kinder oder, falls keine Nachkommen existierten, deren Verwandte als Erben vor. Vgl. dazu etwa Lex Salica 110, S. 262 oder Lex Ribuaria 50, S. 101. Sollte der Ehepartner Erbe sein, waren Vereinbarungen wie in dieser Formel notwendig (ähnliche Vereinbarungen finden sich etwa auch in Marculf II,7 und Marculf II,8, Angers 41 und Tours 17). Vgl. dazu auch U. Nonn, Merowingische Testamente, S. 50-53; H.-W. Goetz, Frauen im frühen Mittelalter, S. 208f. Diese Form der gegenseitigen Einsetzung von Ehepartner zum Erben hatte bereits im römischen Recht ihre Regelung gefunden (Breviarium Alarici, Novellae Valentiniani III, 4,1; bezeichnet als ius liberorum).. Der vorgenannte Mann Soundso gab also seiner schongenannten Gattin Soundso durch unsere Hand4 Wie nicht zuletzt Marculf II,7 und Marculf II,8 zeigen, konnten derartige Übereinkünfte auch ohne den König getroffen werden. Die Beteiligung des Königs in diesem Fall wirkte ohne Zweifel stärkend auf die Rechtskraft der Vereinbarung. Eine Regelung zur Übertragung des Erbes bei Kinderlosigkeit auch an den Ehepartner vor dem König findet sich in Lex Ribuaria 50 (48),1. die im Gau Soundso gelegenen, Soundso und Soundso5 Die Form illas ist Plural; es ist nicht klar wieviele Landgüter an dieser Stelle genau gemeint sind. genannten Landgüter, die er entweder aufgrund eines königlichen Geschenks oder aus dem Eigengut der Eltern oder sonst irgendwo her zum gegenwärtigen Zeitpunkt hält, samt Ländereien, Gebäuden und so weiter6 Auch hier spricht der Verfasser selbst zum Benutzer (siehe oben). Der Verfasser setzt voraus, dass der Schreiber selbst in der Lage ist, das Formular (et cetera) aufzufüllen, bzw. den individuellen Gegebenheiten anzupassen. … In gleicher Weise gab die vorgenannte Frau ihrem vorgenannten Gatten Soundso zum Ausgleich für die Besitzungen die im Gau Soundso gelegenen Soundso und Soundso7 Siehe oben. genannten Landgüter samt Ländereien und so weiter8 Siehe oben. … Und die beweglichen Habe9 Als bewegliche Habe erscheint praesidum u.a. bei Gregor von Tours, Historiarum libri X VI,4 (†594): et derepto omne praesidio. ihres Haushalts, Gold und Silber, Geschmeide, Teppiche, Kleidung und all ihren Hausrat schenkten sie sich, eine Seite der anderen, durch unsere Hand, auf dass sie, solange sie zugleich in dieser Welt am Leben sind, all ihre oben genannte Habe durch beide Seiten zugleich besitzen können, und, falls sie für sich beschließen, zugunsten ihrer Seelen etwas an die Stätten der Heiligen zu geben, soll ihr Wille die uneingeschränkte Entscheidungsgrundlage bleiben. Und wer von ihnen sich für seinen Partner in dieser Welt als Hinterbliebener erweist, soll die Habe von beiden, solange er am Leben ist, nach Art des Nießbrauchs besitzen10 Diese Beschränkung des Rechtes des länger lebenden Ehepartners auf den Nießbrauch scheint dem Schutz von eventuellen Verfügungen hinsichtlich der Güter durch den Verstorbenen oder des Erbrechts seiner Verwandten gedient zu haben. Vgl. dazu A. Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand, S. 212f.. Und nach dem Hinscheiden Beider von diesem Licht, müssen die Erben11 Gemeint sind alle, die rein rechtlich einen Erbanspruch haben, aber durch die vorliegende Bestimmung ausgeschlossen sind. Wer genau in welchem Fall zu den Erbberechtigten gehörte, variierte je nach lex. B. Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, S. 126., genauso wie es ihre Anweisungen beinhalten, gleichermaßen die oben aufgeführten Landgüter wie auch das, was auch immer die Sterbenden von ihrer beweglichen Habe hinterlassen werden, sowohl an Stätten der Heiligen als auch an wohlverdiente Leute oder deren Angehörige übertragen.
Daher beschließen und befehlen wir mit der hier vorliegenden Verordnung, insofern der (freie) Wille dem Soundso und der Soundso12 Der lateinische Text hat an dieser Stelle den Dativ Plural illis. die oben beschriebenen Dinge derart eingab und man weiß, dass es mittels unserer Hand gegenseitig geschenkt wurde, dass durch diese allerunverbrüchlichste Verordnung, die vom Recht gestützt und bekräftigt wird, alles – das helfe der Herr –, was auch immer im Obigen enthalten ist, mit der Gnade Gottes und unserer Gnade fortbestehen soll, auf dass es durch keinerlei Widerstand, sei auf Seiten unseres fiscus oder von ihren Eltern, den Verwandten oder sonst irgendwem, erschüttert werden kann, sondern für alle Zeit unerschüttert bleibe.
Diese Willenserklärung aber, damit sie höhere Geltung habe und über die Zeiten hinweg bestehen bleibe, haben wir beschlossen unten mit eigener Hand zu bekräftigen.