URKUNDE ÜBER EINE WECHSELSEITIGE SCHENKUNG ZWISCHEN EINEM MANN UND EINER FRAU FÜR IHRE HABE1 Das Dokument wurde zusammen mit Marculf II,33 auch in eine Sammlung von Reichenauer Formelmaterial (Sg2) aufgenommen. Der Beginn des Dokuments einschließlich der ersten Pertinenzformel fand auch als eigenständige Formel Eingang in eine umfangreiche Zusammenstellung von Formelmaterial aus dem Salzburger Umfeld (M4).
Was auch immer aus dem eigenen Vermögen man sich freilich unter Eheleuten gegenseitig in beständiger Liebe aus liebevollster Zuneigung zu schenken beschließt, muss man den Besitztiteln der Schriftstücke hinzufügen, damit es in Zukunft nicht von deren Erben oder wem auch immer untergraben werden kann.
In Gottes Namen also ich, der Soundso, an Dich: Meine allersüßeste Gemahlin Soundso, da wir miteinander keinerlei Söhne2 Die Form filiorum ist maskulin, inwiefern mit der Gruppe der filii möglicherweise auch etwaige filiae angesprochen werden, geht aus dem vorliegenden Dokument nicht hervor. Das Erbrecht von Töchtern scheint zumindest in der frühen fränkischen Zeit hinsichtlich Grundbesitzes eingeschränkt gewesen zu sein (vgl. Lex Salica 59,6, in den späteren Fassungen beschränkt auf Allodialgut). Diese Beschränkung scheint jedoch im Laufe der Zeit aufgelockert worden zu sein (Pactus pro tenore pacis, MGH LL nat. Germ. 4,1, S. 262; Lex Ribuaria 56,1) und in der Praxis nur bedingt Anwendung gefunden zu haben. Vgl. dazu K. Kroeschell, Söhne und Töchter, S. 95-101; A. Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand, S. 215-219. Zur weiten Verbreitung von Grundbesitz in weiblicher Hand vgl. K. Kroeschell, Söhne und Töchter, S. 96f. mit Verweis auf das Testament der heiligen Burgundofara; I. Heidrich, Besitz; J. Nelson, The wary widow. gezeugt haben, kamen wir überein, dass wir uns gegenseitig die Gesamtheit unseres Vermögens nach Art des Nießbrauchs3 Im klassischen römischen Recht bezeichnete ususfructus ein persönliches Nutzungsrecht das weder übertragen noch vererbt werden konnte. In der Spätantike wurde ususfructus zum Terminus für jede Art eingeschränkten Eigentums (entgegen dem Volleigentum, einem dauerhaften und übertragbaren Recht). Vgl. dazu H. Honsell/T. Mayer-Maly/W. Selb, Römisches Recht, S. 184-191; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 303; J.-F. Lemarignier, Les actes de droit privé, S. 44. schenken sollten4 Frühmittelalterliches Erbrecht sah eigentlich nicht die Eheleute, sondern deren Kinder oder, falls keine Nachkommen existierten, deren Verwandte als Erben vor. Vgl. dazu etwa Lex Salica 91-92 oder Lex Ribuaria 50. Sollte der Ehepartner Erbe sein, waren Vereinbarungen wie in dieser Formel notwendig (ähnliche Vereinbarungen finden sich etwa auch in Angers 41, Marculf I,12 und Marculf II,8 sowie Tours 17 und Tours 18). Vgl. dazu auch U. Nonn, Merowingische Testamente, S. 50-53; H.-W. Goetz, Frauen im frühen Mittelalter, S. 208f.; E. Santinelli, Ni Morgengabe; A. Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand, S. 207-231, insb. S. 207-210 zu dieser Formel. Zum Eigentumsrecht von Frauen im frühen Mittelalter vgl. J. Nelson, The wary widow, S. 85-88.. Dies taten wir so auch.
Daher schenke ich Dir, oh meine allersüßeste Gemahlin, so Du mich in dieser Welt überleben solltest, die Gesamtheit meines Vermögens, was ich irgendwo entweder aus Eigengut5 Mit allodium wurde in der Merowingerzeit zunächst der eng mit dem erbbaren oder ererbten verbundenen und nicht auf andere Weise erworbenen Grundbesitz bezeichnet. Im Laufe der Karolingerzeit schwächte sich diese Trennung ab. Seit dem 10. Jahrhundert konnte allodium damit jede Form keinerlei Einschränkungen unterliegenden und frei verkäuflichen Grundbesitzes bezeichnen, der als Erbe weitergegeben werden konnte und für welchen lediglich an den fiscus Abgaben zu leisten waren. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242-246; E. Magnou-Nortier, Recherches sur l’alleu, S. 143-172. oder aus einem Kauf oder aus sonst irgendeiner6 Das qualibet wird hier wie quolibet gebraucht. Bereits seit der Spätantike verdrängte qualibet zusehends andere Formen von quilibet; vgl. P. Stotz, Handbuch 4, VIII, §68.2, S. 135f. Erwerbung habe und was wir gemeinsam im Lauf unserer Ehe erarbeitet haben7 In der Ehe scheint, unberührt von der tatsächlichen Verfügungsgewalt, zwischen drei verschiedenen Arten von Eigentum unterschieden worden zu sein: Eigentum des Mannes, Eigentum der Frau (etwa aus der dos) sowie in der Ehegemeinschaft erworbenes Eigentum über welches nur gemeinsam verfügt werden konnte und welches zu zwei Dritteln dem Mann, zu einem Drittel aber der Frau zukam. Vgl. dazu I. Heidrich, Besitz; S. 121f. und 126-130. Zur Drittelung des gemeinsam erworbenen Eigentums in der Ehe siehe Lex Ribuaria 41 (37),2 (für den Fall der Verwitwung bei Fehlen einer schriftlich festgehaltenen Dotierung); H. Brunner, Die fränkisch-romanische dos, S. 113f.; J. Nelson, The wary widow, S. 87f., sowohl Ländereien, Landgüter, Häuser samt allem Zubehör, Landpächter8 Der accola (acolabus ist eine Nebenform zu accolis) bezeichnet ursprünglich den „Anwohner“/„Nachbar“, abgeleitet aus accolere „in der Nähe wohnen“. Die Volksrechte (u. a. Lex Baioariorum I,13) setzen den accola dann mit dem colonus gleich. Spätestens in der Karolingerzeit bezeichnet accolae im übertragenen Sinn dann auch das Land, das von Pächtern bewirtschaftet wird (Annales Bertiniani a. 866)., Unfreie, Weinberge, Wälder, Felder, Wiesen, stehende und fließende Gewässer, [als auch] das Gold, das Silber, Kleidung, Groß- und Kleinvieh9 Die Salzburger Fassung der Formel (M4) endet nach der Erwähnung des Viehs mit „samt allem [weiteren] was man benennen und aufzählen kann“ (cum omnibus quae dici vel nominari possunt). beiderlei Geschlechts, auf dass Du das, solange Du leben wirst, nach Art des Nießbrauchs10 Im klassischen römischen Recht bezeichnete ususfructus ein persönliches Nutzungsrecht, das weder übertragen noch vererbt werden konnte. In der Spätantike wurde ususfructus zum Terminus für jede Art eingeschränkten Eigentums (entgegen dem Volleigentum, einem dauerhaften und übertragbaren Recht). Vgl. dazu H. Honsell/T. Mayer-Maly/W. Selb, Römisches Recht, S. 184-191; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 303; J.-F. Lemarignier, Les actes de droit privé, S. 44. besitzen und beherrschen kannst11 Übertragen wurde also nicht das volle Eigentum, sondern lediglich das Recht zum Nießbrauch an den Gütern und stellt damit eine Einschränkung gegenüber den Regelungen der Leges (Lex Ribuaria 48 und 49) dar. Vgl. A. Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand, S. 214f.. Ausgenommen sei das, was wir für unser Seelenheil an die Stätten der Heiligen übertragen haben, so dass das nach Prüfung unserer Anweisung zur Gänze bewahrt werde12 Da sich diese Güter offenbar noch in der Verfügungsgewalt des Ehemannes befinden, wurden sie vermutlich als prekariatische Leihe nach der Schenkung von der Kirche zurückempfangen.. Und wieviel auch immer Du von unserem Eigengut13 Mit allodium wurde in der Merowingerzeit zunächst der eng mit dem erbbaren oder ererbten verbundenen und nicht auf andere Weise erworbenen Grundbesitz bezeichnet. Im Laufe der Karolingerzeit schwächte sich diese Trennung ab. Seit dem 10. Jahrhundert konnte allodium damit jede Form keinerlei Einschränkungen unterliegenden und frei verkäuflichen Grundbesitzes bezeichnen, der als Erbe weitergegeben werden konnte und für welchen lediglich an den fiscus Abgaben zu leisten waren. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242-246; E. Magnou-Nortier, Recherches sur l’alleu, S. 143-172. nach meinem Hinscheiden für den gemeinschaftlichen Lohn an die Stätten der Heiligen geben und übertragen willst, hast Du die Erlaubnis, um das zu tun, und es soll nach Prüfung derselben Anweisung unerschüttert Bestand haben14 Diese Klausel erklärt sich aus den Eigentumsverhältnissen nach dem Tod des Ehemannes. Der Witwe wurde mit diesem zwar das Nießbrauchrecht an dessen Gütern eingeräumt, das Eigentum an diesen fiel jedoch an dessen eigentliche Erben. Das Recht zur Schenkung an kirchliche Institutionen stellte damit einen Eingriff in deren Rechte dar, der durch diese Klausel legitimiert werden sollte. Vgl. dazu auch Anm. 2. Dieser Passus folgt der Regelung der Lex Ribuaria 49, nach welcher in Fällen der gegenseitigen Erbeinsetzung durch Eheleute die Güter nach dem Ableben beider an die gesetzmäßigen Erben fallen sollte, ausgenommen Minderungen durch fromme Stiftungen und Lebensunterhalt.. Im Übrigen aber soll dieselbe Habe, soviel wie nach Deinem Hinscheiden unvermacht15 Gemeint sind jene Güter, für die keine weiteren expliziten Bestimmungen getroffen wurden. bleiben wird, ganz an unsere rechtmäßigen Erben fallen.
In gleicher Weise16 Entgegen dieser Ankündigung beinhaltet diese Passage einige Unterschiede gegenüber der vorangehenden. Es entfällt hier der Hinweis auf die Übertragung der Güter der Ehefrau lediglich zum Nießbrauch während zugleich auch das Recht zur Freilassung eingeräumt wird. Vgl. zu dieser Passage auch Marculf II,8 wo der Ehemann die Güter seiner Frau lediglich als beneficium erhält. auch ich, die Soundso: Mein allersüßester Gemahl Soundso, Deine Zärtlichkeit gemahnte mich zu einem Ausgleich für deine Habe, die Du an mich übertragen hast. So Du mich in dieser Welt überleben solltest, schenke ich Dir die Gesamtheit meines Vermögens[, das ich] überall oder von irgendwoher [habe], sowohl aus dem Erbe meiner Eltern als auch aus einem Kauf, oder was wir gemeinsam erarbeitet haben, vollständig und zur Gänze, sowohl Landgüter, Häuser und so weiter … Ausgenommen sei das, was wir für unser Seelenheil an die Stätten der Heiligen übertragen haben, so dass das nach Prüfung derselben Urkunde zur Gänze bewahrt werde17 Da sich diese Güter offenbar noch in der Verfügungsgewalt der Ehefrau befinden, wurden sie vermutlich als prekariatische Leihe nach der Schenkung von der Kirche zurückempfangen.. Und was Du von meinem Eigengut18 Mit allodium wurde in der Merowingerzeit zunächst der eng mit dem erbbaren oder ererbten verbundenen und nicht auf andere Weise erworbenen Grundbesitz bezeichnet. Im Laufe der Karolingerzeit schwächte sich diese Trennung ab. Seit dem 10. Jahrhundert konnte allodium damit jede Form keinerlei Einschränkungen unterliegenden und frei verkäuflichen Grundbesitzes bezeichnen, der als Erbe weitergegeben werden konnte und für welchen lediglich an den fiscus Abgaben zu leisten waren. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242-246; E. Magnou-Nortier, Recherches sur l’alleu, S. 143-172. nach meinem Hinscheiden für den gemeinschaftlichen Lohn an die Stätten der Heiligen [übertragen] und an Freien entlassen willst, hast Du die Erlaubnis dazu und es soll nach Prüfung derselben Urkunde zur Gänze bewahrt werden19 Diese Klausel erklärt sich aus den Eigentumsverhältnissen nach dem Tod der Ehefrau. Dem Witwer wurde mit diesem zwar das Nießbrauchrecht an deren Gütern eingeräumt, das Eigentum an diesen fiel jedoch an deren eigentliche Erben. Das Recht zur Schenkung an kirchliche Institutionen stellte damit einen Eingriff in deren Rechte dar, der durch diese Klausel legitimiert werden sollte. Vgl. dazu auch Anm. 2. Dieser Passus folgt der Regelung der Lex Ribuaria 49, nach welcher in Fällen der gegenseitigen Erbeinsetzung durch Eheleute die Güter nach dem Ableben beider an die gesetzmäßigen Erben fallen sollte, ausgenommen Minderungen durch fromme Stiftungen und Lebensunterhalt.. Auch nach Deinem Hinscheiden soll was auch immer unvermacht20 Gemeint sind jene Güter, für die keine weiteren expliziten Bestimmungen getroffen wurden. bleiben wird, an unsere Erben, die uns dann am nächsten sein werden, fallen.
Falls aber jemand – wir glauben nicht, dass das geschehen wird – sei es irgendeiner unserer Erben oder sonst irgendjemand gegen diese wechselseitige Schenkung, wegen der wir uns gegenseitig zwei Niederschriften gleichen Inhalts21 Die Ausfertigung jeweils eines Exemplars derselben Urkunde für jede der am Vorgang beteiligten Parteien findet sich bereits in römischer Zeit. Sie wurde vor allem dann vorgenommen, wenn in der entsprechenden Urkunde Rechtstitel an mehrere Parteien verliehen wurden. Derartige Doppelbeurkundungen sind für die fränkische Zeit vor allem für Tauschgeschäfte und Prekarien belegt. Die vorliegende Formel weißt allerdings darauf hin, dass dieses Verfahren auch in anderen Rechtsangelegenheiten gängig war. Vgl. dazu H. Bresslau, Handbuch I, S. 668 mit Anm. 1; K. Groß, Visualisierte Gegenseitigkeit, S. 160-167. bestätigten, vorgehen oder sie brechen will, soll er das keinesfalls erreichen, sondern Eurem Anteil unter Zwang durch den fiscus soundsoviel Pfund Gold, soundsoviel Silber22 Zur Frage des Verhältnisses von Gold und Silber in frühmittelalterlichen Poenformeln vgl. F. Boye, Poenformeln, S. 117‑119. hinzufügen, das vorliegende Schreiben aber soll er aber in keiner Weise untergraben können, denn es soll fest und unverletzt bestehen bleiben
[Gegeben samt] einer hinzugefügten eidlichen Zusicherung23 Die Stipulationsformel wies in römischen Urkunden ursprünglich auf ein mündliches, an Frage- und Antwortform gebundenes Leistungsversprechen hin, mit welchem eine Partei gegenüber einer anderen eine Verpflichtung einging. Die Anbringung der Formel an den Vertrag wirkte rechtskonstituierend, auch wenn der mündliche Vollzug der Stipulation nach und nach entfiel. In fränkischer Zeit scheint das Bewusstsein für die Herkunft der Formel geschwunden, ihre Anbringung aber als Stärkung der Autorität und Sicherheit der Urkunde verstanden worden zu sein. Vgl. dazu; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 34-46; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-382; D. Simon, Studien, S. 33-40; P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 25-31..