FALLS IRGENDJEMAND GEGEN DEN WILLEN DES KÖNIGS ETWAS GETAN HAT, MAG ER MIT DIESER SICHERHEIT1 Bei der securitas handelte es sich um zum Abschluss von Rechtsstreitigkeiten ausgestelltes Dokument. Sie zeichnete den Verlauf des Streites nach, notierte gegebenenfalls erbrachte Leistungen und beendete den Konflikt durch die Zusicherung des Ausstellers, den Empfänger wegen dieser Angelegenheit nicht weiter zu belangen. Vgl. J. Weitzel, Dinggenossenschaft, S. 251f.; A. Jeannin, Vigor actorum, S. 269-271; H. Lößlein, Belege. JEMANDEM BEFEHLEN, DENJENIGEN ZU VERFOLGEN
Wer einem königlichen Befehl gehorcht, dem darf daraufhin von niemandem Schlechtes widerfahren.
Weil also der Soundso mit seinen übrigen Beteiligten2 In einer karolingischen Überarbeitung (Ko2), sind es keine pares sondern parentes (cum reliquis parentibus suis), also Verwandte oder sogar die Eltern, mit denen der Schuldige gemeinsam rebelliert., die ihm gefolgt sein mochten, als er einen Aufstand machte, den Soundso tötete – oder irgendwelche anderen Vergehen3 Mit causa konnten seit der Spätantike im rechtlichen Sinne sowohl die konkreten Umstände oder Ursachen einer Schuld bezeichnen, als auch einen Rechtsstreit, eine bestimmte Rechtslage, ein Geschäft, eine Angelegenheit, einen Grund oder ein Motiv. Vgl. dazu E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 45, Anm. 155. Im Sinne von „Rechtsangelegenheit“ konnte im frühen Mittelalter causa auch ein juristisches Vergehen, also ein Verbrechen oder eine Tat bezeichnen (vgl. etwa Pactus legis Salicae 40,9: si talis causa erat, unde ingenuus DC denarios … conponere poterat; Lex Alamannorum XXIII: De causis, qui ad duce pertinent). gegen den König beging4 Im Sinne von „(ein Verbrechen) begehen“ erscheint amitere = admittere als juristischer Fachbegriff synonym zu committere u.a in Lex Ribuaria 75,4 (Si autem aliquid culpe amiserit, dum intertiatus est, ipse ex hoc culpabilis iudicetur, qui eum eo tempore post se retenuit) und im Pactus legis Salicae 40,10 (si hoc admisit, talem conpositionem repetenti restituat). Die karolingische Überarbeitung der Formel in (Ko2) bestätigt mit der Variante com(m)isit dieses Verständnis der Stelle. – und er sich unserer Herrschaft5 Aufgrund der Mehrdeutigkeit von regnum „Herrschaft“/„Reich“ ist an dieser Stelle nicht klar, ob er sich nur der königlichen Gewalt durch Flucht entzog oder auch den Herrschaftsbereich selbst verlassen hat. Das nachfolgende se differre (si se non distulisset), spricht jedoch für eine Flucht aus dem unmittelbaren Herrschaftsgebiet. entzog, was uns sehr lästig war, befehlen wir übereinstimmend mit dem Ratschluss unserer Getreuen, den viri illustres Soundso und Soundso6 Die Form illis ist Plural, es nicht klar, wieviele viri illustres tatsächlich ausgesandt wurden., dessen ganze Habe unter das Recht des fiscus zurückzuführen, denn, wenn er sich nicht entfernt hätte, hätten wir nicht nur angeordnet, dass er seine Habe verliere, sondern hätten ihnen befohlen, ihm wegen des solcherart geschehenen Aufstands nach dem Leben zu trachten7 Landes- und Hochverrat, worunter neben Konspiration, Aufruhr und Empörung, Landflucht, Anschläge gegen den König, Vernachlässigung der Amtspflichten und Gehorsamsverweigerung auch Beleidigung des Königs oder Diebstahl königlichen Vermögens fielen wurden grundsätzlich mit dem Tode sowie Vermögenskonfiskation bestraft. Das Urteil erfolgte dabei in Abstimmung mit den Großen in einem Rechtsverfahren. Zumindest in karolingischer Zeit wurde die Todesstrafe meist nachträglich durch königlichen Beschluss abgemildert. Flankiert wurde die Absetzung im 9. Jahrhundert häufig durch von Bischöfen oder Päpsten verhängte Exkommunikation. Vgl. dazu M. Weidemann, Kulturgeschichte I, S. 283-291; vgl. auch zu Rebellionen und ihren Folgen K. Bund, Thronsturz, S. 236-362, insb. S. 320-354, und S. 363-549, insb. S. 514-546; A. Krah, Absetzungsverfahren, insb. S. 373-377. .
Daher erließen wir die vorliegende Verordnung8 Als praeceptum wurden in der Spätantike öffentliche Verordnungen, insbesondere des Kaisers bezeichnet. Zumeist handelte es sich bei diesen um legislative Maßnahmen, seltener dagegen um einzelne Individuen betreffende Beschlüsse. Hielt sich dieses Verständnis auch in den frühmittelalterlichen Leges, so findet sich im Urkundenwesen praeceptum, alternativ gebraucht zu auctoritas, als Schlüsselbegriff für die einen Einzelbeschluss verkündende Herrscherurkunde. Vgl. dazu P. Classen, Kaiserreskript, S. 56-58; J. Gaudemet, Praeceptum, S. 261-263., denn die vorgenannten Männer Soundso und Soundso9 Die Form illi ist Plural, gemeint sind die bereits oben genannten viri illustres. Es ist nicht klar, um wieviele es sich handelt. und die übrigen Beteiligten oder deren Dienstleute10 Der Begriff gasindus findet sich vor allem in langobardischen Quellen und bezeichnet dort das oft bewaffnete Gefolge eines Königs oder anderen Mächtigen. Gasindi scheinen eine gehobene Stellung genossen, zugleich jedoch auch eine Dienstfunktion innegehabt zu haben. Vgl. dazu G. v. Olberg, Bezeichnungen, S. 112-124. Mit Blick auf Marculf II,36, wo der gasindus parallel zu einem servus erscheint, geht A. Rio, Freedom and unfreedom, S. 25f. von einer größeren Bedeutungsbandbreite der Bezeichnung bei Marculf aus. [handelten] nämlich nicht aus eigener Vermessenheit, sondern auf unseren Befehl im Einklang mit dem Ratschluss unserer führenden Getreuen11 Das senior betont hier die besondere Würde und nicht das Lebensalter. Im auszeichnenden Sinne von „vornehm“ oder „führend“ erscheint senior z.B. auch bei Gregor von Tours (Gregor von Tours, Historiarum libri X, VIII,31): Magnus tunc omnes Rothomagensis cives et praesertim seniores loci illius Francos meror obsedit. In der Formelsammlung von Angers (Angers 50) wird u.a. auch die Kathedralkirche Saint-Aubin als ecclesia senior bzw. ecclesia seniores (= senioris) loci bezeichnet. Zum Umgang mit senior M. Bonnet, Le latin de Grégoire, S. 452. ; sie sorgten dafür, eben diesen Besitz und [den Besitz] der übrigen, die sich mit demselben verbündet hatten, unserem fiscus und unserer Verfügungsgewalt zu unterstellen, wie wir es befahlen, und zogen ihn aus diesen Grund ein. Daher befehlen wir, dass ihnen zu überhaupt keiner Zeit weder vom schongenannten Soundso, noch [von denen], die mit dem Soundso verbündet waren, oder von deren Erben künftig auch nur irgendeine Verleumdung oder irgendeine Forderung widerfahren darf, denn es geschah auf unseren Befehl. Sowohl dieselben Soundso und Soundso12 Das ipsi ille steht hier für ein ipsi illi, gemeint sind die bereits oben genannten viri illustres. Es ist nicht klar, um wieviele es sich handelt. wie auch die Beteiligten, die Dienstleute und deren Freunde sollen jedoch fürderhin wegen allem, was dem vorgenannten Soundso als Besitz gehörte und was eingezogen wurde, für alle Zeiten losgelöst und freigesprochen sein, denn es geschah aufgrund dessen Verschulden und auf unseren Befehl. Und die obengenannten viri [illustres], die unsere Getreuen sind, müssen fürderhin nicht fürchten, dass ihnen über kurz oder lang eine Verleumdung, eine Forderung oder ein Schaden widerfährt.
Und damit diese Verordnung13 Als praeceptum wurden in der Spätantike öffentliche Verordnungen, insbesondere des Kaisers bezeichnet. Zumeist handelte es sich bei diesen um legislative Maßnahmen, seltener dagegen um einzelne Individuen betreffende Beschlüsse. Hielt sich dieses Verständnis auch in den frühmittelalterlichen Leges, so findet sich im Urkundenwesen praeceptum, alternativ gebraucht zu auctoritas, als Schlüsselbegriff für die einen Einzelbeschluss verkündende Herrscherurkunde. Vgl. dazu P. Classen, Kaiserreskript, S. 56-58; J. Gaudemet, Praeceptum, S. 261-263. noch festeren Bestand [habe, haben wir sie unten mit eigener Hand bekräftigt].14 Lediglich Le1 überliefert eine vollständige corroboratio. In allen anderen Abschriften ist der Wortlaut stark gekürzt. Es handelt es sich um eine „Standardformulierung“, die ein geübter Schreiber auch anhand der ersten Worte selbstständig vervollständigen konnte.