Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Angers 45 (deu)

Übereinkunft nach Eheschließung zwischen Unfreien

Übereinkunft zwischen zwei Personen nach der Eheschließung zweier ihrer Unfreien (servus und ancilla) über die Eigentumsrechte an deren Nachkommen und dem von ihnen Erwirtschafteten.

ES BEGINNT EIN BELEGSCHREIBEN

Belegschreiben darüber, dass Soundso und Soundso […]^{1 In der Handschrift scheint im Vergleich mit den übrigen notitiae (Angers 10, Angers 11, Angers 16, Angers 47 und Angers 50) Text ausgefallen zu sein, der den Inhalt der notitia näher beschreibt. Zu erwarten wäre eine Formulierung derart „dass Soundso und Soundso [sich geeinigt haben]“.}.

Es ist allgemein bekannt, dass ein Sklave namens Soundso und eine Sklavin des Soundso^{2 Hier ad illo wie illius; zum Gebrauch von ad + Akk. statt Gen. poss. P. Stotz, Handbuch IV, IX §28.7, S. 277.} namens Soundso sich ohne Zustimmung zur Ehe verbunden haben^{3 Das römische Recht kannte keine Ehe (conubium oder matrimonium) zwischen Unfreien, sondern lediglich das eheähnliche contubernium. Maßgeblich für das Zustandekommen dieser Ehe war in jedem Fall das widerrufbare Einverständnis des Herrn. Diese Position wurde auch von den Leges übernommen. Die Kirche erkannte die Ehe zwischen Unfreien an, verlangte aber ebenfalls das Einverständnis des Herren. Vgl. dazu H. Nehlsen, Sklavenrecht, S. 271f.; H. Grieser, Sklaverei, S. 99-101; J. Gaudemet, Le mariage en Occident, S. 99f.; Ch. Verlinden, Le mariage.}. Aber alsbald kam zwischen uns eine gütliche Einigung zustande, [nämlich] dass^{4 Die einzelnen mit ut eingeleiteten Passagen ut de agnacione … tercia, (proinde) ut … debiat esse, ut manus … deberimus) sind als gleichrangige Gliedsätze alle von cumcordia abhängig und erläutern die Übereinkunft der beiden Herren näher.} der Soundso von den Nachkommen^{5 Aus der Verbindung von Unfreien hervorgehende Kinder waren ebenfalls Eigentum des Herrn. Vgl. dazu H. Grieser, Sklaverei, S. 100.}, die von denselben gezeugt werden, für seine Sklavin zwei Anteile erhält und folglich der Soundso für seinen Sklaven Soundso den dritten; und [dass], weil dieselben im Laufe ihrer Ehe manches angesammelt haben, der Soundso [für] seinen Sklaven von demselben Vermögen^{6 Mit peculium wurde seit der Antike das Sondervermögen von Sklaven oder anderen, der patria potestas unterworfenen Personen bezeichnet. Vgl. dazu J. Barschdorf, Freigelassene, S. 139-141; S. Heinemeyer, Freikauf des Sklaven, S. 69-77.} zwei Anteile erhält und der Soundso^{7 Die Handschrift überliefert an dieser Stelle ein illa; es handelt sich offenkundig um einen Schreibfehler der auf die Reihung mit ad ancilla sua illa zurückgeht. Obgleich abweichende Endungen im Bemühen um graphische Kongruenz zusammengehöriger Wörter in den Formulae Andecavenses häufig anzutreffen sind, war an dieser Stelle eine Emendation zu ille notwendig, um das Verständnis des Textes zu erhalten.} für seine Sklavin Soundso in gleicher Weise den dritten^{8 In der Ehe scheint, unberührt von der tatsächlichen Verfügungsgewalt, zwischen drei verschiedenen Arten von Eigentum unterschieden worden zu sein: Eigentum des Mannes, Eigentum der Frau (etwa aus der dos) sowie in der Ehegemeinschaft erworbenes Eigentum über welchesnur gemeinsam verfügt werden konnte und welches zu zwei Dritteln dem Mann, zu einem Drittel aber der Frau zukam. Vgl. dazu I. Heidrich, Besitz; S. 121f. und 126-130. Zur Drittelung des gemeinsam erworbenen Eigentums in der Ehe siehe Lex Ribuaria 41 (37),2 (für den Fall der Verwitwung bei fehlen einer schriftlich festgehaltenen Dotierung); H. Brunner, Die fränkisch-romanische dos, S. 113f.; J. Nelson, The wary widow, S. 87f. mit weiteren Beispielen zu dieser Praxis. Im vorliegenden Fall wurde diese Praxis offenbar auch auf die Ehe der beiden Unfreien zu Gunsten ihrer Herren übertragen.}; [und] dass es deswegen in Zukunft^{9 Das Adverb postmodum wird hier wie ein Nomen z.B. futura gebraucht. Die Konstruktion in postmodum ersetzt in seiner Funktion posthac „von nun an“, „in Zukunft“.} zwischen uns keinen Streit geben solle; [und] dass wir von unserer Hand darüber zwei Schreiben gleichen Inhalts^{10 In dieser Bedeutung bereits in klassischer Zeit in Gebrauch belegt (si verum quaerimus, potius expers, is que uno tenore, Cicero, De oratore 21).} ausstellen sollten^{11 Die Ausfertigung jeweils eines Exemplars derselben Urkunde für jede der am Vorgang beteiligten Parteien findet sich bereits in römischer Zeit. Sie wurde vor allem dann vorgenommen, wenn in der entsprechenden Urkunde Rechtstitel an mehrere Parteien verliehen wurden. Derartige Mehrfachausfertigungen sind für die fränkische Zeit vor allem für Tauschgeschäfte und Prekarien belegt. Vgl. dazu H. Bresslau, Handbuch I, S. 668 mit Anm. 1; K. Groß, Visualisierte Gegenseitigkeit, S. 160-167. Die vorliegende Formel weißt darauf hin, dass diese Praxis allerdings für anderen Rechtsangelegenheiten gängig war.}. Dies taten wir so auch. Und zur sicheren Befestigung dieser Sache haben wir sogleich bekräftigt, dass weder wir selbst noch einer unserer Erben oder einer von unseren Verwandten oder irgendein Außenstehender, der in unserem Auftrag handelt, gegen diese Schreiben hier vorgehen wollen^{12 Das qui contra istas epistolas venire voluerit ist doppelt zu beziehen. Möglicherweise ist hier beim Abschreiben nach persona ausgefallen Text und qui ... voluerit ist ursrünglich die Wiederaufnahme der eigentlich Zusicherung, die nun fehlt (contra istas epistolas venire debeat o.ä.).}, [und] wer gegen diese Schreiben hier vorgehen will, soll zu einer zweifachen Geldzahlung^{13 Gemeint ist hier eine Zahlung an beide.} verpflichtet sein und jene Forderung soll keinen Erfolg haben und diese Vereinbarungen^{14 Als convenientia wurden im spätantiken römischen Recht rechtliche Übereinkünfte zwischen zwei Individuen sowie deren schriftliche Fixierung bezeichnet. Im frühen Mittelalter verschob sich die Bedeutung von convenientia hin zu vorläufig, meist in mündlicher Form getroffenen Vereinbarungen. Vgl. E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 17; A. J. Kosto, The convenientia, insb. S. 4f., 17f. und 26.} sollen mit unzerbrechlicher und unerschütterlicher Festigkeit Bestand haben.