ES BEGINNT EIN SCHREIBEN: JEMAND ÜBER- TRÄGT ETWAS VON SEINEM ERBE AN DIE KIRCHE
Römisches Gesetz1 Zu den Verweisen auf das römische Recht in den Formeln von Angers vgl. D. Liebs, Römische Jurisprudenz, S. 191-195; A. Jeannin, Vigor actorum, S. 278-280. Der Verweis auf die freie Verfügbarkeit des Eigens ist nicht zufällig, sondern steht in direktem Zusammenhang mit dem Inhalt des Dokuments, der Übertragung von Gütern an das Kloster. und alte Gewohnheit verlangen, dass ein jeder Mann die Freiheit haben muss, zum Nutzen seiner Seele etwas von seiner eigenen Habe zu geben, wenn er dies nach seinem freien Ermessen in sich trägt und sich dazu entschließt. Und das, was man an die Stätten der Heiligen [oder] an eine Mönchsgemeinschaft spendet, geht niemals verloren, sondern man hat zum ewigen Gedenken und um der Gerechtigkeit willen wieder daran Anteil2 Schenkungen an Kirchen und Klöster mit dem Ziel, für das eigene Seelenheil zu sorgen, nahmen seit Mitte des 7. Jahrhunderts stark an Zahl zu. Häufig, wie auch bei der hier vorliegenden Formel, wurden dabei Formelbestandteile aus der Testamentpraxis übernommen. Vgl. dazu U. Nonn, Merowingische Testamente, S. 50-57; J. Barbier, Testaments, S. 10, 21 und 35-61. Zur Erwartungshaltung, dass Schenkungen mit einer Gegenleistung (hier Seelenheil) verbunden waren, vgl. J. Hannig, Ars donandi.. Daher:
In Gottes Namen, Ich, nämlich der vir illustris Soundso3 R. Kaiser, Bischofsherrschaft, S. 435, vermutet, dass es sich bei diesem vir illustris um einen Grafen handelte. Seine Vermutung beruht auf dem Vergleich mit Angers 32, in welcher ein Graf als inlustro vir illi comes in ciuetate Andecaue bezeichnet wird. Zur Verwendung des vir illuster in der Spätantike vgl. A. Chastagnol, Le Sénat romain, S. 293-324; zur Merowingerzeit vgl. H. Reimitz, Viri inlustres., und dazu auch meine Gattin, die matrona illustris4 Dem antiken Ehrentitel vir inlusteris (= vir illustris) wird hier in Analogie die inlustra matrona (= illustris matrona) also die „erlauchte Hausmutter“ zur Seite gestellt. Im Kontext der Formel betonen die beiden Titel den gehobenen sozialen Stand der Austeller, wobei matrona im positiven Sinne (als Gegenstück zu liederlichen meretrix) gemeint ist. Der analog gebildete Titel einer illustris femina ist z.B. bei Cassiodor, Variae IV,12 und IV,37 belegt. Soundso. Als wir es gemeinsam durchdachten, kamen wir überein, dass wir etwas aus unserer Habe an unser Kloster abtreten müssten, das wir gemeinsam errichtet haben5 Klostergründungen wurden im 6. Jahrhundert überwiegend von Bischöfen vorgenommen. Erst im 7. und 8. Jahrhundert wurden Gründungen durch andere Personen häufiger. Ansprüche auf Eigentum an diesen durch die Gründer (Eigenklöster) scheinen erst seit dem späten 7. Jahrhundert erhoben worden zu sein. Vgl. dazu S. Wood, The proprietary church, S. 111-118. und das zu Ehren des Heiligen Soundso innerhalb der Mauern von Angers6 Angers (Frankreich, département Maine-et-Loire, chef-lieu). erbaut worden ist und in dem die Äbtissin Soundso als Hüterin an der Spitze steht7 Über einen Nonnenkonvent innerhalb der Stadtmauern von Angers ist nichts weiter bekannt. F. Comte, Recherches, S. 135f., gefolgt von G. Jarousseau, Églises, S. 81 Anm. 75, vermutet, dass es sich hier um die sonst erstmals in DKdK 32 (844; S. 86) belegte Kirche Saint-Geneviève handeln könnte, die innerhalb der Stadtummauerung lag und als einer Heiligen geweihten Kirche durchaus einen Nonnenkonvent hätte beherbergen können. L. Piétri, Topographie V, S. 79-81, kennt weder Sainte-Geneviève noch die Formel.. Dies taten wir so auch am heutigen Tage. Es handelt sich um eine Örtlichkeit namens Soundso im Gau Soundso; im Gau Soundso handelt es sich um einen Grundbesitz aus unserem Eigentum, den wir von unserem Verwandten, dem vir venerabilis Abt Soundso, mit unserem eigenen Geld gekauft haben und der uns zum heutigen Tage gehört – das heißt samt Ländereien, Häusern, Gebäuden, Unfreien8 Der Begriff mancipia bezeichnet die Gruppe der Unfreien als Abstraktum., Landpächtern9 Der accola (acolabus = accolis) bezeichnet ursprünglich den „Anwohner“/„Nachbar“, abgeleitet aus accolere „in der Nähe wohnen“. Die Volksrechte setzen den accola dann mit dem colonus gleich. So heißt es beispielsweise in der Lex Baioariorum I,13 (De colonis vel servis) A tremisse unusquisque accola ad duo modia sationis excollegere seminare collegere et recondere debeant et vineas plantando cludere fodere propaginare precidere vindimiare. Spätestens in der Karolingerzeit bezeichnet accolae im übertragenen Sinn dann auch das Land, das von Pächtern bewirtschaftet wird (Annales Bertiniani a.866: de unoquoque manso ingenuili exiguntur sex denarii et de servili tres et de accola unus)., Weinbergen, Wäldern, Wiesen und Weiden, allen fließenden und stehenden Gewässern, der beweglichen und unbeweglichen Habe sowie den verbundenen und den zugehörigen abhängigen10 Als Verbalabstraktum von adiacere „angrenzen“ bezeichnen die abiecencia (abiecenciss = adiacentiis) hier Ländereien, die „anliegen“ und „vom Angrenzenden abhängig“ sind. Zum Vermischung von ad und a/ab P. Stotz, Handbuch 4, IX, § 111.16, S. 408. Ländereien, die an diesen Orten liegen oder zu ihnen gehören. Wir wollen, dass es zusammen mit dem oben genannten, so wie wir es angekündigt haben, um deren himmlischen Lohns willen11 Gemeint ist der Lohn, den die gespendeten Besitzungen dem Spender in dieser Welt und im Himmel einbringen. an die oben genannte Kirche und dieselbe Gemeinschaft und ihre Leiterin übertragen und gespendet wird, damit sie so in allen Belangen die uneingeschränkte Macht hat, was auch immer sie davon für ihr eigenes rechtmäßiges Vermögen und für die beständige Gemeinschaft ab diesem Tage zum Nutzen desselben Klosters auswählen mag, auszuwählen12 Die Formel hat an dieser Stelle faciunde = faciundi statt des zu erwartenden eligendi. Es handelt sich bei faciendi um das Relikt einer häufig gebrauchten Floskel, die nicht richtig angepasst wurde. In den Formeln von Angers begegnet uns immer wieder die Wendung quicquid de […] facere uoluer*, liberam in omnibus habea* potestatem faciendi. In der vorliegenden Formel wurde also schlicht der hintere Teil übernommen ohne das faciendi, das nun nicht mehr mit dem Prädikat des Relativsatzes korreliert, durch das passende Verb (eligere) im Gerundivum zu ersetzen., weil wir lieber wollen, dass es Dir, hochheilige Kirche, die zu Ehren des heiligen Soundso für eben dasselbe Kloster errichtet wurde, gehört, als unseren künftigen Erben. Wenn nun einer unserer Erben es wagen sollte, gegen dieses Schreiben über die Abtretung vorzugehen, die wir guten Willens13 Die Betonung der bona voluntas an dieser Stelle ist vermutlich ein Verweis auf die bona fides, den “guten Glauben”. Nach römischem Recht stellte dieser eine Voraussetzung für das Zustandekommen eines Vertrages dar. Vgl. dazu E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 28-30; H. Siems, Handel und Wucher, S. 362-365; A. Söllner, Bona fides. gelobt haben, um unsere Sünden zu büßen, oder er zu einem Feind der Gemeinschaft wird, oder Anklage erhebt14 Der pulsator als Synonym zu prosecutor ist in Cassiodors Variae belegt: Quod si ante designatum tempus rem videtur ingressus, quoniam praescriptio probatur obviare tricennii, petitionem iubemus quiescere pulsatoris (z.B. ep.XVIII)., soll er zuerst von der Gemeinschaft der katholischen Kirche ausgeschlossen werden und er soll der ewigen Verdammnis anheimfallen und darüber hinaus muss er dem beteiligten15 Bereits der Codex Theodosianus VII,18,12 gebraucht sociare im Sinne von„(dem Seinen) hinzufügen“ wie „aneignen“ oder sogar „beschlagnahmen“: fundum ipsum, in quo praedictus postea potuerit inveniri, fisci nostri viribus sociandum. Als Folge gelangte sociare als „aneignen“ auch in die unterschiedlichen frühmittelalterlichern Rechtssammlungen: De his, qui propriam alodem vendunt vel quascumque res et ab emptore alter abstrahere voluerit et sibi sociare in patrimonium (Lex Baioariorum XVI,17); alia medietas propter admissam violentiam fisci viribus societur (Lex Romana Burgundionum VIII,2). Zur Entwicklung der Begrifflichkeit L. Wiener, Commentary, S.2f. fiscus, desjenigen der [ihn] ausgeschlossen hat,16 Der Kirchenausschluss ist hier eine konkrete Strafmaßnahme und nicht nur eine abstrakte Bedrohung für das Seelenheil. Seit dem 6. Jahrhundert bedeutete die Belegung mit dem Anathem den vollkommenen Ausschluss aus der Kirche (gegenüber der Exkommunikation, dem Ausschluss aus der Gemeinschaft). Ausgesprochen wurde es zumeist wegen Verstößen gegen den Glauben. Vgl. dazu S. Gioanni, Anathematis vinculo, S. 101f. und 115f. In Urkunden findet sich Androhung mit Anathem und Exkommunikation, außerhalb der Formelsammlungen, bis ins 9. Jahrhundert nur in Privaturkunden und päpstlichen Bullen, häufig in Zusammenhang mit Donationen deren Bedeutung betont werden sollte. Vgl. dazu F. Bougard, Jugement divin, S. 219-225. Die hier gebrauchte Formulierung deutet zudem auf die mögliche Existenz unterschiedlicher, nebeneinander existierender fisci hin. soundsoviele Pfund17 Die libra, das römische Pfund ist eine genormte Maßeinheit, die 327,45gr. entspricht. Gold und zehn Pfund18 Vermutlich ist eine Strafzahlung in Gold und Silber gemeint (siehe auch Angers 20 und Angers 41). Zwar besteht auch die Möglicherweise, dass die fixe Strafsumme von zehn pondo (libra) Silber dem gegenwärtigen „Wechselkurs“ angepasst werden sollte ((Hack-)Silber wird in den Formeln von Angers aber zumeist in unciae gemessen). Gegen diese Interpretation spricht allerdings Fehlen eines entsprechenden Partikels (in, de) bzw. einer Form von valere (Angers 1). Zur Frage des Verhältnisses libra und pondo sowie von Gold und Silber in frühmittelalterlichen Poenformeln F. Boye, Poenformeln, S. 117-119. Silber bezahlen. Weiterhin sollen dieses Schreiben und unsere Bestimmung für alle Zeiten fest und standhaft fortbestehen.