Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Tours 44 (deu)

Ungültigerklärung eines Schuldscheins

Ungültigerklärung (evacuaturia) eines verlorengegangenen Schuldscheins über ein nun zurückgezahltes Darlehen in solidi, die dem Rückzahler nun an Stelle des Schuldscheins zurückgegeben wird.

UNGÜLTIGKEITSBESCHEINIGUNG^{1 Dieses Dokument findet sich unter demselben Titel auch als 35. Stück im zweiten Buch der Marculf-Sammlung (Marculf II,35). In der Capitulatio von P16a wird als 44 Stück ein Dokument genannt, das wir dem Titel nach (Si monasterium vel sinodochium de magna re construere vult) so ebenfalls im zweiten Buch der Marculf-Sammlung finden (Marculf II,1). Ob es sich dabei um das gleiche Dokument gehandelt hat, ist nicht zu klären, da der Text selbst in P16a nicht überliefert ist. Der Begriff evacuatoria (= evacuaturia) ist aus (e)vacuare „leer machen“/„leeren“/„entkräften“, hier im Sinne von „auflösen“/„ungültig machen“ (d.h. eine Sache ihres Gehalts entleeren) abgeleitet. Zur Bildung siehe M. Leumann, Lateinische Laut- und Formenlehre, §273, S. 288. Die (e)vacuaturia erfüllte einen doppelten Zweck: Sie machte verloren gegangene Dokumente ungültig und bestätigte zugleich den in diesem festgehaltenen Rechtsstand. Vgl. dazu H. Brunner, Die fränkisch-romanische Urkunde, S. 537-541. Im Fall dieser Formel fällt die Ausstellung der (e)vacuaturia mit der Rückzahlung des Darlehens zusammen, womit zugleich auch die cautio zurückzugeben wäre. Da diese verloren ist, wird sie vorsorglich ungültig gemacht und die Rückzahlung des Darlehens in der (e)vacuaturia festgehalten.}

An meinen Herrn (und) Bruder^{2 Vermutlich handelt es sich bei fratri um eine Anrede im christlichen Sinn („Bruder in Christo“).} Soundso, der Soundso. Da es auch allen allgemein bekannt ist^{3 Im Text der Handschrift ist an dieser Stelle zwischen omnibus und qualiter offenbar Text ausgefallen. Anhand der parallelen Überlieferung der Formel im Verbund der Marculf-Sammlung und dem Formelmaterial aus Flavigny (Marculf II,35) lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit non habetur incognitum konjizieren, wie schon Jérôme Bignon (†1656) 1613 festgestellt hat (Bignon, Marculfi monachi, S. 372). Diese logische Konjektur hat auch Zeumer, Formulae, S. 158 vorgenommen.}, dass Du vor einigen Jahren der Zahl nach soundsoviele unserer solidi als Darlehen^{4 Beneficium („Wohltat“, „Gunstbezeugung“ oder „Gabe“) wird hier im Sinne von „etwas zur Verfügung gestelltes“, „geliehenes Gut“ gebraucht, im Zusammenhang mit Geld also „Darlehen“. Seit dem 7. Jahrhundert entwickelte sich beneficium zum terminus technicus für die zeitlich befristete Landleihe zum Nießbrauch, ohne seine Grundbedeutung zu verlieren. Vgl. dazu É. Lesne, Les diverses acceptions, S. 5; B. Kasten, Beneficium, S. 253f.; P. Fouracre, The use of the term beneficium, S. 70f.} erhalten hast und uns dafür einen Schuldschein^{5 Die cautio löste in der Spätantike die Stipulationsurkunde als Schuldschein ab. Sie enthielt zumeist Angaben über den Empfang eines Darlehens, die Gewährung eines Pfandes sowie die Verpflichtung zur Rückzahlung nach einer bestimmten Frist nebst einer Strafklausel. Wurde das Darlehen zurückgezahlt, wurde die cautio zurückgegeben. Vgl. dazu M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 377-379; H. Siems, Handel und Wucher, S. 410-412.} ausgestellt hast, so dass Du verpflichtet warst, uns dieselben soundsovielen solidi zurückzuzahlen, hast Du dies so auch getan. Aber da wir jenen Schuldschein, den Du uns ausgestellt hattest, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht haben, haben wir Dir daher dieses Ungültigkeitsschreiben^{6 Die (e)vacuaturia erfüllte einen doppelten Zweck: Sie machte verloren gegangene Dokumente ungültig und bestätigte zugleich den in diesem festgehaltenen Rechtsstand. Vgl. dazu H. Brunner, Die fränkisch-romanische Urkunde, S. 537-541. Im Fall dieser Formel fällt die Ausstellung der (e)vacuaturia mit der Rückzahlung des Darlehens zusammen, womit zugleich auch die cautio zurückzugeben wäre. Da diese verloren ist, wird sie vorsorglich ungültig gemacht und die Rückzahlung des Darlehens in der (e)vacuaturia festgehalten.} ausgefertigt, damit Du wegen derselben soundsovielen solidi für alle Zeiten losgelöst und sicher leben magst. Und falls eben dieser Schuldschein^{7 Die cautio löste in der Spätantike die Stipulationsurkunde als Schuldschein ab. Sie enthielt zumeist Angaben über den Empfang eines Darlehens, die Gewährung eines Pfandes sowie die Verpflichtung zur Rückzahlung nach einer bestimmten Frist nebst einer Strafklausel. Wurde das Darlehen zurückgezahlt, wurde die cautio zurückgegeben. Vgl. dazu M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 377-379; H. Siems, Handel und Wucher, S. 410-412.} auftauchen sollte und von uns oder unseren Erben vorgebracht werden wird, soll er keine Wirkung erlangen, sondern leer und gehaltlos bleiben.