SCHENKUNG1 Mit donatio wurde im römischen Recht die Schenkung bezeichnet. Seit Konstantin dem Großen war die donatio ein Geschäftstyp eigener Art, der wie der Kauf den Übergang des Eigentums unmittelbar bewirkte. Wie dieser musste sie vor Zeugen stattfinden, schriftlich niedergelegt und öffentlich registriert werden. Vgl. dazu E. Levy, West Roman vulgar law, S. 138f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 394-399. FÜR EINE KIRCHE
In zunehmenden Unglücken offenbaren sich sichere Zeichen für das herannahende Ende der Welt. Daher [schenke]2 Die Arenga überliefert nur den ersten Teil des Satzes, das Prädikat fehlt, vom Kontext der donatio und dem Wortlaut des folgenden Dokuments dürfen wir mit einiger Sicherheit aber ein trado, cedo oder dono konjizieren. Die gesamte Arenga hat sehr große Übereinstimmungen mit dem Beginn von Marculf II,3, ist aber im Vergleich weniger elaboriert ausgeführt. ich, in Gottes Namen der Soundso, der ich die Last meiner Sünden bedenke und mich der Güte Gottes entsinne, die da sagt „Gebt Almosen und alle Dinge sind für euch rein“3 Der Verfasser verkürzt Lc 11,41 „Gebt jedoch als Almosen, was übrigbleibt, und siehe, alle Dinge sind für euch rein“ (verumtamen quod superest date elemosynam et ecce omnia munda sunt vobis) auf das Wesentliche....
DESGLEICHEN AUF ANDERE ART
Wenn wir irgendetwas von unserer Habe an Stätten der Heiligen und zur Versorgung der Armen übertragen, werden wir darauf vertrauen, dass es sich für uns zweifellos mit ewiger Seligkeit auszahlt.4 Die Arenga ist identisch mit der Arenga von Marculf II,6. Die beiden Fassungen der Flavignysammlung (P2, Ko2) grenzen die zweite Arenga nochmals mittels Auszeichnungszeile ab. In Ko2 sind darüber hinaus eine weitere Arenga und Dispositio eingeschoben bevor der Text der Formel beginnt. Dieselbe Arenga erscheint in P3 als Teil der siebten Formel der Flavignysammlung. Da das entsprechende Material nur im Kontext der Sammlung aus Flavigny überliefert ist, wurde der Einschub nicht in die vorliegende Edition aufgenommen, sondern wird im Verbund des Flavignymaterials ediert werden.
Im Vertrauen auf die wahrlich große Barmherzigkeit und die Gnade des Herrn [schenke] ich nämlich mit diesem Schenkungsschreiben – und ich möchte, dass diese Schenkung von Dauer sei – an die Kirche des heiligen Martin5 Die Kirche Saint-Martin de Tours, Tours (Frankreich, Indre-et-Loire), war als Grabstätte des heiligen Martin eines der wichtigsten spirituellen Zentren im Frankenreich., wo derselbe in seinem heiligen Leib ruht,6 Der heilende und heilige virtus eines Heiligen blieb in seinen Reliquien insbesondere im Leichnam präsent. Zum Martinskult im Frankenreich allgemein E. Ewig, Le culte de saint Martin. sowie der ganzen Gemeinschaft, die dort versammelt ist und der der vir venerabilis Soundso als Abt vorsteht, aus meinem eigenen rechtmäßigen Vermögen ein Landgut namens Soundso, das im Gau Soundso, in der Gemarkung7 Bei der condita handelte es sich wohl um eine Untereinheit des pagus, ähnlich der vicaria, die neben dem territorialen Bezug auf Einwohner desselben rekurrieren konnte. Verweise auf die condita finden sich seit dem frühen 8. Jahrhundert vor allem im unteren Loiretal und der bretonischen Mark. Vgl. dazu J.-P. Brunterc’h, Le duché du Maine, S. 83f.; J. F. Boyer, Pouvoirs et territoires, S. 370. Soundso liegt, samt Ländereien, Gebäuden, Landpächtern8 Der accola (acolabus ist eine Nebenform zu accolis) bezeichnet ursprünglich den „Anwohner“/„Nachbar“, abgeleitet aus accolere „in der Nähe wohnen“. Die Volksrechte (u. a. Lex Baioariorum I,13) setzen den accola dann mit dem colonus gleich. Spätestens in der Karolingerzeit bezeichnet accolae im übertragenen Sinn dann auch das Land, das von Pächtern bewirtschaftet wird (Annales Bertiniani a. 866)., Unfreien, Freigelassenen9 Freigelassene verblieben nach ihrer Freilassung zumeist in der Patronatsgewalt ihres Freilassers. Dessen Schutz war häufig mit der Verpflichtung zu exakt festgelegten Diensten und Abgaben verbunden. Im Laufe des Frühmittelalters wurde libertus zunehmend zu einem vererbbaren Stand, während sich zugleich die Beziehung zwischen Freigelassenem und Freilasser allmählich entpersonalisierte. Seit dem 8. Jahrhundert scheinen die Grenzen zwischen liberti und servi, aber auch zwischen liberti und ingenui durch die Fixierung der Lasten zunehmend verschwommen zu sein. Vgl. dazu J.-P. Devroey, Puissants, S. 270; A. Rio, Slavery, S. 75-79; H. Grieser, Sklaverei, S. 150-153; S. Esders, Formierung, S. 23 und 30-33; H.-W. Goetz, Serfdom, S. 34; W. Rösener, Vom Sklaven zum Bauern, S. 85-87., Weinbergen, Wäldern, Wiesen, Weiden, stehenden und fließenden Gewässern, der beweglichen und unbeweglichen Habe [und] mit allem was dazu gehört und davon abhängt. Genau so wie es zum gegenwärtigen Zeitpunkt von mir besessen wird, überantworte und übertrage ich es vollständig und zur Gänze aus meinem rechtmäßigen Vermögen in Euer rechtmäßiges Eigentum und das des heiligen Martin. Dies freilich unter der Bedingung, dass ich, solange ich am Leben sein werde, die vorgenannte Habe ohne jedwedes Vorrecht oder irgendeine Einbuße zum Gebrauch als beneficium10 Im Wortsinne „Wohltat“, „Gunstbezeugung“ oder „Gabe“ wurde beneficium seit dem 7. Jahrhundert zunehmend auch in Verbindung mit der prekariatischen Landleihe gebraucht und entwickelte sich in der Folge zum terminus technicus für die zeitlich befristete Landleihe zum Nießbrauch. Vgl. dazu É. Lesne, Les diverses acceptions, S. 5; B. Kasten, Beneficium, S. 253f.; P. Fouracre, The use of the term beneficium, S. 62 und 70f. halten und beanspruchen darf. Und nach meinem Hinscheiden sollen die Leiter derselben Kirche oder ihre agentes11 Agens „der/die Tätige“ (von agere) bezeichnet häufig den Bevollmächtigten eines Herrn (z.B. Vogt oder Meier) oder einer Institution und dient als Synonym für advocatus, villicus oder procurator; dazu C. v. Schwerin, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, S. 92. alles – das gebe Christus –, was auf dem schon genannten Landgut und innerhalb seiner Gemarkung hinzugefügt, herbeigeschafft, aufgewertet und erworben worden sein wird und was mein Tod daselbst hinterlassen haben wird, zusammen mit dem oben dargelegten ohne Aussicht auf eine Abgabe für irgendwen oder einer Zuweisung an die Amtleute, als unser Almosen und zur Versorgung der Mönche, die daselbst leben, in ihre Gewalt und Herrschaft zurücknehmen, gerade so, als ob man es ihnen zum heutigen Tage ohne Gebrauchsrecht durch uns zum Besitz überantwortet hätte, so dass sie in Belangen die uneingeschränkte und allerbeständigste Gewalt für alles haben, was auch immer sie zum Nutzen des Klosters zu tun beschließen.
Und falls es sonst irgendjemand12 Die (maskuline) Rekompositionsform quislibet (aus quilibet, quis) wird sehr häufig auch für feminine Substantive verwendet, dazu P. Stotz, Handbuch 4, VIII, § 62.2, S. 129. außer diesem hier13 Der Verfasser spricht hier von sich in der dritten Person. geben sollte, der künftig eine andere Urkunde vorzeigen wird, sei es eine frühere oder eine spätere, die wir nicht ausgestellt oder auszustellen befohlen haben, soll sie keine Wirkung erlangen, sondern null und nichtig sein. Den Urheber des Verbrechens und Fälscher soll die richterliche Gewalt verurteilen14 Die Praxis der Urkundenfälschung war im frühen Mittelalter bereits stark verbreitet. Wie bereits im römischen Recht war diese Tätigkeit auch in den Leges verboten (Lex Ribuaria 59,3, S. 107, mit besonderem Schutz der Königsurkunde). Im Falle von Fälschungsverdacht sahen diese bestimmte Maßnahmen wie die Befragung der Zeugen der Urkunde und als letztes Mittel den Schriftvergleich vor (Lex Ribuaria 62,5, S. 115). Neben der weltlichen Gesetzgebung sahen auch die Kanones seit dem 4. Jahrhundert Strafen, nicht zuletzt auch die Exkommunikation, für Fälscher vor. Vgl. dazu P. Worm, Alte und neue Strategien, S. 300f.; P. Herde, Die Bestrafung, S. 583-588; E. A. R. Brown, Falsitas pia sive reprehensibilis, S. 106-115.. Und falls es jemanden geben sollte, sei es ich selbst oder einer meiner Erben oder irgendjemand, der es wagt gegen diese Schenkung irgendetwas vorzubringen oder irgendwelche Schliche zu betreiben, soll er das, was er fordert, nicht erreichen und muss demjenigen, dem er den Rechtsstreit aufbürdet, 500 solidi bezahlen; und diese Schenkung hier soll mit einer hinzugefügten eidlichen Zusicherung15 Die Stipulationsformel wies in römischen Urkunden ursprünglich auf ein mündliches, an Frage- und Antwortform gebundenes Leistungsversprechen hin, mit welchem eine Partei gegenüber einer anderen eine Verpflichtung einging. Die Anbringung der Formel an den Vertrag wirkte rechtskonstituierend, auch wenn der mündliche Vollzug der Stipulation nach und nach entfiel. In fränkischer Zeit scheint das Bewusstsein für die Herkunft der Formel geschwunden, ihre Anbringung aber als Stärkung der Autorität und Sicherheit der Urkunde verstanden worden zu sein. Vgl. dazu; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 34-46; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-382; D. Simon, Studien, S. 33-40; P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 25-31. unvermindert fortbestehen.