DESGLEICHEN EIN WEITERES [GESCHICHTCHEN]1 Der Brief ist durchgehend in Reimprosa verfasst: Die einzelnen Glieder bzw. Kola einer Sinneinheit, die durch Sprechpausen abgegrenzt werden, sind jeweils miteinander gereimt. Es handelt sich dabei nicht um eine Form von Lyrik, sondern um einen bewusst gesetzten Schmuck der Prosa, der dem Brief allerdings eine artifizielle Dichte verleiht und ihn von gewöhnlicher (Brief-)Kommunikation abgrenzt. Ein fester Rhythmus oder ein Metrum ist nicht zu erkennen. Vgl. dazu auch D. Shanzer, The Tale, S. 392-396; zur Reimprosa allgemein K. Pohlheim, Lateinische Reimprosa, S. IX und S. 320f.
Es beginnen Worte, verbunden durch eine Erzählung über einen Betrüger leer an Glauben und voll von Hinterlist:
Der heilige Salomo schrieb in seiner Weisheit zurecht den Satz, dass du, damit du dem Dummen nicht ähnlich wirst, ihm niemals mit einer Unmutsäußerung2 Das (spät-)antike muttum bzw. muctum lebt u.a. im franz. mot fort. Zu muctum vgl. auch E. Besta, Muctum, S. 43f. antworten sollst3 Frodebert spielt hier auf Prv 26,4 an: „Antworte einem Dummen nicht, wie zu seiner Dummheit passt, damit Du ihm nicht ähnlich wirst“ (Ne respondeas stulto iuxta stultitiam suam, ne efficiaris ei similis).. Und ich habe mich bei vielem sehr zurückgehalten, ich habe beschlossen, dem Dummen so zu antworten, dass er beschämt werde auf der Stufe des Dummen. Er soll es niemals mehr wagen sich zu rühmen. Ich habe geantwortet, ich sprach über den Betrüger und Du sollst ihn bei der Rede nicht schonen, ihn, der [meint], dass er aus Eichenholz gepflanzt sei, der seinen Mund nicht hält vom üblen Geschwätz des Einflüsterers [und] von den verletzenden Worten des Narren; der seinen Helfer vergessen hat, der nicht mehr an den denkt, der ihn genährt hat [und] der auf Recht und Schamgefühl herumgetrampelt hat; der auf das ihm entgegengebrachte Vertrauen und auf diejenigen, die ihm sein vormaliges Eigengut4 Mit allodium wurde in der Merowingerzeit zunächst der eng mit dem erbbaren oder ererbten verbundenen und nicht auf andere Weise erworbenen Grundbesitz bezeichnet. Im Laufe der Karolingerzeit schwächte sich diese Trennung ab. Seit dem 10. Jahrhundert konnte allodium damit jede Form keinerlei Einschränkungen unterliegenden und frei verkäuflichen Grundbesitzes bezeichnen, der als Erbe weitergegeben werden konnte und für welchen lediglich an den fiscus Abgaben zu leisten waren. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242-246; E. Magnou-Nortier, Recherches sur l’alleu, S. 143-172. wieder verschafft haben, widerlich Stinkendes kotzt. Er erzählt unglaubwürdige und boshafte Geschichten; auch besudelt er gute Gewissen, die guten Lohn gesammelt haben; er zerschlägt meine ordentlichen, heiligen und alten, schönen, überaus beständigen und feinen Freundschaften. Er fasst in Worte, was er niemals gesehen hat; er schreibt Dinge nieder, die sein Geist ihm eingibt5 Der zu erwartende Reim scribit … fecit … credit wird hier durch die Wortstellung fecit animus in der Mitte der Reimtirade durchbrochen. Das Durchbrechen des Reimschemas lenkt den Fokus des Lesers auf das letzte Wort der mittleren Sequenz, animus. Der Vorwurf, dass Inportunus’ Anschuldigungen nur seinem Geist entsprängen, wird so kunstvoll in die Mitte der Periode gestellt und betont.; man muss sich vor dem hüten, der ihm glaubt! Und wenn er den brabbelnden Zorn nicht zügelt, so ist er als hinterlistiger Räuber gewiss des Mordes6 Weder das römische Recht noch die frühmittelalterlichen Leges kannten eine Differenzierung von Tötungsdelikten nach den modernen Kategorien von Mord und Totschlag. Homicidium konnte mithin jede Form von Tötung bezeichnen. Nach römischem Recht stand bei der Beurteilung eines Tötungsdeliktes der Vorsatz der Handlung im Zentrum. Dieser spielte in den Leges keine Rolle, die stattdessen zwischen offener und heimlicher Tötung unterschieden. Vgl. dazu D. Simon, Homicidium; R. Schmidt-Wiegand, Mord (sprachlich), Sp. 673f.; D. Meurer, Tötungsdelikte, Sp. 286f.; W. Schild, Totschlag, Sp. 902; W. Schild, Mord, Sp. 833. schuldig; der Ehebrecher hat sich als Entführer erwiesen; unzählige Freveltaten hat er begangen. Irrend läuft er umher wie ein Blinder [und] versucht mein Ansehen zu beschmutzen. Von Gott wird er verachtet und [von Gott] ist er verlassen, vom Feind ist er gleichermaßen bei seiner Rede wie auch im Herzen verdorben. Glaubt nicht, oh Herr, glaubt nicht, oh Mächtiger, solch Schmutz! Ich schwöre bei Gott und den heiligen Quellen7 Gemeint sind die heiligen Schriften, die Bibel. In der christlichen Metaphorik ist Christus die Quelle der Weisheit und des Lebens, vgl. E. Wipfler, Fons vitae., bei den Bergen Zion und Sinai8 Gemeint sind der Bund Zion, das Neue Testament und der Bund Sinai, das Alte Testament.: Zum Betrüger ist jener geworden, als Lügner ist er verrufen. Er verzieht seine Gesichtszüge und sie sind entstellt; wie sein Geist, so ist auch sein Aussehen. Einer der so erbärmlich ist, ist kein Mensch. Der Fuchs bellt, doch nicht so wie der Hund9 Der Fuchs ist negativ konnotiert, vgl. auch Pactus legis Salicae 30,4 wonach die Beschimpfung als Fuchs, eine von sechs explizit genannten Beleidigungen für Männer, mit drei solidi bestraft wurde. Laut Maximus v. Turin († ~420) gleichen sich die Laute von Fuchs und Hund, doch der Fuchs offenbart sein schlechtes Wesen durch seine schlechten Taten (Maximus, Sermo 41 (CCSL 23): Vulpis enim latratu canis resonat, dolo rapinam fraudis exercet) Bei Isidor von Sevilla (†636), ist der Fuchs hinterlistig und verschlagen (Isidor, Etymologiae XII, 2, §29: fraudulentum animal insidiis que decipiens). Nach Isidor gleichen sich die Laute von Fuchs und Hund nicht (Isidor, Differentiae 607,§70: canis baubat, vel latrat, vulpes gannit). Frodebert benutzt den Ausspruch erneut in Sens A 56.. Von seiner Falle singt er wie der wortgewandte Denunziant; es gibt keinen größeren Betrüger als diesen hier10 Die (ungerechtfertigte) Beleidigung als dilator bzw. als falsator wurde nach Pactus legis Salicae 30,7 als eine von sechs explizit genannten Beleidigungen für Männer, mit 15 solidi geahndet.. Er grunzt hinter der Ferse, er bläst die Backen zum Brüllen auf, er schreit und rennt verschwitzt umher, er verspritzt stinkenden Schleim; aber er macht [mir] keine Angst, er, der keinen Gehilfen hat, der meinen Beschützer übertrifft. Ein Jagdhund11 Sowohl im Deutsche als auch Französischen bezeichnet „Bracke“ oder „braque“ bis heute jeweils eine bestimmte Form von Jagdhund. schreckt solch einen Mann nicht auf, ein Jagdhund bellt den Unschuldigen nicht an, ein Jagdhund […] vom weit offenen Sack zurückzuweichen, […] Jagdhund und nicht einmal den herabstürzenden Falken zu fürchten.
Du wirst jenen Ort nicht verderben, [denn] Du bist nicht einmal so viel wert wie ein Gockel12 Der Hahn genoss im frühen Mittelalter, beeinflusst durch biblische Motive, eigentlich großes Ansehen. Vgl. C. Beaune, Pour une préhistoire, S. 69-72.. Du gleichst wahrlich weder Deinem Vater noch Deiner Mutter. Keine Freude hast Du an Deinen Zähnen. Du entehrst Deine Eltern. Zu Deiner Falschheit gebührt Dir solch eine Krone!