[I]1 Die Stücke der Gruppe 3 haben sich offenbar nach den Stücken der Gruppe 1 an das Marculfmaterial angelagert und werden von P12 nicht überliefert. Die Überlieferung scheint sich bereits zuvor getrennt zu haben. Bereits K. Zeumer, Formelsammlungen, S. 24 wies auf die Trennung der Überlieferung hin. Aufgrund des später von ihm für Le1 und P12 postulierten gemeinsamen Vorbilds führte er das Fehlen in der Edition dann aber ohne weitere Erläuterung auf einen Fehler des Schreibers zurück (K. Zeumer, Formulae, S. 35f.). Teile des Materials fanden in der Folge Eingang in andere Sammlungen und wurden sowohl in die von Marculf abhängige(n) Formelsammlung(en) aus Flavigny (Ko2, P3), wie auch die karolingischen Formelsammlungen aus Le3 und M4 aufgenommen. Die Nummerierung der Gruppe folgt der historischen Nummerierung aus P16a. [IMMUNITÄT]2 Für P16a ist kein Titel überliefert. Das Formelmaterial aus Flavigny überliefert eine fast identische Formel (Collectio Flaviniacensis 48). Bei diesem Stück handelt es sich im Gegensatz zum hier vorliegenden Dokument um eine allgemeine Zollbefreieung für einen Bischof und seine missi, die im ganzen Reich gelten soll, während im vorliegenden Fall nur eine bestimmte regelmäßige Verbindungauf einem festgelegten Reiseweg befreit wird. Das Prinzip der Immunität wurde bereits im spätantiken Recht etabliert. Immunitas bezeichnete in dieser Zeit ein vom Kaiser gewährtes Privileg, mit welchem bestimmte, sehr begrenzte fiskalische Exemptionen, in der Regel auf Arbeitsdienste und außergewöhnliche Belastungen, gewährt wurden. Vgl. dazu E. Magnou-Nortier, Étude, S. 468f. Von dieser zu unterscheiden ist die erst in der zweiten Hälfte des 7. Jahhrunderts etablierte, ein Introitusverbot für öffentliche Amtsträger umfassende, merowingische Immunität. Vgl. dazu C. Brühl, Die merowingische Immunität, S. 33-38. Ähnliche Zollbefreiungen für jährlich 10 Fuhren in Diensten des Klosters Saint-Denis, insbesondere nach und von Marseille, finden sich in DDMerov 123 (allgemeine Zollbefreiung), 138 und 170 sowie DPip 19 und DKm 47.
Soundso, König der Franken, an die viri illustres, die patricii3 Der patricius-Titel des Frankenreiches scheint, im Gegensatz zum oströmischen Reich, kein reiner Ehrentitel, sondern auf das Engste mit dem aus spätrömischer Zeit überdauerten Patriziat der Provence verbunden gewesen zu sein. Seine Nennung in diesem Dokument geht wohl auf die weiter unten beschriebene Reiseroute von Marseille aus die Rhône hinauf, und damit durch sein Amtsgebiet, zurück. In seinen Kompetenzen scheint der Patriziat dem Dukat vergleichbar gewesen zu sein. Vgl. dazu D. Claude, Niedergang, S. 363-376; I. Heidrich, Titulatur, S. 92f.; A. R. Lewis, The dukes, S. 389. Im Gegensatz zu Marculf I,8 fehlt in der Ämterreihung dieser Formel der Verweis auf den dux., die Grafen, die Zolleintreiber4 Bei tolenar(i)us bzw tolonarius handelt es sich um eine häufig gebrauchte Nebenform zu telonarius (regressive Assimilation), abgeleitet aus teloneum (gr. τελωνειον) „Zollhaus“. Beim telonarius handelte es sich um Zöllner, denen die Erhebung des teloneum, einer Abgabe auf den Transport und Verkauf bestimmter Waren oblag. Telonarius konnte dabei sowohl den den viri illustres angehörenden Leiter einerZollstelle bezeichnen, als auch dessen Untergebene. J. Durliat, Finances publiques, S. 116af.; D. Claude, Handel, S. 123. und alle, die mit der öffentlichen Fürsorge befasst sind.
Wenn wir nicht davon ablassen, angemessene Wohltaten an die Stätten der Heiligen [und] der Kirchen zu geben sowie sie den Priestern5 Sacerdos ist zugleich auch eine von sieben möglichen Bezeichnungen für einen Bischof. zu gewähren, vertrauen wir darauf, dass uns dies ohne Zweifel in ewiger Seligkeit vergolten werden wird.
Daher soll Eure Hoheit und Nützlichkeit erfahren, dass wir auf Bitten hin dem vir apostolicus Soundso, dem Bischof der Stadt Soundso, um des Namens des Herrn willen, weil wir uns durch seine Verdienste dazu genötigt sehen, folgende Wohltat gewährt haben: Wisset, dass seine Boten bei den soundsovielen Fuhren6 Carra konnte sowohl als Bezeichnung für Gefährte, aber auch für die Ladung oder auch für eine Mengeneinheit als Bezollungsgrundlage dienen. Vgl. A. J. Stoclet, Immunes, S. 62f. jedes Jahr, die sie zum7 Das Zusammenfallen ad mit a/ab ist frühmittelalterlichen Texten häufig zu beobachten, dazu P. Stotz, Handbuch 3, VII § 194.6, S. 236. Erwerb von Lichtern8 Zur Beleuchtung von Kirchen wurden zumeist Öllampen genutzt. Sie diente auch liturgischen Zwecken und wurde die ganze Nacht, häufig auch Tag und Nacht, hindurch unterhalten. Vgl. dazu P. Fouracre, Eternal light, S. 68f.; D. R. Dendy, The use of lights, insb. S. 1-71. nach Marseille9 Marseille (Frankreich, Département Bouches-du-Rhône). Gregor von Tours, Historiarum libri X, IV,43 und V,5 weist auf die Bedeutung Marseilles für den Ölhandel hin. Im Laufe des 8. Jahrhunderts scheint diese Bedeutung allerdings immer weiter abgenommen zu haben. Die Ölimporte dieser Zeit stammten wohl vor allem aus Spanien oder Nordafrika. Vgl. dazu auch D. Claude, Handel, S. 74-76 und P. Fouracre, Eternal light, S. 69-72. oder zu den übrigen Häfen10 Explizit werden weiter unten die Häfen von Fos-sur-Mer und Toulon genannt. in unserem Reiche, wo auch immer sie Handel treiben, oder für sonstige Erfordernisse hin und her fahren, diese Dinge nicht verzollen müssen11 Gemeint ist das Entrichten von Abgaben auf die Wagen und Waren. Die alternative Fassung dieser Formel ist in ihren Bestimmungen deutlich präziser und legt bezüglich der Wagen fest „dass seine Boten, die hin und her fahren, keinen Zoll oder irgendeine Abgabe an unseren fiscus zahlen müssen“. Dieselbe Formulierung finden wir auch in der deutlich weiter gefassten Zollbefreiung Flavigny 48. Zu derartigen Ferntransporten vgl. auch J.-P. Devroey, Les services (für Prüm); J. Durliat, La vigne (für St. Germain-des-Prés).. Deshalb bestimmen wir durch die vorliegende Verordnung, von der wir befehlen, dass sie dauerhaft bestehen bleiben soll, dass es keinerlei Zoll12 Das teloneum bezeichnete eine Abgabe auf den Transport und möglicherweise auch den Verkauf bestimmter Waren. Die Einkünfte aus demselben fielen an den Fiskus. Erhoben wurde er an festgelegten Zollstationen durch telonarii genannte Zöllner. Vgl. dazu F.-L. Ganshof, Tonlieu sous les Mérovingiens; R. Kaiser, Teloneum; A. J. Stoclet, Immunes. für den Bischof auf dieselben soundsovielen Fuhren desselben geben soll. Weder Ihr noch Eure Untergebenen oder Nachfolger sollt bei eben jenen von denselben soundsovielen Wagen weder in Marseille13 Marseille (Frankreich, Département Bouches-du-Rhône). Die folgenden Orte beschreiben (mit Ausnahme Toulons) eine Route entlang der Rhône und der Saône. Marseille, Fos, Valence und Lyon finden sich auch in einer ähnlichen Zollbefreiung für Saint-Denis, überliefert in der Gesta Dagoberti, c. 18, ed. Krusch, S. 406 (vgl. auch DMerov Dep. 180). Ähnliche Zollstellen finden sich auch an der Loire (vgl. DMerov 84, Fälschung des 9. Jahrhunderts, aber wohl wegen der zeitlichen Nähe für die dort angegebenen Zollstellen verlässlich) und der Seine. Vgl. dazu F.-L. Ganshof, Tonlieu sous les Mérovingiens, S. 301f. ; F.-L. Ganshof, Les bureaux. Spätestens unter Karl dem Großen scheinen Einkünfte aus dem teloneum in Marseille an das Kloster Saint-Victor übertragen worden zu sein (vgl. J. Lechner, Verlorene Urkunden, S. 857 Nr. 308; DLF 214; DLoI 18)., Toulon14 Toulon (Frankreich, Département Var). F.-L. Ganshof, Tonlieu sous les Mérovingiens, S. 301 Anm. 37 und S. 303 mit Anm. 48; wie auch F.-L. Ganshof, Les bureaux, S. 130 Anm. 25 liest stattdessen teloneo Fossis im Sinne von Zollstelle Fos., Fos15 Fos-sur-Mer (Frankreich, Département Bouches-du-Rhône). Teile der Zolleinkünfte aus Fos wurden unter Clothar III. an das Kloster Corbie für die Beleuchtung übertragen (vgl. DMerov 171: de tulloneo de Fossas annis singolis ad ipso monasterio concesserunt, hoc est: oleo libars X milia, garo modios XXX, pipere libras XXX, cumino libras CL, cariofile libras II, cinnamo libram I, spico libras II, costo libras XXX, dactilibus libras L, karigas libras C, amandolus libras C, pastacias libras XXX, olivas libras C, hidrio libras L, cicer libras CL, oridia libras XX, auro pimento libras X, seoda pelles X, cordevise pelles X, carta tomi L.)., Arles16 Arles (Frankreich, Département Bouches-du-Rhône), Avignon17 Avignon (Frankreich, Département Vaucluse), Soyons18 E. Rozière, Recueil 1, S. 50 identifizierte Sugione zunächst mit Sorgues (Frankreich, Département Vaucluse), korrigierte aber später nach Korrespondenz mit Augustin Deloye auf Soyons im Département Ardèche (E. Rozière, Recueil 3, S. 316-320). Sowohl K. Zeumer, Formulae, S. 107 und 726 als auch A. Uddholm, Marculfi Formularium, S. 335 und A. Rio, The formularies, S. 231 unterstützen die Identifikation. Eine Zollstelle in Soyons ist bis ins 12. Jahrhundert hinein belegt. Zu Soyons als Zollort vgl. A. Gilles, L’établissement, hier insb. S. 193f., Valence19 Valence (Frankreich, Département Drôme), Vienne20 Vienne (Frankreich, Département Isère), Lyon21 Lyon (Frankreich, Circonscription départementale du Rhône), Châlon22 Châlon-sur-Saône (Frankreich, Département Saône-et-Loire) oder in den übrigen Städten und den Gauen, wo auch immer man in unserem Reiche man Zölle erheben mag; weder auf dem Transport per Schiff noch per Fuhrwerk23 Die in den Hafenstädten der Mittelmeerküste eingekauften/-getauschten Lichter wurden also per Fuhrwerk und Schiff die Rhône hinaufbefördert, bzw. Güter/Gelder zum Erwerb hinab. Zur Bedeutung des Flussverkehres im Frankenreich und insbesondere der Route entlang der Rhône vgl. D. Claude, Aspekte des Binnenhandels, S. 14-25 und 38-41. Transporte Flussaufwärts dürften vor allem getreidelt worden sein. Ebd., S. 19f. Zum fränkischen Transportwesen vgl. insb. W. Janssen, Reiten und Fahren., irgendeinen Wagenzoll24 Das rotaticum bezeichnete eine Abgabe auf den Verkehr mit Fuhrwerken, deren Höhe sich nach der Zahl der Räder richtete. Vgl. dazu F.-L. Ganshof, Origines romaines, S. 387-394.; H. Adam, Das Zollwesen, S. 61f.; A. J. Stoclet, Immunes, S. 166., Brückenzoll25 Beim pontaticum handelte es sich wohl um eine Gebühr, die beim Queren von Brücken zu entrichten war und die auch für diese durchfahrenden Schiffe anfiel. Vgl. dazu H. Adam, Das Zollwesen, S. 57; A. J. Stoclet, Immunes, S. 163f., Straßenzoll26 Das „Staubgeld“ (pulveraticum) bezeichnete wohl eine Straßennutzungsgebühr, die unter anderem auch bei Viehtrieben zu entrichten war. Vgl. dazu H. Adam, Das Zollwesen, S. 59f.; A. J. Stoclet, Immunes, S. 165f., Marktzoll27 Beim frühmittelalterlichen salutaticum handelte es sich vermutlich um eine Art von Marktnutzungsgebühr, möglicherweise identisch mit dem seit 444 eingeführten, aber im frühen Mittelalter kaum belegten siliquaticum. Vgl. dazu H. Adam, Das Zollwesen, S. 62-65; kritisch A. J. Stoclet, Immunes, S. 166-169., oder Rasenzoll28 Mit caespitaticum wurde wohl eine Abgabe auf die Nutzung von Straßen und Wegen bezeichnet, die sowohl Fuhrwerke an Land als auch getreidelte Schiffe zu entrichten hatten. Vgl. dazu H. Adam, Das Zollwesen, S. 45f.; kritisch A. J. Stoclet, Immunes, S. 152-155. oder sonst irgendeine Abgabe, die sich unsere fiscus davon erhoffen könnte, einziehen oder erheben. Denn insgesamt und in jeder Hinsicht sollen derselbe Bischof und seine Nachfolger und die erwähnte Kirche des Herrn Soundso dies um des Namens des Herrn willen zugestanden bekommen und es soll für die Lichter desselben heiligen Ortes29 Zur Beleuchtung von Kirchen wurden zumeist Öllampen genutzt. Sie diente auch liturgischen Zwecken und wurde die ganze Nacht, häufig auch Tag und Nacht, hindurch unterhalten. Vgl. dazu P. Fouracre, Eternal light, S. 68f.; D. R. Dendy, The use of lights, insb. S. 1-71. dienlich sein.
Wir haben entschieden, diese Urkunde aber, die für alle Zeiten wirksam sein soll, unten mit eigener Hand zu bekräftigen.