Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Marculf I,23 (deu)

Königliche Suspension der Rechtsangelegenheiten einer abwesenden Person

Königliche Anordnung zur Suspension der Rechtsangelegenheiten einer im königlichen Auftrag entsandten Person, der ihrer Freunde, ihrer Dienstleute und ihrer Untergebenen bis zu ihrer Rückkehr.

URKUNDE FÜR ANGELEGENHEITEN IN DER SCHWEBE

Eure Hoheit und Nützlichkeit soll wissen: Weil wir dem vir apostolicus – oder dem vir illustris – Soundso befohlen haben, in der vorliegende Sache für unsere Interessen dorthin^{1 Das Adverb ibi dient hier als Platzhalter für das mögliche Ziel.} zu reisen^{2 Die Entsendung in königlichem Auftrag deutet darauf hin, dass es sich bei diesen Personen um missi handelt. Als solche konnten grundsätzlich alle am Hof verfügbaren Personen eingesetzt und mit administrativen, politischen, militärischen, fiskalischen oder iudikativen Aufgaben betraut werden. Kirchliche Würdenträger scheinen im 6./7. Jahrhundert hier zunächst noch eine geringere Rolle gespielt zu haben. Vgl. J. Hannig, Pauperiores vassi, S. 341f. und 350. Zu den missi siehe auch insb. J. Hannig, Zentrale Kontrolle; J. Hannig, Funktion; L. Jégou, Les déplacements; R. Deutinger, Königsherrschaft.}, ordnen wir deshalb an, dass man alle seine Angelegenheiten und die Angelegenheiten, zu denen derselbe für seine Freunde^{3 Im frühmittelalterlichen Verständnis bezeichnete die amicitia eine wechselseitige, wertbezogene und moralisch bindende Verpflichtung, die neben affektiven auch kontraktuelle Elemente enthielt und sich in gegenseitigen Diensten äußern konnte. Vgl. dazu V. Epp, Amicitia, S. 299f. Der Einbezug der amici deutet in dieser Formel daher darauf hin, dass der Träger des Schreibens sich für diese in Streitfällen einsetzte, ihnen aus seiner Abwesenheit also ein Nachteil erwachsen konnte.} oder Dienstleute^{4 Der Begriff gasindus findet sich vor allem in langobardischen Quellen und bezeichnet dort das oft bewaffnete Gefolge eines Königs oder anderen Mächtigen. Gasindi scheinen eine gehobene Stellung genossen, zugleich jedoch auch eine Dienstfunktion innegehabt zu haben. Vgl. dazu G. v. Olberg, Bezeichnungen, S. 112-124. Mit Blick auf Marculf II,36, wo der gasindus parallel zu einem servus erscheint, geht A. Rio, Freedom and unfreedom, S. 25f. von einer größeren Bedeutungsbandbreite der Bezeichnung bei Marculf aus.} oder irgendwo sonst für einen der ihm rechtmäßig Untergebenen^{5 Der Germanolatinismus mithius bezeichnet die Verpflichtung des Herrn, für die Handlungen der ihm Abhängigen Verantwortung zu übernehmen, sich für diese Einzusetzen und Rechenschaft für sie abzulegen. Mithio kann in der Folge auch den Kreis dieser Abhängigen bezeichnen sowie auch den von diesen bewohnten Raum. Vgl. dazu insb. H. Brunner, Mithio; ChWdW 8, S. 364. Die bei Seebold ebenfalls angeführte Variante mithius als „Gesamtheit der ihm Untergebenen“ ist indessen nicht haltbar, sondern geht auf die orthographische Variante mithius = mithios zurück. Anzusetzen ist also der Plural mithii.} verpflichtet ist, solange er im Landstrich Soundso weilt, in der Schwebe halten soll^{6 Das Prädikat debeant ist 3. Person Plural. Subjekt ist eine nicht genannte abstrakte Gruppe, die die Angelegenheiten vorübergehend aussetzen soll.}. Daher bestimmen und befehlen wir mit der vorliegenden Verordnung, dass man alle seine Angelegenheiten oder die seiner Freunde, sowohl derjenigen^{7 Das illorum ist Plural und dient hier vermutlich nicht als Platzhalter, sondern wurde aus der Vorlage übernommen, denn es bezieht sich auf die Gesamtheit der Freunde, die vorhergehenden auch nur als amicis suis eingeführt werden.}, die mit demselben ziehen, als auch derjenigen, die auf ihrem Besitz geblieben sind, oder die Angelegenheiten, zu denen derselbe irgendwo sonst für die Gesamtheit der ihm rechtmäßig untergebenen verpflichtet ist, bis er aus dem Landstrich Soundso zurückkehrt, in der Schwebe halten soll^{8 Siehe oben..}. Und später dann^{9 Also „Wenn er zurückgekehrt ist...“} soll er bei jeder einzelnen [Angelegenheit] für dieselben sowohl hinsichtlich der ihm auferlegten Aufgaben Gerechtigkeit walten lassen als auch von den anderen gleichermaßen die Wahrheit erfahren.