BERICHT MIT URTEIL
Durch die Autorität des Gesetzes ist vorgeschrieben, dass die gänzliche Beendigung eines Streits durch denjenigen erforderlich ist, durch den der Zwist seinen Anfang nahm. Und falls er herankam, um Raub zu begehen oder einem agens auf seiner Reise heimtückisch nach dem Leben trachtete oder das Haus eines anderen nachts geplündert hat, ist der Tod seiner Seele fürwahr1 Es handelt sich hier um das dem Griechischen (νή) entlehnte Adverb ne, nicht um die Subjunktion. erforderlich2 Die Passage folgt Breviarium Alarici IX,11,2 Interpretatio (Quoties ad faciendam rapinam aliquis aut iter agentem aut domum cuiuslibet nocturnus exspoliator aggreditur, huius modi personis, quae vim sustinent, damus etiam cum armis licentiam resistendi, et si pro temeritate sua occisus fuerit ille, qui venerit, mors latronis ipsius a nemine requiratur.)..
Aus diesem Grund kam ich, in Gottes Namen der Amtmann3 Als iudex konnten in der fränkischen Zeit Amtsträger aller Art bezeichnet werden, die Herrschafts- oder Disziplinarakte ausübten. Vgl. dazu J. Weitzel, Dinggenossenschaft, S. 204f.; S. Barbati, Studi sui iudices. Soundso zusammen mit Männern guten Leumunds4 Als boni homines wurden Männer bezeichnet, denen ob ihrer Lebensführung hohe Vertrauens- und Glaubwürdigkeit zukam und die zumeist wohl der lokalen Elite angehörten. Sie agierten unter anderem auch als Zeugen, Urteiler, Schlichter und Vermittler. Vgl. zu ihnen K. Nehlsen-von Stryk, Die boni homines; T. Szabó, Zur Geschichte der boni homines. an dem und dem Tag an den Soundso genannten Ort zur Stelle des Überfalls, wo der verstorbene Mann namens Soundso erschlagen lag, und untersuchte, aus welchem Grund er ebendort erschlagen worden sein mochte. Aber es kamen Leute, die dort ringsum leben (und) die sich beim Anfang der Auseinandersetzung dort aufgehalten hatten und die zu demselben Geschrei5 Bei (h)uccus handelt es sich um einen Ausdruck der Alltagssprache, der auch dem altfranzösischen huchier „schreien“ bzw. huche „Geschrei“ zugrunde liegt (DEAF H, S. 680 und 685) und im mittlerweile eher ungebräuchlichen hucher fortlebt. hingerannt waren, als der schon genannte Mann eben dort erschlagen wurde, und machten die folgende Zeugenaussage, dass der schon genannte verstorbene Soundso, als ein anderer Mann in für ihn üblicher Weise seines Weges kam, diesen bei dieser Gelegenheit angriff6 Der Text des Berichts ist durchgehend im Indikativ gehalten, obgleich es sich um indirekte Rede handelt. und ihm heimtückisch nach dem Leben trachtete und ihm seine Habe streitig machte und mit gezücktem Schwert gewaltsam über ihn kam, weshalb bei ihm Blutergüsse und Wunden und Blessuren sichtbar sind. Weil man solcherart die Wahrheit herausfindet, kam der schon genannte Soundso, nachdem ihn Hand und Waffen des vorgenannten Amtmanns festgenommen hatten, daher also, so wie es Sitte ist, mit 12 Männern – mit seiner Hand waren es 137 Die homines werden hier mit ihrer Schwurhand gleichgesetzt. Der Beklagte bringt also bereits 12 Händen mit, die durch seine eigene (Schwur-)Hand zu 13 werden. – und berichtete als Schwörer und Eidleister8 Des Verb dextrare (wörtl. etwa „rechten“) bedeutet in diesem Kontext so viel wie „mit rechts schwören“ oder „die rechte Hand zum Schwur erheben“. Die Partizipien dextratus und iuratus werden hier synonym iurator bzw. dextrator gebraucht. Die Idee des Reinigungseides scheint bereits in der römischen Zeit Verbreitung gefunden zu haben (vgl. dazu S. Esders, Reinigungseid; I. Wood, Disputes, S. 14-18; für O. Guillot, La justice dans le royaume franc, S. 701f. dagegen stellt der Reinigungseid eine Abkehr von der römischen Rechtspraxis dar). Der Reinigungseid konnte den materiellen Beweis ergänzen oder ersetzen. Die Eidhelfer dienten durch ihr Wissen oder durch den durch sie ausgeübten sozialen Druck der Unterstreichung der Glaubwürdigkeit des Schwörenden. Zumeist finden sich 2, 3, 6, 7 oder 12 (oder eine Multiplikation einer dieser Zahlen) Personen in dieser Rolle, wobei das Gewicht des geleisteten Eides mit der Zahl der Eidhelfer zugenommen zu haben scheint. Vgl. dazu S. Esders, Reinigungseid, S. 58-62; Ph. Depreux, La prestation de serment, S. 521-532., dass der schon genannte verstorbene Soundso ihn, als er in für ihn üblicher Weise seines Weges kam9 Wie zuvor ist der Text des Berichts durchgehend im Indikativ gehalten, obgleich es sich um indirekte Rede handelt., in böser Art angegriffen hatte und mit gezücktem Schwert über ihn gekommen war und demselben Blutergüsse und Wunden zugefügt hat und ihm seine Habe rauben wollte; und nachdem er diese noch vorhandenen Blutergüsse bekommen hatte, verwundete10 Der Rest der Überlieferung hat hier placavit „beschwichtigen“, wobei es sich hier aller Wahrscheinlichkeit nach aber um eine orthographische Variante von plagavit handelt, denn der Angreifer ist danach tot. Die Edition K. Zeumer, Formulae, S. 153 hat placavit, weist jedoch nicht auf die Lesung als plagavit hin, das nur als Variante im Apparat erscheint. er denselben von seiner Notlage dazu gezwungen, wodurch dieser Tod zu Boden fiel; und er wurde in einem von ihm begonnen Zwist und während des von ihm verursachten Tumultes11 Beim Hapaxlegomenon movita handelt es sich eine ebenfalls aus movere abgeleitete Nebenform zu motus, die auch dem altfranz. meute „Aufruhr“ zugrunde liegt, vgl. dazu F. Diez, Etymologisches Wörterbuch, S. 639 und K. Zeumer, Formulae, S. 153. Charles du Fresne, sieur du Cange (†1688) fasste movita in seinem Glossarium ad scriptores mediae et infimae latinitatis aufgrund des Kontexts noch als eine Vorform des franz. Mauvaitié „Schlechtigkeit“ oder „Übeltat“ auf (Du Cange 5, Sp. 534a). und durch seine eigenes Verschulden getötet12 Im römischen Recht wurde die Selbstverteidigung als Naturrecht angesehen (vgl. etwa Florentinus, Digesten 1,1,3; Ulpian, Digesten 43,16,1,27; Gaius, Digesten 9,2,4, pr.). Regelungen zur Notwehr finden sich im fränkischen Recht nur vereinzelt, so Lex Ribuaria 80 (77); Capitula Legis Addenda 818/819 c. 1 (MGH Capit. 1, S. 281). Der Umstand der Notwehr befreite immer von peinlichen Strafen, doch nicht immer von Wergeldleistungen (vgl. etwa Lex Liutprandi, c. 20). Zur Notwehr im frühen Mittelalter vgl. A. Roth, Notwehr; E. Kaufmann, Notwehr, Sp. 1097f. Vgl. auch Cartae Senonicae 17 für einen Reinigungseid in einem ähnlich gelagerten Fall.; und dies ist die Wahrheit ohne jedwede Täuschung oder irgendeinen Betrug; und durch seine eigene Schuld hat er sich selbst13 Lies [se] ipsum. zum Totschlagbaren14 Beim ferrobattudus bzw. forbatutus handelte es sich um jemanden, der durch sein (unmittelbar) vorangegangenes Handeln sein Leben verwirkt hatte und damit sanktionslos getötet werden konnte. Der mutmaßliche Germanolatinismus forbatutus wird seit einem Kommentar von Alfred Boretius (MGH Capit. 1, S. 16, Anm. 9) allgemein mit „(Erschlagener) für den kein Wergeld zu entrichten ist“ wiedergegeben (MLW IV, Sp. 373; Niermeyer, S.393) und lebte im altfranz. forbatre „schlagen“ fort (P. Stotz, Handbuch VI, §119,2). Die hyperkorrekte Schreibweise ferrobattudo für forbatuto findet sich so nur an dieser Stelle. Neben dieser Formel erscheint der forbatutus auch im Decretio Childeberti II, c. 2 (MGH Capit. 1, S. 16 bzw. MGH LL nat. Germ. 4,2, S. 180 und 181), der Lex Ribuaria 80 (77) und der Cartae Senonicae 17. Erhellend ist hier vor allem die Lex Ribuaria, die unter dem Titel De homine furbattudo regelt, dass ein Mann, der einen anderen Mann bei seinem Eigentum, seiner Frau oder seiner Tochter ertappt und diesen auf der Flucht erschlägt, nicht wegen dessen Tötung verurteilt werden soll, wenn er nach Ablauf von 40 oder 14 Nächten mit Eidhelfern beschwören konnte, dass er diesen getötet habe, weil dieser sein Leben verwirkt hatte (et tunc ante iudice in haraho coniuret, quod eum de vita forfactum interfecisset). Letzteres fällt zusammen mit Lex Ribuaria 82 (79), wonach ein verurteilter Dieb durch Hängen zu Tode kommen sollte. gemacht.
Daher erschien es demselben15 Das ipsius steht hier für ein ipsi; zum Gebrauch von -ius als Dativendung P. Stotz, Handbuch IV, VIII,§70, S.137f. Soundso angemessen, dass er daraufhin dieses Belegschreiben als Bericht erhalten sollte. Dies tat er so auch. Denn anschließend erging am schon genannten Ort an denselben Soundso freilich das Urteil16 Fränkische Gerichtsverfahren mündeten oft, wie in diesem Fall, in zweizüngige Urteile. Dieses ließ die Frage der Schuld offen und machte sie vom Ausgang des angeordneten Gottesurteiles bzw. der Leistung des Eides abhängig, verhängte aber bei einem Scheitern derselben bereits die Strafe. Vgl. dazu W. Bergmann, Untersuchungen, S. 14-16 und 69-73; H. Vollrath, Herrschaft und Genossenschaft, S. 61-64; I. Wood, Disputes, S. 10f.; P. Fouracre, Placita, S. 24f. und 34-41; P. S. Barnwell, The early Frankish mallus; O. Guillot, La justice dans le royaume franc, S. 691-731. , dass er in 40 Nächten in der Kirche Soundso im dem Ort, der Soundso heißt, mit 36 Männern – mit seiner Hand wären es 3717 Die homines werden hier mit ihrer Schwurhand gleichgesetzt. Der Beklagte muss also bereits 36 Händen mit in die Kirche bringen, die durch seine eigene (Schwur-)Hand zu 37 werden. – wegen des schon genannten verstorbenen Soundso vor Männern als Augenzeugen und der Sache Kundige, schwören müsse, dass der verstorbene Soundso in böser Art über ihn gekommen sei und ihm seine Habe streitig gemacht habe und der erstgenannte denselben verwundet und grün und blau geschlagen habe und denselben auf der Straße überfallen und ihm heimtückisch nach seinem Leben getrachtet habe und bei einem von ihm verursachten Tumult durch seine Schuld dort getötet worden wäre. Und falls er das können sollte, soll er wegen dieses Todes unbehelligt bleiben18 Vgl. Lex Ribuaria 80 (77)..