BEKANNTMACHUNG1 Die editio war in der römischen Rechtspraxis die Bekanntmachung eines Begehrens an den Prozessgegner (edere actionem) inklusive Anzeige der Beweismittel. Sie konnte vor oder mit der Ladung vor Gericht erfolgen. War die editio ausgeblieben, musste der Gegner der Ladung nicht folgen. Vgl. M. Kaser, Das römische Zivilprozessrecht, S. 162f., DIE DEN GESETZEN ENTSPRECHEND FESTGEHALTEN WURDE2 Die Formel ist auch außerhalb eines Sammlungsverbundes als Einzelstück überliefert. In der leges-Handschrift Vatikan, BAV, Regl. Lat. 857 (V9) findet sich die Formel auf fol. 77v-78r als Ergänzung zu der in der Arenga zitierten interpretatio zu Pauli sententiae V,39 mitten im Verbund des Breviarium Alarici; dazu Th. Faulkner, Law and Authority, S. 243 und A. Rio, Legal Practice, S. 44f.
Das römische Gesetz verlangt zum Nutzen des Menschengeschlechts, dass, falls einmal einer unbegründeten Berufung von irgendjemandem stattgegeben wird, die Kosten, die der Kläger seinem Gegner nach der Berufung zu übernehmen zwang, diesem nicht einfach, sondern in vierfacher Höhe vom Kläger erstattet werden müssen3 Epitome Aegidii, Pauli Sententiae V,39 (Si quando cuiuscunque iniusta applellatio comprobatur, sumtus, quos post appellationem adversarium suum compulit sustinere, non in simplum ei, sed in quadruplum reformare cogatur.). Einschlägig für den im Folgenden geschilderten Sachverhalt um die Prozesskosten im Falle eines Eigentumsstreits wäre eigentlich Breviarium Alarici IV,16,1 (= Codex Theodosianus IV,18,1). Die Pauli Sententiae beziehen sich eigentlich auf die Frage der Prozesskosten im Falle einer unbegründet eingelegten Berufung. Die Entscheidung, sie zu zitieren, könnte auf ihre größere Offenheit hinsichtlich des Streitgegenstandes zurückzuführen sein, womit sie auch in Streitfällen abseits von Eigentumsfragen zitierfähig war. Zur Frage der Prozesskosten im römischen Recht vgl. M. Kaser, Das römische Zivilprozessrecht, S. 448f. und 518-520. Eine allgemeine Regelung, dass die Prozesskosten von der vor Gericht unterlegenen Partei zu tragen waren, scheint erst unter Kaiser Zeno (474-491) geschaffen worden zu sein. Vgl. Codex Justinianus VII,51,5..
Daher ich, in Gottes Namen der Soundso.
Da allgemein bekannt ist, dass ich in der Stadt Tours4 Tours (Frankreich, département Indre-et-Loire, chef-lieu). mit Dir, mit dem Namen Soundso, vor dem vir illuster Soundso und weiteren Männern5 Ob hier nur weitere Männer oder weitere Personen mit anderen vir Titel (venerabilis, spectabilis o.ä.) gemeint sind, geht aus dem Kontext nicht hervor., die unten angefügt und festgehalten sind, in einem öffentlichen Widerstreit stand wegen einiger im Gau Soundso gelegener Orte, die Soundso und Soundso heißen6 Die Form illis ist Plural; es ist nicht klar, um wie viele Orte es geht., die mir in rechtmäßiger Nachfolge zustanden und die Du zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheinbar böserweise besitzt, weswegen Du mir nicht Rede und Antwort stehen wolltest, musste ich Dir, so wie es das Gesetz vorschreibt7 Dies ergibt sich aus Breviarium Alarici IV,18,2, wonach im Anschluss an ein Urteil keine Klage hinsichtlich der Prozesskosten erhoben werden konnte. Eine entsprechende Regelung musste also entweder durch den Richter oder vor Prozessbeginn gefunden werden., eine Klageschrift über die Kosten und Ausgaben ausstellen. Daher gefiel es mir, für Dich diese Bekanntmachung8 Die editio war in der römischen Rechtspraxis die Bekanntmachung eines Begehrens an den Prozessgegner (edere actionem) inklusive Anzeige der Beweismittel. Sie konnte vor oder mit der Ladung vor Gericht erfolgen. War die editio ausgeblieben, musste der Gegner der Ladung nicht folgen. Vgl. M. Kaser, Das römische Zivilprozessrecht, S. 162f. zu bestätigen. Dies tat ich so auch, damit Du, falls Du mit mir wegen derselben Besitzungen einen Widerstreit und ein Urteil eingehen wirst und dieselbe Angelegenheit unter uns den Gesetzen entsprechend entschieden wird und man meine Klage für unrecht befinden wird, bezüglich dieser Anschuldigung für alle Zeiten unbehelligt bleiben magst und ich, nachdem die Zeit für Streit verstrichen ist, gemäß gesetzlicher Vorgabe gezwungen bin, Deiner Seite die oben aufgezählten Kosten und Ausgaben zu erstatten, die Du für deine notwendigen Erfordernisse aufgewendet hast, während ich Dich belangte. Und für die Beständigkeit der ganzen Sache habe ich diese Bekanntmachung9 Die editio war in der römischen Rechtspraxis die Bekanntmachung eines Begehrens an den Prozessgegner (edere actionem) inklusive Anzeige der Beweismittel. Sie konnte vor oder mit der Ladung vor Gericht erfolgen. War die editio ausgeblieben, musste der Gegner der Ladung nicht folgen. Vgl. M. Kaser, Das römische Zivilprozessrecht, S. 162f. von eigener Hand bekräftigt und entschieden, sie von der Hand Männern guten Leumunds10 Als boni homines wurden Männer bezeichnet, denen ob ihrer Lebensführung hohe Vertrauens- und Glaubwürdigkeit zukam und die zumeist wohl der lokalen Elite angehörten. Sie agierten unter anderem auch als Zeugen, Urteiler, Schlichter und Vermittler. Vgl. zu ihnen K. Nehlsen-von Stryk, Die boni homines; T. Szabó, Zur Geschichte der boni homines. bestätigen zu lassen.
Und falls eine Klage wegen Tötung11 Weder das römische Recht noch die frühmittelalterlichen Leges kannten eine Differenzierung von Tötungsdelikten nach den modernen Kategorien von Mord und Totschlag. Homicidium konnte mithin jede Form von Tötung bezeichnen. Nach römischem Recht stand bei der Beurteilung eines Tötungsdeliktes der Vorsatz der Handlung im Zentrum. Dieser spielte in den Leges keine Rolle, die stattdessen zwischen offener und heimlicher Tötung unterschieden. Vgl. dazu D. Simon, Homicidium; R. Schmidt-Wiegand, Mord (sprachlich), Sp. 673f.; D. Meurer, Tötungsdelikte, Sp. 286f.; W. Schild, Totschlag, Sp. 902; W. Schild, Mord, Sp. 833. verhandelt wird, soll man die Klageschrift gemäß folgender Sentenz ausführen12 Breviarium Alarici, IX,1,8 Interpretatio. Der Urheber der Sammlung stellt dem Benutzer hier Material für eine abweichende Arenga bei einem anders gelagerten Rechtsfall (Mord statt Gebietsdisput) zur Verfügung bzw. gibt dem Benutzer das Material an die Hand, um selbst eine entsprechende Arenga auf Grundlage der Interpretatio zu formulieren. Die grundsätzliche Struktur der editio im Mordfall dürfte also im Wesentlichen der ausgeführten Form entsprochen haben.:
Jeder, der einen anderen wegen des Verbrechens einer Tötung mit diesem gefährlichen und kapitalen Vorwurf verklagte, soll nicht früher von den Richtern gehört werden, bevor er nicht schriftlich erklärt hat, dass er in gleicher Weise die Strafe, die der dem Beklagten zumisst, auf sich nehmen wird. Und falls er glaubte, dass fremde Sklaven anzuklagen waren, sei er in gleicher Weise durch die Klageschrift gebunden, sodass er zukünftig die Bestrafung13 Das supplicium bezeichnet insbesondere die Todesstrafe oder schwere Leibstrafen. unschuldiger Sklaven entweder mit seiner Hinrichtung oder mit dem Verlust seines Vermögens sühne.