Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Tours 10 (deu)

Verkauf seiner selbst

Selbstverkauf einer Person an einen Herrn.

SELBSTVERKAUFSSCHREIBEN^{1 Der Selbstverkauf war im römischen Recht zwar nominell geächtet, in der Praxis aber weit verbreitet. Erst unter Justinian wurde er offiziell anerkannt. Vgl. dazu D. Liebs, Sklaverei aus Not; A. Rio, Self-sale. Zum servitium und der Bedeutung von Unfreiheit im frühen Mittelalter vgl. u.a. H.-W. Goetz, Serfdom; Ch. Verlinden, Esclavage; P. Bonnassie, Slavery; H. Nehlsen, Sklavenrecht; H. Grieser, Sklaverei; A. Rio, Slavery. Bei venditio handelt es sich um eine verkürzte Form von emptio venditio (nach römischem Recht der formfreie Konsensualvertrag, mit dem eine Übereinkunft über den Austausch von Waren gegen Geld getroffen wurde) etablierte sich in der Spätantike venditio als Bezeichnung für Kaufverträge aller Art. Vgl. dazu Codex Theodosianus 3,1 und 3,4; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 208f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 385f.; T. Mayer-Maly, Kauf, Tausch und pacta, S. 606-609; K.-O. Scherner, Kauf, Sp. 1665f.}

SOLCHERART WIRD EIN FREIER MENSCH VERKAUFT^{2 Es handelt sich um eine Anweisung für den Benutzer der Sammlung, der den didaktischen Charakter der Sammlung deutlich macht. Der Hinweis erläutert den gewählten Titel des Dokuments für den Benutzer der Formelsammlung näher und erklärt die Umstände des verwendeten Protokolls.}

An den Soundso, der allzeit mein Herr ist, ich, der Soundso.

Ich beschloss, dass ich meinen Rechtsstand als Freigeborener^{3 Der Stand des Freien stellte im römischen und frühmittelalterlichen Recht den Normalzustand einer Person dar, von welchem jener des servus abgegrenzt wurde. Zentrale Merkmale des Freien waren dabei die freie Verfügbarkeit über sein Eigentum, sein Teilnahmerecht an Versammlungen und das ihm in den leges zugewiesene hohe Wergeld. Im frühen Mittelalter war der Status des Freien darüber hinaus oft mit der Abwesenheit von Dienstverpflichtungen und der Freiheit zum Umzug und zur Ansiedlung verbunden. Vgl. dazu G. Köbler, Die Freien, S. 42-49; A. Weber, Liber - ingenuus, S. 245f.; H.-W. Goetz, Serfdom, S. 42.} in die Knechtschaft^{4 Zur Bedeutung von Unfreiheit im frühen Mittelalter vgl. u.a. H.-W. Goetz, Serfdom; Ch. Verlinden, Esclavage; P. Bonnassie, Slavery; H. Nehlsen, Sklavenrecht; H. Grieser, Sklaverei; A. Rio, Slavery. Ob es sich bei fratri hier um den leiblichen Bruder oder eine Anrede im christlichen Sinn („Bruder in Christo“) handelt, geht aus dem Kontext nicht hervor.} zu Euch unterwerfen sollte. Dies tat ich so auch. Dafür erhielt ich von Dir einen Preis, der mir genehm war, im Wert von soundsovielen solidi, auf dass Du zum heutigen Tage vom heutigen Tage an die uneingeschränkte und allerbeständigste Macht zu dem hast, was auch immer Du bezüglich mir, Deinem Sklaven, tun willst, so, wie auch bezüglich Deiner übrigen Unfreien^{5 Diese Passage umfasst mit der Feststellung der Zahlung des vereinbarten Preises und der Verschaffung der Kaufsache den Kern des Geschäftes. Stellten im klassischen römischen Recht Kauf, Zahlung und Übertragung (in Form eines gesonderten Verfügungsgeschäftes namens traditio, mancipatio oder in iure cessio) separate Rechtsvorgänge dar, so fielen diese bereits in der Spätantike teilweise zu einem Simultanakt zusammen. Die Wendung quod mihi conplacuit deutet dabei auf eine genaue Prüfung der als Preis übereigneten Wertgegenstände hin, bei denen es sich neben Münzen oder Edelmetall etwa auch um Naturalien oder andere Tauschgüter handeln konnte. Vgl. dazu E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 208f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht I, S. 455-457; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 385f.; H. Siems, Handel und Wucher, S. 232f. und 376-398.}.

Und falls – ich glaube nicht, dass es geschehen wird – es irgendjemanden^{6 Die (maskuline) Rekompositionsform quislibet (aus quilibet, quis) wird sehr häufig auch für feminine Substantive verwendet, dazu P. Stotz, Handbuch 4, VIII, § 62.2, S. 129.} geben sollte, der gegen dieses Verkaufsschreiben^{7 Wohl verkürzt von emptio venditio (nach römischem Recht der formfreie Konsensualvertrag, mit dem eine Übereinkunft über den Austausch von Waren gegen Geld getroffen wurde) etablierte sich in der Spätantike venditio als Bezeichnung für Kaufverträge aller Art. Vgl. dazu Codex Theodosianus 3,1 und 3,4; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 208f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 385f.; T. Mayer-Maly, Kauf, Tausch und pacta, S. 606-609; K.-O. Scherner, Kauf, Sp. 1665f.} ist, das ich aus meinem freien Willen^{8 Diese Betonung des freien Willens ist möglicherweise eine Reminiszenz an die bona fides, den “guten Glauben”. Nach römischem Recht stellte dieser eine Voraussetzung für das Zustandekommen eines Vertrages dar. Vgl. dazu E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 28-30; H. Siems, Handel und Wucher, S. 362-365 und 366-368; A. Söllner, Bona fides.} heraus auszufertigen bat, der sich anschickt, irgendetwas gegen es zu unternehmen oder Schliche zu betreiben, soll er das, was er fordert, nicht erreichen und darüber hinaus ist er gezwungen, demjenigen gegenüber, dem er den Rechtsstreit aufbürdet, ein Pfund Gold, fünf Pfund Silber^{9 Zur Frage des Verhältnisses von libra und pondus sowie von Gold und Silber in frühmittelalterlichen Poenformeln vgl. F. Boye, Poenformeln, S. 117‑119.} zu bezahlen; und dieses Verkaufsschreiben soll fest bestehen bleiben.