VERSORGUNGSFREIBRIEF1 Als tracturia bzw. tractoria wurden im römischen Reich seit dem 4. Jahrhundert Schreiben bezeichnet, die es dem Träger gestatteten, den cursus publicus zu nutzen. Per kaiserlicher Autorität war es ihnen erlaubt, auf im Schreiben genau festgelegten Routen an den Stationen des cursus eine bestimmte Anzahl von Tieren, Transport- und Futtermitteln zu requirieren. Vgl. zur antiken tractoria insb. A. Kolb, Transport und Nachrichtentransfer, S. 109-122. Im Frankenreich wandelte sich die tractoria zu einem allgemein verfassten Schreiben, dass explizit die Verpflegung der Inhaber miteinschloss. Vgl. dazu F.-L. Ganshof, La tractoria; P. Classen, Kaiserreskript, S. 49-52 und 145-148. FÜR EINE REISE, DIE MAN UNTERNEHMEN MUSS
An die heiligen und auf apostolischen Stühlen sitzenden Herren Bischöfe, an die Äbte und Äbtissinnen und an alle Väter in Christo, an die Herzöge, die Grafen, die Vikare2 Bei den fränkischen vicarii handelte es sich zunächst um untergeordnete militärische Anführer, die innerhalb der civitates auch königliche Rechte wahrnahmen. Im 8. Jahrhundert hatten sie sich zu vom Grafen eingesetzten Amtsträgern entwickelt, die unter anderem Aufgaben in der niederen Gerichtsbarkeit und der Spurfolge übernahmen. Vgl. H. Krug, Untersuchungen zum Amt I, S. 6f. und 16f.; H.-L. Heckmann, Vikar, Sp. 1662; J. F. Boyer, Pouvoirs et territoires, S. 396., die Zentenare3 Beim fränkischen centenarius handelte es sich um einen dem comes untergeordneten Amtsträger, welcher der für die Spurfolge verantwortlichen centena vorstand und dem in bestimmten Fällen der Gerichtsvorsitz zukam. Seit dem 8. Jahrhundert scheint die Bezeichnung als centenarius synonym zu der als sculdhaizo (Schultheiß) gebraucht worden zu sein. Vgl. dazu H. Krug, Untersuchungen zum Amt I, insb. S. 11-20 und 26-31 und H. Krug, Untersuchungen zum Amt II; D. Claude, Centenarius, Sp. 1620f.; A. Murray, From Roman to Merovingian Gaul. und die Dekane4 Bei den decani handelte es sich um niedere Amtsträger mit eng begrenzten Aufgaben. Vgl. A. Haverkamp, Dekan, IV. Weltlicher Bereich. und an alle, die an Christus glauben und Gott fürchten, ich, in Gottes Namen der Soundso, obschon ein unwürdiger Sünder [und] niedrigster Knecht aller Knechte Gottes, freilich Bischof – oder Abt – der Stadt Soundso – oder vom Kloster Soundso –, wo der kostbare Märtyrer – oder Bekenner5 Als Bekenner gilt, wer für den Glauben zwar Folter und Tod in Kauf nimmt, aber kein Märtyrer wird. – Christi Soundso bestattet im Leibe ruht, wir haben uns bemüht, Euch einen fortwährenden Gruß im Herrn zu schicken.
Ihr, oh Herren und heilige Väter, und auch [Ihr], oh Schwestern in Christo, sollt nämlich erfahren, denn wir tun es Euch kund, dass dieser Pilger hier, namens Soundso, aus der Sippe des Soundso, zu uns kam und uns darüber informiert hat und unseren Rat wegen dem erbeten hat, was geschehen war, nämlich dass er vom Feind6 Gemeint ist der „alte Feind“, der Teufel. angestachelt Sünden begangen hat und seinen eigenen Sohn – oder seinen Bruder oder Enkel [oder Neffen]7 Nepos bezeichnet sowohl Kindeskinder (Enkel) als auch Geschwisterkinder (Neffe). – namens Soundso getötet hat. Und wir haben in dieser Angelegenheit nach Brauch und kanonischer Vorschrift geurteilt, dass er nach dem Pilgergesetz für sieben Jahre auf Pilgerfahrt gehen muss8 Homicidium, die Tötung eines Menschen, wurde nach kanonischem Recht mit der Exkommunikation bestraft (vgl. etwa Konzil von Ankyra 314, c. 22 und 23; Konzil von Tours 461, c. 7, Konzil von Clichy 626-627, c. 11, Konzil von Mainz 847, c. 23). In karolingischer Zeit finden sich allerdings auch Verweise auf öffentliche Bußen (vgl. etwa Konzil Francia 846, c. 6). Die Verbannung als Strafe für die Tötung eines Menschen findet sich dagegen etwa im Paenitentiale Sancti Columbani, B c. 13, hier zu büßen mit dreijährigem, waffenlosem Exil bei Wasser und Brot. Schwerer noch wog die Tötung eines Verwandten, für welche als Buße oft mehrjährige Pilgerreisen zu absolvieren waren. Kritisch zu dieser Praxis äußerte sich Hrabanus Maurus (MGH Epp. 5, Nr. 32, S. 463). Vgl. dazu A. Traves, Penance.. Ihr, oh allerheiligste Väter, mögt darum dieses Schreiben zur Kenntnis nehmen, damit Ihr, wenn er zu Eurer Heiligkeit kommt, ihm leichter glauben könnt, und damit bekannt wird, dass er, so wie wir es oben gesagt haben, keineswegs aus einem anderen Grund umherzieht, außer zur Vergebung seiner Sünden, weshalb Ihr ihm in keiner Weise verpflichtet sein sollt, außer insofern, [dass] Ihr geruhen mögt, ihm, wenn er zu Euch kommt, Quartier und eine Feuerstelle, Brot und Wasser zu gewähren, und anschließend sei es ihm gestattet ohne Behinderung zu den Stätten der Heiligen zu eilen. Oh allerheiligste Väter, handelt solcherart aus Liebe zu Gott und aus Verehrung für den heiligen Petrus, damit der gerechte Herr, für gut befinde, Euch mit jenem seligen und unsterblichen Leben zu belohnen, weil Ihr in jenem Pilger Christus selbst ernährt und aufgenommen habt, eingedenk dessen, was der Herr selbst gesagt hat: „ Ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen; was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, habt ihr für mich getan“. Was noch? An die Weisen genügt es, wenig zu sagen. Wir vertrauen uns inständig Euren heiligen Gebeten an, wie Ihr, oh allerheiligste Väter, geruhen mögt, Euch uns in Christus anzuvertrauen, damit man Euch der beständigen ewigen Heimstatt der Engel für würdig erachte.