[URKUNDE] ÜBER DAS ERBE
An meine allersüßeste Tochter Soundso, [ich] der Soundso.
Da es nicht nur allgemein bekannt, sondern auch im Volk verbreitet und öffentlich ist, dass ich Dich mit meiner Sklavin namens Soundso gezeugt habe und Dich später vor dem Herrn König Soundso als Freie entlassen habe1 War die Mutter Sklavin, so übertrug sie ihren Stand nach römischem Recht auch auf ihre Kinder. Vgl. dazu E. Hermann-Otto, Ex ancilla natus, S. 25-28. Allgemein zum sogenannten Grundsatz der ärgeren Hand, W. E. Voß, Der Grundsatz, insb. S. 169-172 zur fränkischen Zeit., indem ich gemäß salischem Recht einen Denar warf2 Beim sogenannten denarialis bzw. scazuurffun „Schatzwurf“ (aus scaz „Geldstück“/„Münze“ und werfan „werfen“) wurde ein Unfreier von seinem Herrn mittels des Wurfes eines denarius freigelassen. Dieser Vorgang findet sich sowohl in der Lex Salica (26) als auch in der Lex Ribuaria (60). Beschrieben wird der Schatzwurf auch in Formula imperialis 1: Hier schlägt der Freilassende dem Freizulassenden eine Münze aus der Hand (excutientes a manu eius denarium). Die Lex Ribuaria 60,1 spricht dagegen von einem Münzwurf durch den Herrn (quis libertum suum … ingenuum dimiserit et dinarium iactaverit). Zum Schatzwurf vgl. H. Brunner, Freilassung. Zur Interpretation der symbolischen Bedeutung des Schatzwurfes, vgl. A. Nitschke, Freilassung, S. 244-246. Die althochdeutsche Bildung scazuurf(f)un bzw. scazuurpun ist in mehreren Glossen belegt, vgl. E. Steinmeyer/E. Sievers, Die althochdeutschen Glossen, Bd. 2, S. 120. , und Du in keiner Weise an meinem Erbe teilhaben konntest3 Die Tochter dürfte hier aus zweifachem Grund von Erbe ausgeschlossen gewesen. Als illegitime Tochter mit einer Sklavin war sie per se vom Erbe ausgeschlossen. Vgl. dazu A. Leineweber, Die rechtliche Beziehung, S. 19-25 und 34-38; D. Willoweit, Von der natürlichen Kindschaft, S. 56-60. Für legitime Töchter existierte zudem die Bestimmung in den späteren Rezensionen der Lex Salica 59,6, dass ihnen kein Erbrecht auf Allodialgut (wohl aber auf alle anderen Güter) zukam Diese Beschränkung des Erbrechtes von Töchtern wurde allerdings im Laufe der Zeit aufgelockert (Pactus pro tenore pacis, MGH LL nat. Germ. 4,1, S. 262; Lex Ribuaria 57 (56),1) und scheint in der Praxis nur bedingt Anwendung gefunden zu haben. Mit Sens A 45 findet sich in dieser Sammlung die entsprechende Einsetzung einer legitimen Tochter als Erbin. Vgl. dazu K. Kroeschell, Söhne und Töchter, S. 95-101; A. Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand, S. 215-219. Zur weiten Verbreitung von Grundbesitz in weiblicher Hand vgl. K. Kroeschell, Söhne und Töchter, S. 96f. mit Verweis auf das Testament der heiligen Burgundofara; I. Heidrich, Besitz; J. Nelson, The wary widow. , habe ich deshalb darum gebeten, für Dich diese Urkunde über das Erbe zu auszufertigen und zu bekräftigen, damit Du, falls der Herr es Dir bestimmen mag, dass Du mich in dieser Welt überlebst, bei all meinen Besitzungen, sowohl dem, was mir aus dem Eigengut4 Mit allodium wurde in der Merowingerzeit zunächst der eng mit dem erbbaren oder ererbten verbundenen und nicht auf andere Weise erworbenen Grundbesitz bezeichnet. Im Laufe der Karolingerzeit schwächte sich diese Trennung ab. Seit dem 10. Jahrhundert konnte allodium damit jede Form keinerlei Einschränkungen unterliegenden und frei verkäuflichen Grundbesitzes bezeichnen, der als Erbe weitergegeben werden konnte und für welchen lediglich an den fiscus Abgaben zu leisten waren. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242-246; E. Magnou-Nortier, Recherches sur l’alleu, S. 143-172. meiner Eltern, als auch aus einer eigenen Erwerbung zukam, im Erbe nachfolgst; sowohl bei den Ländereien [als auch bei] den Hofstellen, den Häusern, den Gebäuden, den Unfreien, den Liten5 Bei den Liten scheint es sich um eine heterogen zusammengesetzte Gruppe gehandelt zu haben, zu der etwa auch Handwerker, Freigelassene und Romanen gehörten. Zunächst scheinen sie eher in Richtung der servi verortet gewesen zu sein, später in Richtung der Freien. Um die Mitte des 8. Jahrhunderts finden sich liti vor allem als Pächter mit festen Dienst- und Abgabepflichten. Vgl. dazu J. Balon, Lètes; G. v. Olberg, Freie, S. 153 und 162f.; A. Rio, Half-free, S. 131f., den Freigelassenen6 Freigelassene verblieben nach ihrer Freilassung zumeist in der Patronatsgewalt ihres Freilassers. Dessen Schutz war häufig mit der Verpflichtung zu exakt festgelegten Diensten und Abgaben verbunden. Im Laufe des Frühmittelalters wurde libertus zunehmend zu einem vererbbaren Stand, während sich zugleich die Beziehung zwischen Freigelassenem und Freilasser allmählich entpersonalisierte. Seit dem 8. Jahrhundert scheinen die Grenzen zwischen liberti und servi, aber auch zwischen liberti und ingenui durch die Fixierung der Lasten zunehmend verschwommen zu sein. Vgl. dazu J.-P. Devroey, Puissants, S. 270; A. Rio, Slavery, S. 75-79; H. Grieser, Sklaverei, S. 150-153; S. Esders, Formierung, S. 23 und 30-33; H.-W. Goetz, Serfdom, S. 34; W. Rösener, Vom Sklaven zum Bauern, S. 85-87., den Landpächtern [und] den Einkünften von Landpächtern, den Weinbergen, dem guten Ackerland, den Wäldern, den Feldern, den Wiesen, den Weiden, den stehenden und fließenden Gewässern; in welchen Gauen oder Gebieten und Gemarkungen auch immer und an allen Orten, wo ich etwas habe; und auch das Vieh, das Gesinde beiderlei Geschlechts, Gold, Silber, Tuche, bewegliche und unbewegliche Habe, alles, was man nennen oder aufzählen kann, alles was ich von meinem Besitz hinterlassen werde, wenn ich sterbe; in all meinen Besitzungen sollst Du mit deinen Brüdern, meinen Söhnen, beim Erbe nachfolgen und Ihr sollt das unter euch dann zu gleichen Teilen teilen und aufteilen; und [über] das, was Du davon als Deinen Erbteil bekommst, sollst Du in jeder Hinsicht die uneingeschränkte und allerbeständigste Macht haben, um damit zu tun, was auch immer Du tun willst. Falls es aber jemanden geben sollte – ich glaube nicht, dass das geschieht – sei es ich selbst oder jemand anderes von meinen Erben oder irgendein Gegner, der versucht, gegen diese Urkunde hier über das Erbe, die ich aus tiefstem Willen ausfertigen und bekräftigen lies, vorzugehen, muss derjenige Dir zusammen mit dem beteiligten fiscus7 Bei Bußzahlungen an geschädigte Parteien ging in der Regel die Hälfte oder ein Drittel der Summe an den fiscus, der wiederum ein Drittel dem für die Rechtsprechung zuständigen Amtsträger überließ (so auch, wenn der fiscus selbst Empfänger der gesamten Bußzahlung war). Die Beteiligung des fiscus sollte wohl auch als Anreiz für dessen Vertreter dienen, im Falle eines Rechtsstreites zu intervenieren. Vgl. dazu J. Durliat, Finances publiques, S. 219; S. Esders, Eliten und Strafrecht, S. 268. zur Strafe soundsoviele Unzen Gold zahlen, und die vorliegende [Urkunde] über das Erbe soll für alle Zeiten festen Bestand haben.
Mit hinzugefügter eidlicher Zusicherung8 Die Stipulationsformel wies in römischen Urkunden ursprünglich auf ein mündliches, an Frage- und Antwortform gebundenes Leistungsversprechen hin, mit welchem eine Partei gegenüber einer anderen eine Verpflichtung einging. Die Anbringung der Formel an den Vertrag wirkte rechtskonstituierend, auch wenn der mündliche Vollzug der Stipulation nach und nach entfiel. In fränkischer Zeit scheint das Bewusstsein für die Herkunft der Formel geschwunden, ihre Anbringung aber als Stärkung der Autorität und Sicherheit der Urkunde verstanden worden zu sein. Vgl. dazu; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 34-46; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-382; D. Simon, Studien, S. 33-40; P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 25-31..
Gegeben zu Soundso.