Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Marculf Ergänzung 1,3 (deu)

Schreiben zum Klostereintritt

Schreiben anlässlich des Eintritts einer Person in ein Kloster

3^{1 Die Stücke der Gruppe 1 scheinen sich bereits sehr früh an das Marculfmaterial angelagert zu haben, denn sie flankieren den Stoff in beiden vollständigen Fassungen der Sammlung sowie der nahezu vollständigen Fassung der Leidener Handschrift, fanden jedoch keinen weiteren Eingang in die mittelalterliche Rezeption der Sammlung. Weder Zeumer noch Uddholm nahmen die Stücke in ihre jeweiligen Editionen auf, Zeumer gab jedoch eine erste Edition der beiden ersten Stücke auf Basis von P12 in seinem Aufsatz „Über die älteren fränkischen Formelsammlungen“ (K. Zeumer, Formelsammlungen, S. 21-22). A. Rio, The formularies, S. 240-244 edierte die Stücke erstmals komplett auf der Grundlage von P16 unter dem Titel „Three more Texts from the Manuscripts of Marculf“ (Sigle Rio). K. Zeumer, Formelsammlungen, S. 23 wies auf die Möglichkeit hin, dass sich bei den Stücken der Gruppe 1 ursprünglich um Randnotizen in tironischen Noten gehandelt haben könnte, die mitkopiert und aufgelöst wurden. Auf den frühen Zeitpunkt der Anlagerung hat bereits A. Rio, Legal Practice, S. S. 93 hingewiesen.}IN GLEICHER WEISE EIN ANDERER PROLOG^{2 Das vorliegende Stück, gekennzeichnet als Arenga (prologus), möglicherweise für einen Eintritt in ein Kloster oder eine damit verbundene Schenkung, zeichnet sich durch ein hohes Maß an „bewusster Verdunklung“ (obscuritas) in seinem Ausdruck aus, das den Text an vielen Stellen nahezu unverständlich macht. Die Regeln der lateinischen Syntax und Stilistik werden hier in einem Maße gedehnt, das ein direktes Erfassen des Inhalts oft unmöglich macht und die Grenzen der Übersetzungsmöglichkeiten erreicht. Diese Stilhaltung, bei der Leser durch die bewusst schwer verständlichen Formulierungen bzw. deren Enträtselung erfreut werden sollten, gehört fest zur spätantiken Latinität und war insbesondere typisch für die (Privat-)Kommunikation der gebildeten spätantiken und frühmittelalterlichen Eliten, konnte aber auch in andere Bereiche ausstrahlen. Zum Konzept der obscuritas R. Schwitter, Umbrosa lux, S. 22-26.}

Ich freue mich, dass eine geeignete Zeit für Zuflucht bei^{3 Das Zusammenfallen ad mit a/ab ist frühmittelalterlichen Texten häufig zu beobachten, dazu. P. Stotz, Handbuch 3, VII § 194.6, S. 236.} Dir, oh Christe, gekommen ist! Nachdem man die Bürde abgeworfen hat, macht man sich frei von den Kümmernissen der vergänglichen Welt. Ich werde in Euer Heiligtum eintreten und mich in die klösterliche Klausur der heiligen Brüder zurückziehen. Dort werde ich mich an süßeren Speisen als Honig erquicken – Gott, der von den Köstlichkeiten der Schriften überfließt, ist freudig, sie immerfort zu reichen – ; dort ist der Geist unbekümmert, man führt gleichsam ein Leben eines immerwährenden^{4 Der Wechsel von Adjektiven der dritten Deklination auf -is/-e in die o- bzw. a-Deklination ist im frühen Mittelalter keineswegs selten; dazu P. Stotz, Handbuch 4, VIII §12.3, S. 34-36.} und himmlischen Gastmahls, das man anhand der Zeugnisse gemäß der Blüten ausgezeichneter Lehrmeister auf ihren Spuren zubringt; dort widmet sich der Geist den Blüten wie die weißen Lilien des Feldes^{5 Der Verfasser spielt hier vermutlich auf Mt 6,25-34 und hier insbesondere auf 6,28 an, wo Jesus den Jüngern verspricht, dass Gott für sie sorgen wird. Auch die Lilien müssen sich nicht abmühen, denn sie werden von Gott versorgt und gekleidet: „Und was sorgt ihr euch um das Kleid? Schaut die Lilien des Feldes, wie sie wachsen – sie mühen sich nicht ab und sie spinnen nicht“ (et de vestimento quid solliciti estis, considerate lilia agri quomodo crescunt, non laborant nec nent). Die Lilie galt bereits in der Antike als Symbol für das Heilige, die Reinheit. Ihre größte Verehrung erfuhr sie jedoch im Christentum als Attribut Christi und Symbol seiner Erlösung als auch als Attribut Marias und Symbol ihrer Reinheit. Vgl. M. Quinones, Pflanzensymbole, S. 93-100; M. Beuchert, Symbolik, S. 183-185.}; dort versuchen die Streiter Christi eifernd die himmlische Siegespalme zu erringen^{6 Die Streiter Christi (milites Christi) sind die Mönche. Das urchristliche Ideal des „Kriegsdienstes für Christus“ (militia Christi) bezog sich zunächst auf die Apostel (II Tim 2,3-4) und wurde zuerst auf Märtyrer und Bekenner und schließlich auf Eremiten und Mönche ausgedehnt. Zu Ursprung und Herkunft der militia christi A.v. Harnack, Militia Christi, S. 1-46. Der Palmzweig als Symbol des Sieges, den Märtyrer und Heilige erringen, gehört fest zur christlichen Bildwelt (Apc 7,9).}; dort fordern^{7 Hier expediunt = expetunt, die Verwechslung bzw. Vermischung von expedire und expetere ist im frühen Mittelalter keineswegs selten und darf angesichts der orthographischen Variationsmöglichkeiten (hier d/t und i/e) auch nicht überraschen.} die Sieger im Triumph den Siegeskranz^{8 Die corona gehört wie die palma zu den zahlreichen christlichen Siegesbildern, zugleich bezeichnet die corona aber auch die Tonsur. Der Verfasser spielt hier bewusst mit der doppeldeutigen Semantik.} ein; dort pflegen die Glieder des höchsten Hauptes paarweise in der Schlachtreihe beisammen zu stehen (und) dort den doppelzüngigen Feind^{9 Der Teufel.}, dessen schauderhafter Gestalt sie gegenüberstehen, zu bekämpfen; dort weicht das Irdische von mir, wenn ich mich erfüllt von aller Liebe im Kloster Soundso niederlasse, um dort dauerhaft zu bleiben. Zur Beratung^{10 Das in zwei Handschriften (P12, Le1) belegte Hapaxlegomenon consiliditate (anzusetzende Grundform consiliditas) folgt den lateinischen Wortbildungsregeln und stellt ein Abstraktum zu consilium („Rat“) dar. Gemeint sind offenbar das Beraten bzw. eine Beratertätigkeit. Die leider an dieser Stelle stark beschädigte Handschrift P16 überliefert die ebenfalls dunkle Formulierung consilio letate.} des Königs bei allen Kümmernissen der Welt immerfort unter den Mächtigen zu sitzen vermögen Geringe nicht; daher wird es also durch den, der es nicht verdient, dass er der niedrigste ist, wenn er gibt, ein Geschenk der Edelsten. Der Du herrschst von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen^{11 P16 ergänzt hier mit dem Beginn des Vaterunsers (PATER NOSTER QUI [...] [...]LIS) und des Apostolicums (CRED[...] [...] [...]rem omnipotentem) zwei wichtige religiöse Formeln, die auch am Beginn von Dokumenten als Teil der Invocatio zitiert werden konnten.}.