Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Marculf II,14 (deu)

Teilung des elterlichen Erbes

Vertrag in doppelter Ausfertigung über die mittels festuca erfolgte Teilung des elterlichen Erbes zwischen zwei Brüdern.

VERTRAG^{1 Im römischen Recht diente pactum zur Bezeichnung formloser Vereinbarungen unterschiedlichsten Inhalts. Vgl. E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 37-42; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 363 und 437f.} ZWISCHEN VERWANDTEN ÜBER IHR ERBE

Was auch immer man freilich unter Verwandten^{2 Während propinquus in der Antike den Verwandten allgemein bezeichnete, verengte sich im frühen Mittelalter die Bedeutung zunehmend auf den Bluts- und Schwiegerverwandten bis zum dritten Grad. Vgl. dazu Isidor, Liber Differentiarum I, 110; G. Lubich, Verwandtsein, S. 23 und 40; H.-W. Goetz, Verwandtschaft I, S. 22; R. Le Jan, Famille et pouvoir, S. 166. Die beiden Brüder werden in der Überschrift auch als parentes bezeichnet. Dass es sich im Gegensatz dazu bei dem vorliegenden allodium parentum um das Allodialgut der Eltern handelt geht eindeutig aus der Variation von parentes mit genitores „Erzeuger“ weiter unten hervor.} einem jeden aus dem Eigengut^{3 Mit allodium wurde in der Merowingerzeit zunächst der eng mit dem erbbaren oder ererbten verbundenen und nicht auf andere Weise erworbenen Grundbesitz bezeichnet. Im Laufe der Karolingerzeit schwächte sich diese Trennung ab. Seit dem 10. Jahrhundert konnte allodium damit jede Form keinerlei Einschränkungen unterliegenden und frei verkäuflichen Grundbesitzes bezeichnen, der als Erbe weitergegeben werden konnte und für welchen lediglich an den fiscus Abgaben zu leisten waren. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242-246; E. Magnou-Nortier, Recherches sur l’alleu, S. 143-172.} der Eltern nicht durch richterliche Gewalt gezwungen, sondern freiwillig, in dauernder Liebe, gerechterweise schuldet und als Anteil zuweist, das darf man nicht als Schaden am Besitz betrachten, sondern muss es vielmehr als Gewinn sehen. Und deshalb ist es notwendig, die Dinge, die sie untereinander für sich veranlassten, als Urkundentext festzuhalten, so dass dieser später nicht von irgendwelchen Leuten bestritten werden kann. Da deswegen zwischen dem Soundso und seinem Bruder Soundso für das Eigengut^{4 Mit allodium wurde in der Merowingerzeit zunächst der eng mit dem erbbaren oder ererbten verbundenen und nicht auf andere Weise erworbenen Grundbesitz bezeichnet. Im Laufe der Karolingerzeit schwächte sich diese Trennung ab. Seit dem 10. Jahrhundert konnte allodium damit jede Form keinerlei Einschränkungen unterliegenden und frei verkäuflichen Grundbesitzes bezeichnen, der als Erbe weitergegeben werden konnte und für welchen lediglich an den fiscus Abgaben zu leisten waren. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242-246; E. Magnou-Nortier, Recherches sur l’alleu, S. 143-172.} ihrer Eltern, des Soundso und der Soundso, in gutem Frieden beschlossen und vereinbart war, dass sie es untereinander in dauernder Liebe teilen und gerecht aufteilen müssten^{5 Es handelt sich also um die Aufteilung einer Erbschaft. Nach frühmittelalterlichem Erbrecht fielen die Güter eines oder einer Verstorbenen den Kindern oder, falls keine Nachkommen existierten, den nächsten Verwandten zu (vgl. etwa Lex Salica 93, S. 162f.). Wie die Aufteilung konkret erfolgte, wurde bei Erbfall dann durch derartige Teilungsvereinbarungen geregelt. Vgl. dazu L. Sizaret, Essai sur l’histoire, insb. S. 1-10, 87-112 und 123-135; A. Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand, S. 17-52; H.-R. Hagemann, Erbrecht, Sp. 1371-1377; J.-Ph. Lévy/A. Castaldo, Histoire du droit civil, S. 1388-1389 und 1398. Siehe auch Angers 55 für ein vergleichbares Dokument.} – was sie so auch taten – empfing also der Soundso Landgüter, die Soundso und Soundso^{6 Die Form illas ist Plural, es ist nicht klar um wie viele Landgüter es geht.} genannt werden und da und da liegen, samt soundsovielen Unfreien, Soundso und Soundso^{7 Die Form illa ist Plural, es ist nicht klar um wie viele Unfreie es geht.}. In gleicher Weise erhielt auch der Soundso im Gegenzug^{8 In P12 ist dieser Teil ausgefallen und nur der Anteil des ersten Bruders wird genannt. Möglicherweise wurde der Satz Opfer eines Zeilensprungs.} zum Ausgleich andere Landgüter, die Soundso und Soundso^{9 Die Form illas ist Plural, es ist nicht klar um wie viele Landgüter es geht.} genannt werden und da und da liegen samt soundsovielen Unfreien, Soundso und Soundso^{10 Die Form illa ist Plural, es ist nicht klar um wie viele Unfreie es geht.}. Von der Habe aber teilten sie die Tuche sowie Geschmeide und alles Hauszubehör, was auch immer Du aufzählen und benennen kannst, gleichmäßig^{11 Die Junktur aequa(le) lance „mit ausgeglichener Waagschale“ war in der römischen Rechtssprache geläufig und ist u.a. im Codex Justinianus 42,1,27 fixiert: Quod et in persona mulieris aequa lance servari aequitatis suggerit ratio.} untereinander und teilten es gerecht auf; und sie übergaben es sich gegenseitig, Anteil für Anteil; und sagten, dass das Ganze^{12 Das omnia wird hier offenbar als (kollektiver) Singular im Neutrum (omnia … partitum) gebraucht. Zu dieser Erscheinung, die sich seit der Spätantike beobachten lässt vgl. P. Stotz, Handbuch 4, VIII, § 49.8, S. 111f.} durch die fistuca^{13 Ob es sich bei der festuca um einen Halm oder einen Stab handelte ist unklar. Zumindest bei der in anderen Zusammenhängen belegten festuca notata scheint es sich jedoch um einen Stab gehandelt zu haben, an dem Zeichen (etwa Kerben) angebracht wurden. Vgl. dazu K. v. Amira, Der Stab, S. 145f. und 150. Das Werfen oder die Übergabe der festuca vor Zeugen symbolisierte einen Akt des Verzichtes oder Lossagens, das Greifen der festuca dagegen des Akzeptierens und in-Verantwortung-Nehmens. Vgl. P. S. Barnwell, Action, Speech and Writing, S. 21f.; W. Müller, Fertigung, S. 29-31.} geteilt sei. Darum stellten sie untereinander die beiden vorliegenden, mit gleichem Inhalt niedergeschriebenen Briefe^{14 Die Ausfertigung jeweils eines Exemplars derselben Urkunde für jede der am Vorgang beteiligten Parteien findet sich bereits in römischer Zeit. Sie wurde vor allem dann vorgenommen, wenn in der entsprechenden Urkunde Rechtstitel an mehrere Parteien verliehen wurden. Derartige Mehrfachausfertigungen sind in fränkischer Zeit vor allem für Tauschgeschäfte und Prekarien überliefert. Die hier vorliegende Formel weist allerdings darauf hin, dass diese Praxis auch in anderen Rechtsangelegenheiten gängig war. Vgl. dazu H. Bresslau, Handbuch I, S. 668 mit Anm. 1; K. Groß, Visualisierte Gegenseitigkeit, S. 160-167.} als Beweis für ihren Vertrag^{15 Im römischen Recht diente pactum zur Bezeichnung formloser Vereinbarungen unterschiedlichsten Inhalts. Vgl. E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 37-42; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 363 und 437f.} aus, damit künftig keiner [von ihnen] gegenüber seinem Partner irgendein Recht darauf haben soll, von demselben Eigengut^{16 Mit allodium wurde in der Merowingerzeit zunächst der eng mit dem erbbaren oder ererbten verbundenen und nicht auf andere Weise erworbenen Grundbesitz bezeichnet. Im Laufe der Karolingerzeit schwächte sich diese Trennung ab. Seit dem 10. Jahrhundert konnte allodium damit jede Form keinerlei Einschränkungen unterliegenden und frei verkäuflichen Grundbesitzes bezeichnen, der als Erbe weitergegeben werden konnte und für welchen lediglich an den fiscus Abgaben zu leisten waren. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242-246; E. Magnou-Nortier, Recherches sur l’alleu, S. 143-172.} eines Elternteils mehr zu verlangen, als das, was er zum jetzigen Zeitpunkt erhält.

Wenn aber irgendwann einmal irgendeiner von denselben oder deren Erben dies zu verändern wünscht oder mehr, als er erhielt, fordern oder an sich nehmen will, muss er seinem Partner, der dies hier vollständig einhielt, soundsoviele Pfund Gold, an Silber soundsoviele Pfund,^{17 Zur Frage des Verhältnisses von libra und pondus sowie von Gold und Silber in frühmittelalterlichen Poenformeln F. Boye, Poenformeln, S. 117-119.} bezahlen und, was er fordert, soll er nicht erreichen, denn der vorliegende Vertrag soll für alle Zeiten fest bestehen bleiben.

[Gegeben] samt einer hinzugefügten eidlichen Zusicherung.^{18 Die Stipulationsformel wies in römischen Urkunden ursprünglich auf ein mündliches, an Frage- und Antwortform gebundenes Leistungsversprechen hin, mit welchem eine Partei gegenüber einer anderen eine Verpflichtung einging. Die Anbringung der Formel an den Vertrag wirkte rechtskonstituierend, auch wenn der mündliche Vollzug der Stipulation nach und nach entfiel. In fränkischer Zeit scheint das Bewusstsein für die Herkunft der Formel geschwunden, ihre Anbringung aber als Stärkung der Autorität und Sicherheit der Urkunde verstanden worden zu sein. Vgl. dazu; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 34-46; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-382; D. Simon, Studien, S. 33-40; P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 25-31.} Geschehen …