DIESE HIER IST FÜR EINE BEDEUTENDEN ANGELEGENHEIT: JEMAND MÖCHTE EIN XENODOCHIUM1 Der aus dem griechischen ξενοδοχεῖον entlehnte Begriff diente seit der Spätantike als Sammelbezeichnung für Einrichtungen, in denen Armen und Pilgern Obdach gegeben sowie Notleidende und Kranke versorgt wurden. Insbesondere im gallischen Raum wurden im 6. und 7. Jahrhundert zahlreiche xenodochia gegründet, deren Vermögen als Kirchengut galt und von Klerikern verwaltet wurden. Sie unterstanden zunächst dem Bischof, entwickelten sich jedoch rasch zu selbständigen Institutionen. Die Bezeichnung als xenodochium scheint im 8. Jahrhundert außer Gebrauch gekommen zu sein. Vgl. dazu insb. T. Sternberg, Orientalium more secutus, S. 147-157. ODER KLOSTER AUFBAUEN2 Klostergründungen wurden im 6. Jahrhundert überwiegend von Bischöfen vorgenommen. Erst im 7. und 8. Jahrhundert wurden Gründungen durch andere Personen häufiger. Ansprüche auf Eigentum an diesen durch die Gründer (Eigenklöster) scheinen erst seit dem späten 7. Jahrhundert erhoben worden zu sein. Vgl. dazu S. Wood, The proprietary church, S. 111-118. In der Formel selbst findet sich keine Erwähnung der Gründung des Xenodochiums/Klosters durch den Aussteller. Lediglich die Passagen zur Einschränkung der bischöflichen Gewalt über die Einrichtung geben einen Hinweis auf einen derartigen Vorgang. Diese stehen jedoch im Gegensatz zum Rest des Dokuments, in dem einzig die Rede von einer Schenkung an eine bereits bestehende Einrichtung die Rede ist.
An den wahrhaft heiligen Herrn3 Die Leidener Handschrift (Le1) überliefert eine Fassung, die an eine „wahrhaft heilige Herrin“ (domin[a]e verae sanctae) adressiert ist. und das Bethaus, das emsig zeigt, dass es mit deutlich sichtbaren Wundern der Wirkmacht durch Christi Lohn funkelt, sowie an die Zelle, die zu Ehren der heiligen und ewigen Jungfrau Maria, der Gebärerin4 Im Gegensatz zum synonymen mater betont genetrix im Zusammenhang mit der Gottesmutter die theologische Lehre von Maria als „Gottgebärerin“ (θεοτόκος). unseres Herrn Jesus Christus, – oder zu [Ehren] eines anderen Heiligen – errichtet wurde, der Schuldbeladene Soundso, der nämlich durch Vergehen und auch Schandtaten, Freveleien, wollüstigen Handlungen und zu viel Schmutz besudelt ist und an Rang und Werk bei weitem der allerletzte von allen guten Christen.
Dies alles verkündet der Text der heiligen Schriften gläubigen Christen vollständig in frommer Ermunterung, dies macht nämlich jene donnernde Stimme der Evangelisten mit ihrer Macht überall bekannt, da der Heilige Geist es ihnen eingab: Dass den Armen Almosen gebe, wer den Qualen der Hölle5 Der Begriff für die tiefsten Tiefen der Unterwelt der griechisch/römischen Mythologie (Τάρταρος) wurde bereits in frühchristlicherer Zeit als Bezeichnung für die Hölle adaptiert. Schon in der griechischen Fassung des zweiten Petrusbriefs (2 Petr 2,4) taucht der Begriff auf (σειραῖς ζόφου ταρταρώσας παρέδωκεν εἰς). entrinnen will. Darum spricht auch der Herr im Evangelium: „Verkaufe alles, was Du hast, gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben“. Wir Christen6 Die Überlieferung aus Leiden (Le1) und die jüngere Fassung der Sammlung aus Paris (P16) sprechen nicht von „allen Christen“ sondern von „Christenmenschen“ (homines christiani). müssen uns also alle überlegen, wie groß die Güte und Freigiebigkeit des Erlösers sein mögen, dass man uns für Almosen an die Armen die Schätze des Himmelreichs verspricht. Wir müssen deshalb vorsorgen, wie unser Herr und Erlöser es befiehlt, und, obgleich wir nicht viel haben, wenigstens Almosen in dem Umfang geben, zu dem wir im Stande sind. Niemand muss deshalb zweifeln, niemand zögern, denn, wenn wir tun, was unser Herr und Erlöser befiehlt, wird jener ohne Zweifel geschehen lassen, was er verspricht. Die Schrift versichert nämlich: „Schließe das Almosen im Herzen des Armen ein und es wird beim Herrn für Dich bitten“7 Die Verfasser variiert hier geschickt Sir 29,15 „Schließe das Almosen im Herzen des Armen ein, und es wird für dich [Hilfe] erflehen vor allem Übel“ (conclude elemosynam in corde pauperis et haec pro te exorabit ab omni malo).. Wir sollen also das Almosen im Herzen des Armen einschließen, auf dass uns die Fürbitte der Armen zur Vergebung der Sünden führe. Wir finden freilich in den heiligen Schriften auch viele weitere Zeugnisse dafür, dass man Almosen geben muss, die umständlich zu schildern sind, unter denen und von denen ich folglich jenen Ausspruch für überaus gehaltvoll halte, der besagt: „So wie Wasser das Feuer auslöscht, so löscht das Almosen die Sünde aus“. Was kann man aufrichtiger glauben, was getreulicher und was als deutlicher ausgedrückt? Denn so wie Wasser das Feuer auslöscht, so löscht das Almosen die Sünde aus8 Der Verfasser variiert hier wieder eine Sentenz aus Jesus Sirach (Sir 3,33) „Wasser löscht brennendes Feuer aus, und die Wohltat widersteht den Sünden“ (ignem ardentem extinguit aqua et elemosyna resistit peccatis). Die beiden Sirachstellen hat bereits Gregor der Große (Hom. in Ev. XX,11) in einen Zusammenhang miteinander gebracht und mit Lc 11,41 „Gebt jedoch als Almosen, was übrigbleibt, und siehe: Alle Dinge sind für euch rein.“ (verumtamen quod superest date elemosynam et ecce omnia munda sunt vobis) verbunden.! Zurecht wird also ausgelöscht, wer sich nicht sputet, die Brandherde der Sünden gemäß der göttlichen Verheißung mit Almosen zu löschen9 Diese predigtartige Arenga ist ihrem Umfang und ihrem theologischen Gehalt durchaus ungewöhnlich. In der Regel genügt ein rhetorisch kunstvoll ausgestalteter Satz als knappe moralisch/theologische Begründung für die im Folgenden vorgenommene Schenkung. Privaturkunden des 7. und 8. Jahrhunderts nehmen jedoch immer wieder kurze Predigten in ihre Arengen auf, die sich häufig am „biblischen Almosenprogramm“ bedienen. Einmalig ist hier allerdings der Umfang, der sich in diesem Maße so auch nicht in Urkunde wiederfindet. Ob es sich dabei um „ein längeres Stück“ einer „nicht identifizierten Homilie“ (F. Beyerle, Das Formel-Schulbuch Markulfs, S. 367) handelt, muss offenbleiben. Möglicherweise sollte hier dem Schreiber theologisches Material für die Entwicklung einer eigenen (Predigt-)Arenga mit dem Thema Almosen an die Hand gegeben werden. Gerade die aus Sir 3,33 gewonnene Formulierung Quia sicut aqua extinguit ignem, sic aelemosina extinguit peccatum „Denn so wie Wasser das Feuer auslöscht, so löscht das Almosen die Sünde aus“, wirkt bereits sehr arengenhaft. Für Entstehung und Gebrauch dieser „speziellen Lohnarenga“ H. Fichtenau, Arenga, S. 141-144..
Andere sollen freilich machen was sie wollen, treiben was sie selbst bevorzugen, weil ja ein jeder Mensch von seinem Empfinden geführt wird. Ich bin jedoch wegen dieser Sache dem Beispiel gefolgt und habe mich entschieden, zur Vergebung meiner Sünden und um die Last meiner Verfehlungen abzuwaschen, mit Christi Beistand10 Der Ausdruck praesul bedeutet hier nicht „Bischof“, sondern wird im Sinne von praepositus oder patronus als Apposition zu Christus gebraucht. Für das Frankenreich ist die Wendung u.a. auch in den Epistolae Austrasicae (z.B. Epistolae Austrasicae 46: ad nos, Christo praesule, quae oportuna mandata sunt, renuntiantes uelociter...) belegt. dem vorgenannten Bethaus und der Zelle hiermit, entsprechend der Anzahl der Apostel, zwölf Arme anzuvertrauen11 Es handelt sich also um eine Stiftung zur Einrichtung einer matricula, einem Verzeichnis von Armen (den matricularii), die von einer Kirche unterhalten wurden und in einer Wohnstätte nahe des Kircheneingangs untergebracht wurden. Die Beschränkung auf zwölf Personen ist typisch für die spätere Zeit. Vgl. dazu E. Boshof, Armenfürsorge, S. 163-167; T. Sternberg, Orientalium more secutus, S. 141-143. Zur Zahl 12 (Anzahl der Apostel) im frühen Mittelalter vgl. H. Meyer, Zahlenallegorese, insb. S. 146-148 und 160f..
Dorthin schenke ich nämlich zum heutigen Tage mit meinem Schenkungsbrief12 Mit donatio wurde im römischen Recht die Schenkung bezeichnet. Seit Konstantin dem Großen war die donatio ein Geschäftstyp eigener Art, der wie der Kauf den Übergang des Eigentums unmittelbar bewirkte. Wie dieser musste sie vor Zeugen stattfinden, schriftlich niedergelegt und öffentlich registriert werden. Vgl. dazu E. Levy, West Roman vulgar law, S. 138f.; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 394-399. etwas, das für die Lichter desselben Bethauses13 Zur Beleuchtung von Kirchen wurden zumeist Öllampen genutzt. Sie diente auch liturgischen Zwecken und wurde die ganze Nacht, häufig auch Tag und Nacht, hindurch unterhalten. Vgl. dazu P. Fouracre, Eternal light, S. 68f.; D. R. Dendy, The use of lights, insb. S. 1-71. sowie für die Ernährung und wesentliche Versorgung und auch für Bekleidung und Unterhalt derselben Armen und der Kleriker, die eben dort mit Gottes Leitung und Beistand dienen, dienlich sein soll. Und ich will, dass das Geschenkte dauerhaft bestehen bleibe, und aus meinem rechtmäßigen Vermögen wähle ich es aus [und] übergebe, überlasse und übertrage es in deren Herrschaft und Gewalt, das heißt: Felder, deren Namen Soundso und Soundso lauten und die im Gebiet von Soundso liegen; in gleicher Weise auch alles, was auch immer es sei, das im Gebiet von Soundso liegt, in all seiner Vollständigkeit; meinen Anteil samt Unfreien, Gebäuden, Weinbergen, Ackerflächen, Wiesen, Wäldern und ihrem ganzen Recht samt Pachthöfen14 Bei den colonicae scheint es sich um von abhängigen Personen bewirtschaftete Königs- oder Fiskalgüter gehandelt zu haben. Vgl. S. Sato, La colonica rémoise., den zugehörigen und abhängigen Ländereien in aller Vollständigkeit, so wie es von mir bekanntermaßen besessen wurde oder mir in rechtmäßiger Nachfolge gehörte15 Gemeint ist hier wohl Allodialgut, also eng mit der hereditas verbundenem, vererbbaren oder ererbten und nicht auf andere Weise erworbenem Grundbesitz. Vgl. dazu T. Rivers, Meaning, S. 26f.; H. Dubled, Allodium, S. 242. oder was auch immer mir eben dort von irgendwoher zufiel mit aller Vollständigkeit und ihren Vorteilen zur Gänze. Freilich auf die Art und Weise und unter der Bedingung, dass man von demselben Hab und Gut, da es der Gewalt der Bischöfe und ebenso aller kirchlichen oder öffentlichen Amtsträger entzogen ist, überhaupt keinerlei Abgaben oder Forderungen verlangen darf, weder vorzügliche und köstliche Mahlzeiten noch gefällige oder Neid weckende16 Es geht offenbar um „kompromittierende“ Geschenke. Das Adjektiv insidiosus bedeutet eigentlich „hinterhältig“. Offenbar hat der Verfasser insidiosus mit invidiosus „Neid erweckend“ verwechselt. Eine Unsicherheit im Umgang mit invidi* und insidi* findet sich immer wieder in fränkischen Texten dieser Zeit. kleine Geschenke, ja sogar weder Pferdefutter noch Pferde17 Der Begriff paraveredus (Nbf. paraveredum) bezeichnet ebenso wie veredus ursprünglich ein Pferd im Rahmen des römischen cursus publicus, der Infrastruktur zur Nachrichtenübermittlung, Botenbeförderung und Transport bestimmter Waren. W. Schneider, ‚Rechtstiere‘, hier S.50 bietet für (para)veredi die griffige und fast schon beamtendeutsche Definition „Bedarfsdienstpferde“. Bis zur Karolingerzeit scheint die „fülligere“ Form paraverdus das knappere veredus allmählich verdrängt zu haben. In karolingischen Texten erscheint dann der paraveredus allgemein als Pferd, das im Rahmen eines servitium bereitzustellen ist. Der Terminus veredus wurde bereits in der Kaiserzeit aus dem gallischen (*voredos) für Pferd entlehnt und diente häufig zur Bezeichnung von Kurierpferden bzw. leichten, schnellen (Jagd-)Pferden, und Tieren, die auf der via publica eingesetzt wurden. Isidor, Etymologiae XII,1,55 leitet veredus aus redas vehere ab und betrachtet es offenbar als Zugtier. Nach den Bestimmungen des Codex Theodosianus (VIII, 5,28 und 30) zur zulässigen (Höchst-)Belastung bezeichnet veredus allerdings ein Packpferd. Beim aus veredus abgeleiteten paraveredus/parafredus (mit dem gr. παρά „neben“ gebildet) handelt es sich dagegen ursprünglich um ein Pferd für Nebenstrecken oder unwegsames Gelände. Nach Definition des Codex Theodosianus (VIII, 5,3) war es ebenfalls ursprünglich ein Packpferd, das dem militärischen (equus) agminalis gleichgestellt war: praesidibus […] agminalis seu paraveredi licentia derogetur. Im Verlaufe des Mittelalters wandelt sich die Bedeutung von paraveredus zudem hin zum Reise- oder Paradepferd (u.a. bereits bei Richer von Reims), dem „Zelter“, die u.a. im französischen palefroi und dem engl. palfrey weiterlebt. Im Deutschen bildet paraveredus den Ausgangspunkt für die Begriffsentwicklung hin zu „Pferd“. Zu veredus und paraveredus vgl. H. Dannenbauer, Paraveredus, S. 55-73 und S. Esders, „Öffentliche“ Abgaben, hier S. 191-205. und Spanndienste18 Für die erheblichen Belastungen durch derartige Versorgungs- und Spannpflichten vgl. den Traktierbrief Marculf I,11 und F.-L. Ganshof, La tractoria., oder unter welcher Bezeichnung auch immer man Abgaben nennt. Stattdessen soll dasselbe Gut mit Gottes Schutz und Beistand, so wie es von mir bislang besessen wurde, unter vollständiger Immunität19 Das Prinzip der Immunität wurde bereits im spätantiken Recht etabliert. Immunitas bezeichnete in dieser Zeit ein vom Kaiser gewährtes Privileg, mit welchem bestimmte, sehr begrenzte fiskalische Exemptionen, in der Regel auf Arbeitsdienste und außergewöhnliche Belastungen, gewährt wurden. Vgl. dazu E. Magnou-Nortier, Étude, S. 468f. Im Fall der hier genannten Güter scheint die Immunität bereits vor der Schenkung bestanden zu haben und durch diese mit den Gütern übertragen zu werden. im rechtmäßigen Vermögen des Bethauses der heiligen Maria und der vorgenannten Armen verbleiben. Außer um Segen zu spenden, Äbte20 Abbates finden sich im frühen Mittelalter nicht nur als Klostervorsteher, sondern auch als Leiter vonBasiliken mit Märtyrergräbern nebst den dazu gehörenden Klerikergemeinschaften und auch anderen Kirchen. Vgl. L. Pietri, Abbés de basilique, S. 5f. und 25-27; L. Levillain, Études sur l’abbaye de Saint-Denis 2, S. 52-62. oder auch Priester und Diakone einzusetzen ohne irgendwelche Gelder zu bekommen, soll der Bischof der heiligen und apostolischen Stadt Soundso, in dessen Stadt21 Der Verfasser der Formel verwendet hier urbs und oppidum als Synonyme, die im Gegensatz zur civitas nur für die Stadt bzw. einen befestigten Ort an sich stehen und keine größere Einheit bezeichnen. Möglicherweise war das oppidum, in dem das Xenodochium gestiftet werden sollte, selbst keine Bischofsstadt, sondern gehörte zur civitas bzw. Diözese der genannten urbs. dasselbe Xenodochium22 Der aus dem griechischen ξενοδοχεῖον entlehnte Begriff diente seit der Spätantike als Sammelbezeichnung für Einrichtungen, in denen Armen und Pilgern Obdach gegeben sowie Notleidende und Kranke versorgt wurden. Insbesondere im gallischen Raum wurden im 6. und 7. Jahrhundert zahlreiche xenodochia gegründet, deren Vermögen als Kirchengut galt und von Klerikern verwaltet wurden. Sie unterstanden zunächst dem Bischof, entwickelten sich jedoch rasch zu selbständigen Institutionen. Die Bezeichnung als xenodochium scheint im 8. Jahrhundert außer Gebrauch gekommen zu sein. Vgl. dazu insb. T. Sternberg, Orientalium more secutus, S. 147-157. liegt, ferner weder einen Grund [noch] die Macht haben, etwas zu verschenken, einzuziehen oder zu vermindern. Aber freilich darf man ihm auch zu keiner Zeit die Möglichkeit oder die Gelegenheit geben, über den Tausch von Örtlichkeiten irgendetwas davon wegzunehmen23 Diese Passage bekräftigt die frühmittelalterliche Regel, nach welcher eine an einem Tauschvorgang beteiligte Kirche durch diesen besser zu stellen war. Vgl. dazu T. Mayer-Maly, Pactum, S. 222-224; Ph. Depreux, The development of charters, S. 48-53; S. Esders, Die frühmittelalterliche „Blüte“, S. 26f.; F. Bougard, Adalhard de Corbie, S. 56f.. Stattdessen soll es für immer, das gebe Christus, in der Gewalt jenes vorgenannten Bethauses und derselben Armen verbleiben. Folgendes ersuche ich aber freilich von den Bischöfen für dasselbe [Bethaus] und beauftrage, dass zukünftig, wenn an diesem Ort ein Todesfall bei den Äbten und auch den anderen Rängen der Kleriker eintritt, man jene für würdig erachten möge und dass sie jene einsetzen sollen, die von Weisheit und gelehrten Kenntnissen der Schriften geziert und durch ein heiliges Leben und gute Taten oder einen ehrbaren Lebenswandel dafür empfohlen werden24 Gemäß der Benediktsregel sollte der Abt durch die Gemeinschaft der Mönche gewählt werden. Trotz wiederholter Bestätigungen dieser Regel wurden in der frühmittelalterlichen Praxis häufig die Rechte von Klostergründern, -eignern und Bischöfen gestärkt, die Äbte zu ernennen. Vgl. dazu P. Salmon, L’abbé dans la tradition monastique, S. 19-22; B. Hegglin, Der benediktinische Abt, S. 45-49..
Daher ersuche ich die allermildesten Könige, gegenwärtige wie zukünftige, und alle Bischöfe in Gott und alle Mächtigen und Großen, nämlich alle Herren [und] alle denen es zukommt Amtmänner zu sein, bei der unbeschreiblichen Allmacht Gottes [und] bei der unteilbaren Dreifaltigkeit von Vater Sohn und Heiligem Geist, darum, dass Ihr nicht erlaubt, diesen meinen Willen bei irgendeiner Gelegenheit, aus irgendeinem Grund und zu irgendeiner Zeit zu untergraben – so wie man Dinge zu fordern pflegt, wenn gottlose Begierde sich erhebt – sondern Ihr mit der Sorgfalt und Umsicht der Bischöfe dafür sorgt, dass er fest bestehen bleibt. Ja vielmehr mögt Ihr aus Ehrfurcht vor der unermesslichen Dreifaltigkeit Eure Zeit auch dem Eifer und der Anstrengung anbefehlen, auf dass Euch in Zukunft auch jener den Lohn ausbezahlen soll, der weiß, dass ich wegen des brennenden Bedürfnisses danach aus Liebe zu unserem Herrn Jesus Christus Almosen an dieselben heiligen Armen Gottes gespendet habe.
Falls irgendjemand sich für diesen meinen Willem durch irgendwelche Schliche oder Klagen – solcherart fällt die Welt täglich mit List und Tücke der Plünderung anheim25 Die Form expolio ist Singular Dativ. In der Bedeutung „Plünderung“ findet sich exspolium = spolium unter anderen bei Gregor von Tours (Gregor von Tours, Historiarum libri X IX,30). – als Gegner, Rückforderer, Untergräber oder sogar als Verweigerer erweist, der sei mit dem Anathem belegt26 Der Kirchenausschluss ist hier eine konkrete Strafmaßnahme und nicht nur ein abstraktes Bedrohungsszenario. Seit dem 6. Jahrhundert bedeutete die Belegung mit dem Anathem den vollkommenen Ausschluss aus der Kirche (gegenüber der Exkommunikation, dem Ausschluss aus der Gemeinschaft). Ausgesprochen wurde es zumeist wegen Verstößen gegen den Glauben. Vgl. dazu S. Gioanni, Anathematis vinculo, S. 101f. und 115f. In Urkunden findet sich Androhung mit Anathem und Exkommunikation, außerhalb der Formelsammlungen, bis ins 9. Jahrhundert nur in Privaturkunden und päpstlichen Bullen, häufig in Zusammenhang mit Donationen deren Bedeutung betont werden sollte. Vgl. dazu F. Bougard, Jugement divin, S. 219-225., und jener, der handelt, sei ebenso mit dem Anathem belegt wie jener, der dem Tun zustimmt, und derjenige soll, so wie Dathan und Abiron von einem Schlund in der Erde verschlungen wurden, lebend zur Hölle hinabfahren27 Datan und Abiram beteiligten sich an der Revolte des Korach gegen Moses und wurden zur Strafe mit ihren Familien von der Erde verschlungen (Nm 16). Sie gehören, nach Judas Iskariot, zu den beliebtesten biblischen Figuren in frühmittelalterlichen Poenformeln. Diese Formel ist einer der frühesten Hinweise auf die Praxis, derartige Verweise in Poenformeln zu verwenden. Größere Verbreitung scheint die Verknüpfung mit biblischen Figuren seit Beginn des 10. Jahrhunderts gefunden zu haben. Vgl. dazu I. Rosé, Judas, insb. S. 65-77. und er soll mit Gehasi, dem Kaufmann des Betrugs28 Gehasi war ein Diener des Propheten Elisa. Unter einem Vorwand lies Gehasi sich vom aramäischen Feldherrn Naaman Silber und Kleidung geben und belog seinen Herrn darüber. Zur Strafe befiel ihn und seine Nachkommen der Aussatz (IV Rg 5,20-27)., für jetzt und in Zukunft seinen Anteil an der Verdammnis ertragen und mag erst dann Vergebung erlangen, wenn auch der Teufel sie erlangen wird, der wegen seines Verrats vom himmlischen Thron hinabgestürzt wurde29 Der Teufel ist ein gefallener Engel (Lc 10,18)). Die (ursprünglich apokryphen) Umstände des Höllensturzes (Revolte einiger Engel gegen Gott) wurden bereits von Origenes († ~254) in der christlichen Dogmatik etabliert (Origenes, De principiis I 5,5). und darauf lauert, sich guten Werken stets mit blutgierigen Plänen entgegenzustellen. Obendrein muss er freilich auch an den einnehmenden30 Bereits der Codex Theodosianus 7,18,12 gebraucht sociare im Sinne von „(dem Seinen) hinzufügen“ wie „aneignen“ oder sogar „beschlagnahmen“: fundum ipsum, in quo praedictus postea potuerit inveniri, fisci nostri viribus sociandum. Als Folge gelangte sociare als „aneignen“ auch in die unterschiedlichen frühmittelalterlichen Rechtssammlungen: De his, qui propriam alodem vendunt vel quascumque res et ab emptore alter abstrahere voluerit et sibi sociare in patrimonium (Lex Baioariorum XVI,17); alia medietas propter admissam violentiam fisci viribus societur (Leges Burgundionum VIII,2). Der socians fiscus ist damit der „fiscus, der sich etwas aneignet“, also der „einnehmende fiscus“. Zur Entwicklung der Begrifflichkeit L. Wiener, Commentary, S. 2f. und sowohl bei Verfolgung als Vollstreckung allerehrwürdigsten fiscus und an den heiligen Bischof der Kirche von Soundso 100 Pfund Gold zahlen31 Wertangaben werden bei Formeln im Zuge der Anonymisierung in der Regel ebenfalls getilgt. Im vorliegenden Fall wurde aber lediglich in der Leidener Handschrift (Le1) die Summe getilgt und durch aur[i] libras tantas ersetzt. Die Fassung aus P16 überliefert zudem einen „Umrechnungskurs“ in 300 Pfund Silber (auri librasC, argentum pondoCCC). Zur Frage des Verhältnisses von libra und pondus sowie von Gold und Silber in frühmittelalterlichen Poenformeln vgl. F. Boye, Poenformeln, S. 117-119.. Und weiterhin soll das vorliegende Schreiben, das aus Ehrfurcht vor Gott und aus Liebe zu den Armen niedergeschrieben wurde, fest, unverfälscht, lauter und unverletzt Bestand haben.
Ich, Gott sei mein Zeuge, übertrage nämlich dem heiligen und schon zuvor genannten Herrn Bischof Soundso und seinen Nachfolgern alles an gespendeter und oben aufgeführter Habe zur Pflege und Sorge – oder zur Verteidigung der Habe – und zur Anleitung derselben Armen. Und ich gab die Urkunden, wodurch man dieselbe Habe mit Gottes Hilfe durch deren Sorge verteidigen mag, dem oben genannten Herrn Bischof Soundso, in die Hände und wenn Christus der Herr über ihn urteilt, soll er erkennen, dass dieser ebenda vorausschauend, fromm, recht und nicht etwa anders gehandelt haben wird. Ich habe mir ferner auf überhaupt nichts davon einen Besitzanspruch vorbehalten, denn einer entsagt mühelos allem, der begierig darauf ist, dem Höllenschlund zu entrinnen, und auch jener, der sich nach der Vergebung der Sünden durch Gott sehnt, oder jener, der immer darüber nachsinnt, dass er sterben muss, ob er will oder nicht.
[Gegeben] samt einer hinzugefügten eidlichen Zusicherung32 Die Stipulationsformel wies in römischen Urkunden ursprünglich auf ein mündliches, an Frage- und Antwortform gebundenes Leistungsversprechen hin, mit welchem eine Partei gegenüber einer anderen eine Verpflichtung einging. Die Anbringung der Formel an den Vertrag wirkte rechtskonstituierend, auch wenn der mündliche Vollzug der Stipulation nach und nach entfiel. In fränkischer Zeit scheint das Bewusstsein für die Herkunft der Formel geschwunden, ihre Anbringung aber als Stärkung der Autorität und Sicherheit der Urkunde verstanden worden zu sein. Vgl. dazu; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 34-46; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-382; D. Simon, Studien, S. 33-40; P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 25-31..