IIII BESTÄTIGUNG DER IMMUNITÄT
Mit fürstlicher Milde allen gegenüber ziemt es sich freilich, ein gewogenes Ohr zu leihen. Insbesondere das, von dem wir feststellen, dass es von Vorgängerkönigen, unseren Ahnen, zum Gewinn für ihre Seelen an Stätten der Kirchen gewährt wurde, müssen wir demütigen Geistes genau prüfen und dürfen passende Wohltaten nicht verweigern, sondern müssen sie mit unverbrüchlichem Recht durch unsere Erlasse bestätigen, auf dass wir es verdienen, Teilhaber am Lohn (dafür) zu werden.
Der vir apostolicus Soundso, Bischof der Stadt Soundso, trug also der Milde unserer Herrschaft zu, dass, weil König Soundso durch seine Urkunde (auctoritas), die von seiner Hand unterschrieben war, hinsichtlich der Landgüter seiner Kirche Soundso, was sie zum damaligen Zeitpunkt besaß und welche daselbst später von gottesfürchtigen Menschen übertragen wurden, die vollständige Immunität1 Das Prinzip der Immunität wurde bereits im spätantiken Recht etabliert. Immunitas bezeichnete in dieser Zeit ein vom Kaiser gewährtes Privileg, mit welchem bestimmte, sehr begrenzte fiskalische Exemptionen, in der Regel auf Arbeitsdienste und außergewöhnliche Belastungen, gewährt wurden. Vgl. dazu E. Magnou-Nortier, Étude, S. 468f. Die in dieser Formel präsentierte Immunität, das Introitusverbot für öffentliche Amtsträger, scheint sich erst in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts etabliert zu haben. Vgl. dazu C. Brühl, Die merowingische Immunität, S. 33-38. zugestanden hatte, kein öffentlicher Amtmann2 Als iudex konnten in der fränkischen Zeit Amtsträger aller Art bezeichnet werden, die Herrschafts- oder Disziplinarakte ausübten. Vgl. dazu J. Weitzel, Dinggenossenschaft S. 204f.; S. Barbati, Studi sui iudices. eben dorthin kommen durfte, um Rechtsangelegenheiten zu hören, sowie einen fredus3 Bei Bußzahlungen an geschädigte Personen ging in der Regel ein Drittel der Summe an den fiscus, der wiederum ein Drittel dem für die Rechtsprechung zuständigen Amtsträger überließ (so auch, wenn der fiscus selbst Empfänger der gesamten Bußzahlung war). Der dem fiscus zustehende Anteil am Bußgeld wurde als fredus bezeichnet. Vgl. dazu J. Durliat, Finances publiques, S. 219; S. Esders, Eliten und Strafrecht, S. 268. einzutreiben und sich Unterkunft oder Verpflegung zu verschaffen, oder (Bürgen) fideiussores4 Fideiussores (Personen, die für andere Personen einstehen müssen) sind aus dem römischen Recht als Bürgen bekannt (vgl. dazu M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 457-459). Im Frühmittelalter finden sie sich vor allem als Gestellungsbürgen, die das Erscheinen und Verhalten einer anderen Person garantieren, und als Schuldbürgen, die beim Ausfall des Schuldners dessen Schuld gegenüber dem Gläubiger übernehmen. Fideiussores sollten über die Garantie hinaus wohl auch Einfluss auf das Verhalten der von ihnen garantierten Person nehmen und moderierend zwischen den Parteien wirken. Vgl. dazu H. Siems, Fideiussores, insb. S. 109-117 und 130. An welche Form von fideiussores in dieser Formel gedacht ist lässt sich nicht erschließen. zu nehmen, noch Leute derselben Kirche aus irgendwelchen Gründen zu behelligen oder irgendeine Abgabe zu verlangen. Und deshalb legte uns der vorgenannte Bischof sowohl eben jene Verordnung durch den bereits genannten Fürsten als auch Bestätigungen der Könige Soundso und Soundso5 Es ist nicht klar wie viele Könige an dieser Stelle genau gemeint sind. Die als Platzhalter gewählte Form illorum ist Plural Genitiv. Dem Schreiber stand es frei an dieser Stelle beliebig viele Namen einzufügen. (darüber), die von ihren Händen bekräftigt waren6 Es handelt sich bei diesen Bestätigungen um weitere Urkunden., zum erneuten Lesen vor7 Die Formulierung ostendedit relegendas ist typisch für Bestätigungen in merowingischen Königsurkunden. Unter Ludwig dem Frommen scheint sie langsam aufgegeben worden zu sein. Vgl. M. Mersiowsky, Urkunde II, S. 608 und 613f., und er machte geltend, dass eben diese Wohltat8 Die (scheinbare) Nominativ-Form ipse benefitius ist hier wie ipsum benefitium zu lesen. Zwar ist benefitius eine häufig gebrauchte Nebenform von benefitium, doch angesichts der Aussage kann benefitius hier kaum das Subjekt sein, die Wohltat versichert nicht, dass etwas bewahrt werden muss. Das ipse benfitius gehört offensichtlich zum ACI mit esse conseruatum, der von asserit abhängt. Eigentlich wäre deshalb auch beim maskulinen benefitius eine flektierte Form zu erwarten. Angesichts der immer wieder beobachteten Austauschbarkeit der Schreibweisen von Akkusativ und Ablativ also ipsum benefitium oder ipso benefitio oder auch Kombinationen aus Ablativ und Akkusativ. Die „richtige“ Lesart ipsum benefitium bietet aber allein die Handschrift M4 die allerdings nur Teile der Markulf-Sammlung in bearbeiteten Fassung überliefert. Die Übrigen Zeugen haben geschlossen eine Variante von benefitius. Angesichts dieser Überlieferungslage wurde gegen eine Anpassung im Lateinischen Text entschieden. zugunsten desselben und seiner erwähnten Kirche, genauso wie sie von den vorgenannten Fürsten gewährt wurde, in heutiger Zeit bewahrt wird. Aber wegen des Strebens nach Beständigkeit bat er unsere Hoheit, dass unsere Machtfülle (auctoritas) dies von neuem zugunsten desselben und der erwähnten Kirche des heiligen Soundso vollumfänglich bestätigen sollte.
Wisset, dass wir aus tiefster Überzeugung dessen Bitte aus Ehrfurcht vor derselben heiligen Stätte gewährten und es bestätigt haben, damit wir es verdienen am Lohn teilhaftig zu werden. Wir befinden und befehlen also, dass die vollständige Immunität, genauso wie sie aufgrund der vorgenannten Fürsten besteht, hinsichtlich der Landgüter der vorgenannten Kirche des Herrn Soundso ohne einen Zutritt für iudices verliehen wurde; folglich sollen die [von uns] gesichteten Urkunden9 Es handelt sich hier um eine Abwandlung der in den merowingischen Herrscherurkunden zumeist verwendeten Formulierung inspecta ipsa epistola. Vgl. dazu M. Mersiowsky, Urkunde II, S. 609. früherer Fürsten auch zukünftig mit Gottes Hilfe in jeder Hinsicht bewahrt werden. Und weder Ihr, noch eure Untergebenen, noch eure Nachfolger oder sonst irgendjemand von richterlicher Gewalt soll es wagen10 Die hier verwendete Formulierung (neque uos neque iuniores neque successores uestri uel quislibet de iudiciaria potestate) findet sich auch in Marculf I,3, in welcher bereits der Adressat als solertia vestra bezeichnet wird. Die so hergestellte Kommunikationssitutation ist in merowingischen Privilegien im Zusammenhang mit der Befreiung von Lasten weit verbreitet (erstmals: DMerov 96: Cognoscat magnitudo seu industira vetra… un neque vos neque iuniores aut successores vestri…; erstmals einer im Original überlieferten Urkunde: DMerov 123) und geht auf römische Urkundenpraxis zurück. Vgl. dazu P. Classen, Kaiserreskript 2, S. 62-66., auf die Landgüter der vorgenannten Kirche zu kommen, die sie heutzutage bekanntlich überall in unserem Reich besitzt (und) die ihr zukünftig überall von gottesfürchtigen Leuten übertragen werden mögen – sowohl von Freien als auch von Unfreien oder von Menschen sonstiger Herkunft, die auf den Landgütern eben dieser vorgenannten Kirche wohnen –, um ebendort etwas zu vollstrecken, fredus einzutreiben, fideiussores zu nehmen, sich Unterkunft oder Verpflegung zu verschaffen, die Leute aus irgendwelchen Gründen zu behelligen oder irgendeine Abgabe zu verlangen11 Introitusverbot für öffentliche Amtsträger im Rahmen der Rechtsprechung auf dem Besitz des Klosters. Mit diesem Verbot sollte das Kloster vor den mit der öffentlichen Rechtsprechung und Abgabenerhebung einhergehenden Belastungen (wie etwa Versorgung der Amtsträger und ihrer Entourage, Arbeitsausfall; vgl. zu diesen Belastungen auch Marculf I,11) geschützt werden. Eine Befreiung von öffentlichen Abgaben war damit nicht verbunden. Vgl. dazu E. Magnou-Nortier, Étude, S. 474-479 und C. Brühl, Die merowingische Immunität, S. 38-41. Ob die öffentliche Gerichtsbarkeit an den Empfänger dieser Form der Immunität fiel, ist umstritten. Vgl. C. Brühl, Die merowingische Immunität, S. 38 mit Anm. 84; negativ E. Magnou-Nortier, Étude, S. 478; einschränkend P. Fouracre, Eternal light, S. 63f. . Stattdessen soll es, genauso wie dieselbe Wohltat durch die schongenannten Fürsten an die schongenannte Kirche übertragen wurde und bis jetzt bewahrt blieb, derart auch fürderhin durch diese unsere Urkunde allgemein gültig sein und im Namen Gottes ewig unerschüttert bleiben. Und was auch immer unser fiscus von dort erwarten konnte12 Die Deutung dieser Stelle (et quicquid exinde fiscus noster poterat sperare) ist in der Forschung umstritten. E. Magnou-Nortier, Étude, S. 478f., spricht sich für eine minimale Auslegung der hinsichtlich der Einkünfte des fiscus aus und nimmt eine Übertragung nur von unregelmäßigen Einkünften wie dem in Marculf I,3 an dieser Stelle explizit erwähnten fredus an. P. Fouracre, Eternal light, geht dagegen von einer Übertragung aller Einkünfte des fiscus aus., soll den Lichtern derselben Kirche auf ewig nützen13 Zur Beleuchtung von Kirchen wurden zumeist Öllampen genutzt. Sie diente auch liturgischen Zwecken und wurde die ganze Nacht, häufig auch Tag und Nacht, hindurch unterhalten. Vgl. dazu P. Fouracre, Eternal light, S. 68f.; D. R. Dendy, The use of lights, insb. S. 1-71..
Und damit diese Urkunde genauso in der Gegenwart wie in der Zukunft mit Gottes Hilfe unverletzt bestehen kann, verzeichnen wir unterhalb mit eigener Hand, dass sie bekräftigt ist.