II VERFÜGUNG1 Concessio wurde in spätantiken Rechtsquellen allgemein zur Bezeichnung von Vorgängen gebraucht, mit denen der Kaiser oder seine Stellvertreter Rechtsbefugnisse erteilten; im engeren Sinne vor allem dann, wenn der Kaiser einer Partei Rechte oder Abgaben einräumte, die eigentlich ihm geschuldet wurden. Vgl. S. Esders, Die Integration der Barbaren, S. 33-35. DES KÖNIGS ZU DIESEM2 Es handelt sich um eine königliche Bestätigung der in Marculf I,1 ausgestellten bischöflichen Immunität für ein Kloster. PRIVILEG
König Soundso an die viri apostolici, unsere Väter3 Mit viri apostolici, patribus nostris sind die Bischöfe gemeint. Zur Verbindung zwischen der Bezeichnung vir apostolicus und dem Bischofsamt vgl. G. Predel, Presbyter, S. 222f., und auch an die viri illustri, den Grafen Soundso und an alle agentes, die heutigen und die zukünftigen. Es ziemt sich freilich der fürstlichen Milde, dass sie unter den Bitten der Übrigen den Priestern4 sacerdos heißt zunächst „Priester“ kann aber auch eine der sieben Bezeichnungen für den Bischof sein. wohlwollend Gehör schenke; und was aus Ehrfurcht vor dem göttlichen Namen gefordert wird, mag man gewiss ins Werk setzen, um den Pfad zum Lohn zu bahnen, indem man für den Frieden der Knechte Gottes einer angemessenen Bitte entspricht. Denn vollkommener Glaube zweifelt nicht daran, dass das, was man gemäß der Heiligen Schrift mit demütigem Geist insbesondere an die Glaubensgenossen schenkt, zur Gnade des Allerhöchsten gereicht, denn es steht geschrieben: „ Selig sind die für den Geist Armen; denn ihrer ist das Himmelreich“.
Da also der Bischof – oder Abt oder vir illuster – Soundso bekanntermaßen ein Kloster zu Ehren des heiligen Soundso im Gau Soundso, entweder auf seinem eigenen Besitz oder auf Fiskalgut, bauen ließ, wo sich bekanntermaßen derzeit der Abt Soundso und eine größere Schar Mönche versammelt haben, hat unsere Milde auf Bitten des Soundso hin beschlossen, für den Frieden ebenjener Knechte Gottes eine Anordnung5 perceptio hier = praeceptio. Die Verwechslung der Vorsilben pr(a)e und per ist bereits in der Antike für das gesprochene Latein belegt. korrigiert. Dazu P. Stotz, Handbuch 3, VII, § 294.2, S. 339. In der konkurrierenden Überlieferung wurde der vermeintlichen Fehler bereits korrigiert. unserer Tatkraft zu verkünden: Unter diesem Zustand der Ruhe sollen ebendiese Mönche von Gott behütet immerdar nach der Richtschnur des Glaubens leben. Das haben wir entschieden und dieses Dokument soll es umfassender darlegen, denn man reißt von einer kanonischen Einrichtung nichts fort, was auch immer man zugunsten des Friedens der Ruhe an die Glaubensgenossen überträgt. Und niemand soll glauben, uns verleumderisch hierin neue Lieder6 Wie auch in Marculf I,1 sind die nova carmina sind an dieser Stelle abwertend gemeint, wie der nachfolgende Verweis auf die Tradition deutlich macht. Der König verwehrt sich dagegen “neue Lieder zu singen”, also etwas unerhörtes und ungewöhnliches zu tun, indem er dem Kloster die Immunität verleiht. Es ist der Gedanke von Legitimation durch Tradition. Jamien Kreiner vermutet in nova carmina decernere zudem eine Anspielung auf Vergils Ekloge 3,86 (Pollio et ipse facit nova carmina) und Ps 118,54 (carmina erant mihi praecepta tua in domo peregrinationis meae); dazu J. Kreiner, The social life, S. 45. Ein Anklang an den Beginn von Ps 97,1 Cantate Domino canticum novum, “Singt dem Herrn ein neues Lied” ist zwar nicht von der Hand zu weisen, entspricht aber nicht der negativen Wertung von “neu”, die uns hier begegnet. zuzuschreiben, solange von alters her die Klöster der Heiligen von Soundso und Soundso7 Im Gegensatz zur vorangegangenen Formel wird hier die Erwähnung von Lérins, Agaune und Luxeuil zugunsten von Platzhaltern aufgegeben. und andere [Klöster] in unserem Reich, nach bischöflichem Rat auf königlichen Erlass hin unter dem Vorrecht der Freiheit stehen8 Seit der Spätantike unterstanden Klöster gemeinhin der bischöflichen Aufsicht (vgl. B. Rosenwein, Negotiating Space, S. 32-35). Die seit dem 5. Jahrhundert belegten Freiheitsprivilegien (libertatis priuilegium) dienten wiederum der Herauslösung eines Klosters aus der bischöflichen potestas (vgl. zu diesen Privilegien E. Ewig, Beobachtungen zu den Klosterprivilegien, insb. S. 411-418). Typische Elemente solcher Freiheitsprivilegien waren die Garantie des klösterlichen Besitzes, der freien Abtswahl, des Ausschlusses der bischöflichen potestas über dem Kloster zugehörige Personen und Sachen sowie die Festlegung der correctio nach der Regel. Ewig unterscheidet darüber hinaus zwischen der “großen Freiheit”, der vollständigen Aufgabe der bischöflichen Vollgewalt über das Kloster, und der “kleinen Freiheit”, bei der dem Diözesanbischof das Recht zu bestimmten Weihehandlungen prinzipiell vorbehalten blieb. [und] derart soll auch das vorliegende [Kloster] mit Gottes Hilfe Bestand haben.
Gemäß dem, was von Bischof Soundso sowie anderen Herrn Bischöfen für das vorgenannte Kloster erging, [also] gemäß dem, was deren Privileg umfasst, das uns der genannte Soundso zur Prüfung vorgelegt hat, haben wir erfahren, dass, falls also daselbst irgendwie etwas zu den Landgütern, Unfreien oder übrigen Dingen und Lebewesen, sei es durch ein Geschenk des Königs oder des vorgenannten Soundso oder von sonst irgendjemanden übertragen wurde oder fürderhin hinzugefügt werden wird, es unverletzlich ist. Keiner der Bischöfe, so haben wir es bestimmt, weder der gegenwärtige noch diejenigen, die seine Nachfolger sein werden, noch der Archidiakon oder jene, die befugt sind, sie zu weihen, noch überhaupt irgendjemand soll im Stande sein, mit irgendeiner Anordnung etwas von demselben Ort wegzunehmen oder sich irgendeine Machtbefugnis in demselben Kloster anzueignen, die über das hinausgeht, was geschrieben steht9 Gemeint sind wohl das Weiherecht des Bischofs sowie der dessen Eingriffsrecht bei Versagen des Abtes, die klösterliche Disziplin zu wahren. Vgl. Marculf I,1., oder gleichsam irgendetwas durch den Austausch von Besitztiteln zu verringern10 Die Regelung zum Tausch (commutatio) stellte eine Ergänzung gegenüber dem bischöflichen Freiheitsprinzip dar. Waren das Verschenken oder der Verkauf von Kirchengut untersagt, so bestand die Möglichkeit, Güter zu tauschen. Fand der Tausch zwischen zwei Kirchen statt, durfte durch diesen keine der beiden schlechter gestellt werden. Fand er zwischen einer Kirche und einem Laien statt, musste die Kirche durch den Tausch besser gestellt werden. Vgl. dazu F. Bougard, Adalhard de Corbie, S. 56f. oder etwas von der Ausstattung für den Gottesdienst sowie von dem Messopfer, das man auf dem Altar dargebracht hat, fortzuschaffen. Und keiner soll es wagen, sich unter anderen Umständen überhaupt zu demselben Kloster oder zu dessen Zellen zu begeben, außer für ein nutzbringendes Gebet, wenn Selbiges nach Willen des Abts oder dessen Gemeinschaft und ohne Kosten für sie geschieht11 Das königliche Privileg bestätigt also nur den Schutz des klösterlichen Eigentums und, in verknappter Form, das Introitusverbot für den Bischof und seine Männer. Es entfallen hingegen der Weihevorbehalt des Bischofs, das Recht zur freien Abtswahl, die correctio nach der Regel und das Eingriffsrecht des Bischofs bei Verfall der klösterlichen Zucht.. Umso leichter mag [nun] alles für dasselbe Kloster, dem Wunsch in den Übertragungen12 delegatio findet sich in der merowingischen Rechts- und Urkundenlandschaft immer wieder als Begriff für „rechtsgültige Übertragung bzw. Abtretung“ wie auch im übertragenen Sinne als Bezeichnung für das entsprechende Dokument: und der Autorität (auctoritas) dieses Dokuments entsprechend, ohne Belästigung durch irgendjemanden ebenda für das Wachstum dienlich sein.
Dem sei hinzugefügt, dass es überhaupt keinem Amtmann13 Als iudex konnten in der fränkischen Zeit Amtsträger aller Art bezeichnet werden, die Herrschafts- oder Disziplinarakte ausübten. Vgl. dazu J. Weitzel, Dinggenossenschaft, S. 204f.; S. Barbati, Studi sui iudices. oder sonst irgendeinem Menschen erlaubt sein soll, vom Grundbesitz des vorgenannten Klosters etwas ohne die Einwilligung der Knechte Gottes unrechtmäßigerweise für etwas anderes wegzunehmen oder sich unbedachten Sinnes etwas für seinen Gebrauch anzueignen, auf dass ihn weder zunächst Gottes Zorn noch unsere Ungnade treffe und er von Seiten des fiscus keine schwere Buße erdulden muss14 Vgl. dazu Konzil von Chalon (647-653), c. 11.. Es gefiel uns für unseren unverminderten Lohn jenes hinzuzufügen: Es soll keine richterliche Gewalt, weder eine gegenwärtige noch eine zukünftige, wagen, das zu betreten, was gleichermaßen aus unserer Freigiebigkeit heraus wie durch eine Übertragung desselben sowie der Übrigen oder von sonst irgendjemandem daselbst ist oder zu irgendeinem Zeitpunkt als übertragener Besitz sein wird, um entweder Rechtsangelegenheiten anzuhören oder daselbst irgendetwas einzutreiben15 Das Introitusverbot für öffentliche Amtsträger im Rahmen der Rechtsprechung auf dem Besitz des Klosters. Mit diesem Verbot sollte das Kloster vor den mit der öffentlichen Rechtsprechung und Abgabenerhebung einhergehenden Belastungen (wie etwa Versorgung der Amtsträger und ihrer Entourage, Arbeitsausfall; vgl. zu diesen Belastungen auch Marculf I,11) geschützt werden. Eine Befreiung von öffentlichen Abgaben war damit nicht verbunden. Vgl. dazu E. Magnou-Nortier, Étude, S. 474-479 und C. Brühl, Die merowingische Immunität, S. 38-41. Ob die öffentliche Gerichtsbarkeit an den Empfänger dieser Form der Immunität fiel ist umstritten. Vgl. C. Brühl, Die merowingische Immunität, S. 38 mit Anm. 84; negativ E. Magnou-Nortier, Étude, S. 478; einschränkend P. Fouracre, Eternal light, S. 63f.. Stattdessen sollen dasselbe Kloster und seine Gemeinschaft in vollständiger Immunität16 Das Prinzip der Immunität wurde bereits im spätantiken Recht etabliert. Immunitas bezeichnete in dieser Zeit ein vom Kaiser gewährtes Privileg, mit welchem bestimmte, sehr begrenzte fiskalische Exemptionen, in der Regel auf Arbeitsdienste und außergewöhnliche Belastungen, gewährt wurden. Vgl. dazu E. Magnou-Nortier, Étude, S. 468f. Die in dieser Formel präsentierte Immunität, das Introitusverbot für öffentliche Amtsträger, scheint sich erst in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts etabliert zu haben. Vgl. dazu C. Brühl, Die merowingische Immunität, S. 33-38. jeden festgesetzten fredus17 Bei Bußzahlungen an geschädigte Personen ging in der Regel ein Drittel der Summe an den fiscus, der wiederum ein Drittel dem für die Rechtsprechung zuständigen Amtsträger überließ (so auch, wenn der fiscus selbst Empfänger der gesamten Bußzahlung war). Der dem fiscus zustehende Anteil am Bußgeld wurde als fredus bezeichnet. Vgl. dazu J. Durliat, Finances publiques, S. 219; S. Esders, Eliten und Strafrecht, S. 268. für sich selbst bekommen. Und was auch immer unser fiscus vielleicht von dort, von deren Leuten, sei es von den Freien oder den Unfreien, die auf deren Grund und Boden leben oder von woher auch immer erwarten konnte18 Die Deutung dieser Stelle (et quicquid exinde fiscus noster forsitan) ist in der Forschung umstritten. E. Magnou-Nortier, Étude, S. 478f., macht forsitan als Schlüsselwort aus, dessen Verwendung lediglich auf unregelmäßige Einkünfte wie fredus, Konfiskationen oder Erbfälle, nicht aber regelmäßige, hindeute. Dem Kloster würde damit keine vollständige Befreiung von Abgaben gewährt, sondern, unabhängig von der Immunität, lediglich eine beschränkte Übertragung von Einkünften des fiscus zum Seelenheil des Königs. Für eine maximale Auslegung der Stelle vgl. etwa L. Levillain, Note sur l’immunité und P. Fouracre, Eternal light., soll aus unserer Huld heraus zur Gänze zum Vorteil für den Lohn für die Lichter dieser heiligen Stätte19 Zur Beleuchtung von Kirchen wurden zumeist Öllampen genutzt. Sie diente auch liturgischen Zwecken und wurde die ganze Nacht, häufig auch Tag und Nacht, hindurch unterhalten. Vgl. dazu P. Fouracre, Eternal light, S. 68f.; D. R. Dendy, The use of lights, insb. S. 1-71. und den Sold der Knechte Gottes dienen, solange wir in Gottes Namen leben, wie auch in den Zeiten der Könige, die uns nachfolgen, damit es den Mönchen gefällt, für das ewige Heil, das Glück des Vaterlands und die Beständigkeit des Königs unablässig die unermessliche Güte Gottes zu erbitten.
Dies ist die Anordnung unseres Beschlusses, in allem durch Christus unterstützt. Auf dass sie man sie als noch fester betrachte und auf ewig bewahre, haben Wir uns befleißigt, unten eine Unterschrift von unserer Hand zu tätigen.