DIE BITTE DER MÖNCHE1 Es handelt sich bei der folgenden Formel um eine Profess, ein vom Novizen vor der Klostergemeinde abzulegendes Gelübde bei der Aufnahme in den Mönchsstand. Neben dem mündlichen Eid war dabei vom Novizen auch eine Urkunde wie die folgende auszufertigen. Die Bezeichnung als petitio folgt der Wortwahl der Regula Benedicti 58,19-20 (De qua promissione sua faciat petitionem … Quam petitionem manu sua scribat…), auf die auch im Folgenden verwiesen wird. Die Urkunde musste vom Novizen auf dem Altar abgelegt, vom Abt von dort aufgehoben und anschließend im Kloster verwahrt werden (Regula Benedicti 58,20 und 29). Zur Profess nach der Regula Benedicti vgl. insb. R. Hombach, Das Kapitel 58; J. Leclercq, Profession, für das frühe Mittelalter, insb. S. 117-124.
An2 Die vorliegende Profess- bzw. petitio-Formel ist für die Flavignytradition nur für P3 belegt, allerdings findet sich die Formel in nahezu identischer Form auch im „Reichenauer Verbrüderungsbuch“ (Zürich, ZB, Ms. Rh. hist. 27, p. 137f.). Das „ursprüngliche“ Verbrüderungsbuch (fol. 14r-80v) aus dem 9. Jahrhundert (begonnen um 824), wurden in der 2. Hälfte des 10 Jahrhunderts (fol. 81r-88v) um eine Reihe von Professlisten und anonymisierten Professformeln ergänzt, zu denen auch eine nur unwesentlich verknappte Fassung der vorliegenden Formel gehört (fol. 82r/v). Beziehungen zwischen der Reichenau und Flavigny lassen sich dem Verbrüderungsbuch selbst entnehmen: Auf fol. 43v findet sich eine Liste mit den NOMINA FR[ATRU]M DE COENOBIO QUOD FLAVINIACENSIS VOCATUR. Mit Apollenarius (†826) und Vigilius (†834) finden sich darüber hinaus auch zwei bedeutende Äbte von Flavigny an prominenter Stelle unter den NOMINA AMICORUM VIVENTIUM (vgl. dazu D. Geuenich, Gebetsgedenken, S. 89 und 96). Der Reichenauer Text wurde bereits von Martin Gerbert 1765 in seiner Iter Alemannicum als formula profitendi aus einem seinerzeit nicht näher identifizierten Reichenauer Codex zum Druck gebracht (M. Gerbert, Iter Alemannicum, S. 271-273). K. Zeumer, Formulae, S. 479, wies auf Grundlage der zweiten Auflage der Iter von 1773 auf die Existenz eine „similia formula“ hin, wies den Codex jedoch fälschlicherweise der Bibliothek von Rheinau (Rhenaugia) statt der Reichenau zu (Augia) aus („Cf. similiam formulam codicis Rhenaugiensis“) und hob für seine Edition zwei Varianten (als cod. Rhen.) aus der gedruckten Fassung in der Iter aus (M. Gerbert, Iter Alemannicum, S. 283f.). Eine erste deutsche Übersetzung der Professformel erschien bereits 1767 im Rahmen von Johann Ludwig Köhlers deutscher Übersetzung der Iter Alemannicum (J. L. Köhler, Des hochwürdigsten Herrn, Herrn Martin Gerberts ... Reisen durch Alemannien, S. 253f.). Eine kritische Fassung der Reichenauer Überlieferung liegt vor bei J. Autenrieth/D. Geuenich/K. Schmid, Das Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau, S. 229f. Zum Verbrüderungsbuch allgemein D. Geuenich, Das Reichenauer Verbrüderungsbuch. Vgl. zu dieser Formel und ihrer Einordnung als iro-fränkisch geprägt auch H. Lutterbach, Monachus factus est, S. 273-275. den ehrenwerten Herrn, den Vater in Christo, Abt Soundso des Klosters Soundso, das3 Hier lässt sich der frühmittelalterlich-vulgärsprachliche Genuswechsel von monasterium zum Maskulinum (monasterius) beobachten. zu Ehren des heiligen Soundso errichtet wurde, zusammen mit Eurer Gemeinschaft, die der Herr aus den unterschiedlichen Provinzen zur Pilgerfahrt4 Das Motiv der peregrinatio als (Pilger-)Fahrt in die Fremde, um Gottes Namen willen, gehört fest zur Vorstellungswelt des Mönchtums und prägte vor allem das insulare Mönchtum maßgeblich. Vgl. dazu insb. J. Semmler, Peregrinatio und stabilitas. um seines Namens Willen unter dem Joch des Soldatendienstes5 Die militia Christi, der „Kriegsdienst für Christus“ gehört fest zum Selbstverständnis des abendländischen Mönchtums. in der Knechtschaft Christi und dem schützenden Flügel der Lieblichkeit Gottes im Leben nach der Regel bei Euch versammelt hat.
Wir haben nämlich gehört, was unser Herr Jesus Christus in seinem Evangelium lehrt, indem er sagt: „Wenn einer nicht allen Dingen entsagt, die er besitzt, so kann er nicht mein Schüler sein“, und an anderer Stelle: „Jeder, der Vater oder Mutter, Brüder oder Schwestern, Haus oder Felder und so fort, um meines Namens Willen verlässt, der wird das Hundertfache erhalten und das ewige Leben besitzen“. Darum bitten wir die Seligkeit Eurer Barmherzigkeit, dass Ihr geruhen möget6 Hier dignus wie dignatus, im Sinne von dignemini gebraucht, vgl. dazu auch die Reichenauer Fassung., uns in den Orden Eurer Gemeinschaft aufzunehmen, so dass wir unsere Lebenstage unter der Regel des seligen Benedikt7 Der Verweis auf die Regula Benedicti in der Profess findet sich erstmals im 7. Jahrhundert im burgundischen Raum. Verbindlich wurde dieser Passus mit dem Konzil von Aachen 816 (vgl. dazu auch J. Semmler, Die Beschlüsse, S. 46f.). Maßgeblich für das Klosterleben scheint jedoch in jedem Fall die lokale Tradition geblieben zu sein, lediglich der Gehorsam wurde nach der Regula Benedicti geschuldet. Vgl. J. Leclercq, Profession, S. 119f. und 122-124. Zur Verbreitung solcher Formeln nach 816 vgl. H. Lutterbach, Monachus factus est, S. 273-279 und 303-310; Ph. Depreux, La profession monastique. verleben und verbringen dürfen, weil wir ja das Joch Christi als süß und seine Bürde als leicht empfinden8 Die Formulierung spielt auf das Herrenwort Mt 11,30 an „Denn mein Joch ist süß und meine Last ist leicht“ (iugum enim meum suave est et onus meum leve est). . Daher war es unsere Bitte und Euer Wille beschied es, eben dies zu erfüllen. Dies tatet Ihr so auch. Wir entsagen9 Habrenunciamus = abrenunciamus. also all unseren verdorbenen Begierden, auf dass allein der Wille Gottes in uns sei, und [wir entsagen] aller Habe, die wir besitzen, so wie es die Evangelien und die Tradition der Regel lehren. Wir geloben, dass wir von diesem Tage an nichts an irdischer Habe besitzen werden10 Vgl. Regula Benedicti 58,24, wonach der Novize sein Eigentum vor Ablegung des Mönchseides an Arme verteilen oder dem Kloster schenken sollte. Im Gegensatz zur Regelung etwa der Regula Magistri 87,12-59 war diese Besitzaufgabe nach der Regula Benedicti jedoch nicht in die Profess (in der Regula Magistri als donatio bezeichnet) aufzunehmen. Vgl. zur Besitzaufgabe R. Hombach, Das Kapitel 58, S. 53-57., außer so viel, wie wir vom Vater des Klosters an Nahrung und Bedeckung für den Leib zugeteilt und erlaubt bekommen werden. Wir versprechen Euch den Gehorsam zu halten, soweit es unseren Kräften entspricht und der Herr uns Beistand geben wird. Wir verpflichten uns demütigen Herzen und Sinns – der Herr sei mein Zeuge – die Beständigkeit11 Die stabilitas bezieht sich hier sowohl auf den klösterlichen Lebenswandel als auch auf das Verbleiben am Klosterort (stabilitas loci). Zusammen mit Gehorsam (oboedientia) und einem den Buchstaben und dem Geist der Regel entsprechenden Lebenswandel (conversatio morum) gehörte sie zu den drei Dingen, die ein Mönch bei der Aufnahme in die Gemeinschaft geloben musste (Regula Benedicti 58,17). Vgl. dazu auch H. Lutterbach, Monachus factus est, S. 274f. und 282-285; A. de Vogüé, La formation, S. 52-58. unseres Umgangs in Eurer Gemeinschaft unter Beachtung der Regel bis zum Ende einzuhalten, es sei denn solcherart – wir kennen die Zukunft nämlich nicht – dass wir uns, falls sich vielleicht eine Angelegenheit zum Nutzen für unsere Seele ergibt, mit Eurer Erlaubnis entfernen mögen, oder es sei denn, wir werden, was fern sei, gegen Euren Willen von den Fürsten oder Barbaren weggeführt. Und falls eben dies geschehen sein sollte, müssen wir uns, in dem Maße, wie wir es können, allzeit bemühen zu derselben Gemeinschaft zurückzukehren und wir müssen darauf beharren, zum heiligen Orden zu gehören. Im Übrigen soll es uns nicht erlaubt sein, uns durch irgendwelche Schliche von Eurer vorgenannten Gemeinschaft oder dem Joch der heiligen Regel12 Vgl. Regula Benedicti 58,16 (nec collum excutere de sub iugo regulae). oder aus der Macht des Gehorsams zu Euch zu entfernen oder uns zu widersetzen. Denn falls wir dies, weil wir vom alten Feind13 Der „alte Feind“ ist der Teufel (auch „alte Schlange“ oder „alter Drache“): Et projectus est draco ille magnus, serpens antiquus, qui vocatur diabolus, et Satanas, qui seducit universum orbem; et proiectus est in terram, et angeli eius cum illo missi sunt (Ap 12,9) „Und niedergeworfen wurde jener große Drachen, die alte Schlange, die Teufel heißt und Satan, der die ganze Welt verführt: Er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm hinabgeschleudert.“ Die Junktur antiquus hostis ist bereits in der alten Kirche bei Cyprian von Karthago, Ad Fortunatum, praef. 5 (†258) belegt: Aduersarius uetus est et hostis antiquus cum quo proelium gerimus. Dass antiquus hostis und draco synonym gebraucht werden, kann man u.a. bei Augustinus, Enarrationes in Psalm. 103 lesen (hic ergo draco, antiquus hostis noster, ira feruidus, insidiis adstutus, in mari magno est). dazu angestachelt werden, zu tun versuchen, soll uns dies in keiner Weise gelingen, sondern Ihr sollt uns von dort, wo auch immer Ihr oder Euer Abgesandter uns auffinden mögen, auch wenn wir nicht Willens sind, mit Gottes Hilfe durch Euch selbst in eben Eure heilige Gemeinschaft zurückrufen und uns eben dort gemäß der Regel aburteilen14 Die Wiederaufnahme nach Verlassen des Klosters wird im 29. Kapitel der Regula Benedicti geregelt. Ein Mönch darf insgesamt dreimal wiederaufgenommen werden, bevor man ihn endgültig verstößt.. Unsere Lebenstage wollen wir unter der göttlichen Regel und Eurer Anleitung verbringen, damit wir uns am Tage des Gerichtes vor dem Richterstuhl des ewigen Richters – dabei helfe derselbe – als errettet erweisen können.
Und wer auch immer gegen diese Bitte15 Die Bezeichnung der Profess als petitio folgt Regula Benedicti 58,19-20 (De qua promissione sua faciat petitionem … Quam petitionem manu sua scribat…)., die wir guten Willens niederzuschreiben baten16 Die Regula Benedicti 58,20 legte fest, dass ein Mönch die Profess, wenn er selbst des Schreibens nicht mächtig war, durch einen anderen niederschreiben lassen konnte. Die Profess war dann von ihm zu unterzeichnen (novicius signum faciat) und eigenhändig auf den Altar zu legen. und unten bekräftigt haben, auf irgendeine Weise vorgehen oder sie brechen will, der soll zunächst wissen, dass er von Gott, den er erzürnt hat, verdammt werden wird17 Vgl. Regula Benedicti 58,18: coram deo et sanctis eius, ut, si aliquando aliter fecerit, ab eo se damnandum sciat, quem inridit., und soll darüber hinaus gemäß kanonischem Beschluss solange von der Gemeinschaft aller Brüder ausgeschlossen sein, bis er in dieser Angelegenheit zu wahrer Besserung gelangt.
Durch Unterschriften18 Hier subscripcionis = subscriptiones für subscriptionibus. Gemeint ist nicht notwendig der eigenthändig geschriebene Name, sondern durchaus auch die Unterzeichnung mittels eines graphischen Handzeichens. Vgl. dazu L. Saupe, Unterfertigung, S. 100-104; W. Maleczek, Eigenhändige Unterschriften, S. 162. unserer Hand wollen wir diese Bitte19 Die Bezeichnung der Profess als petitio folgt Regula Benedicti 58,19-20 (De qua promissione sua faciat petitionem … Quam petitionem manu sua scribat…). zu Ehren unseres Herrn und Schutzherrn des heiligen Soundso bekräftigen.