AUF WELCHE ART MAN EIN PRIVILEG ERSTELLT1 Die inhaltliche Nähe der Formel zu den Bestimmungen der auf einer Originalurkunde Wideradus’ für Flavigny (Chart. Flav. 58) basierenden Formel Flavigny Pa+Ko 6 sowie die hier als Zeugen auftretenden und in Chart. Flav. 58 genannten „gallischen Bischöfe“ lässt auch hier an eine ursprünglich für Flavigny ausgestellte Bestätigung der vom Gründer gewährten Rechte denken. Eine entsprechende Urkunde ist jedoch nicht erhalten. I. Heidrich, Titulatur, S. 188f. vermutet aufgrund der angesprochenen Zustände ein Entstehen der Vorlage im Zeitraum 730 bis 735.
An die apostolischen Herren der heutigen und künftigen Zeiten, alle, die unter dem katholischen Glauben in den Hirtenämtern nachfolgen, Soundso, ein demütiger Bischof Christi.
Es ist freilich angemessen, jenen, die Gott lieben, Gutes zu tun, wenn diese einmal Gott ob der kommenden zukünftigen Gerichte fürchten, weshalb einer, den man im Volk zum Bischof berufen hat, denen, die Gott fürchten, mit Zuneigung und Liebe beistehe, damit jene, die auf Erden wandeln und Christus dienen wollen, durch den Zuspruch des Hirten von allen Heimsuchungen unbehelligt leben können.
Da es allgemein bekannt ist, dass es ein Kloster2 Das Eintreten von Akkusativ- oder Ablativformen für den Nominativ lässt sich für das frühe Mittelalter immer wieder beobachten und kündigt die Veränderungen im romanischen Kasussystem an. im Gau Soundso gibt, das3 Hier lässt sich der frühmittelalterlich-vulgärsprachliche Genuswechsel von monasterium zum Maskulinum (monasterius) beobachten, der über das altfranzösischen monastere in monastère fortlebt. Soundso heißt [und] das der vir illuster auf seinem eigenen Eigengut errichtet hat4 Klostergründungen wurden im 6. Jahrhundert überwiegend von Bischöfen vorgenommen. Erst im 7. und 8. Jahrhundert wurden Gründungen durch andere Personen häufiger. Ansprüche auf Eigentum an diesen durch die Gründer (Eigenklöster) scheinen erst seit dem späten 7. Jahrhundert erhoben worden zu sein. Vgl. dazu S. Wood, The proprietary church, S. 111-118., und er aus Bemühen um vollständigen Schutz durch ein Schreiben an den allervortrefflichsten Herrn, den König von Burgund5 K. Zeumer, Formelsammlungen, S. 68, bezog diese Nennung auf das nach 879 neu entstandene burgundische Königreich, ohne allerdings Rücksicht auf die Datierung der der Formel zugrundeliegenden Urkunde zu nehmen. Regnum Burgundiae oder auch Burgundia war in der Folge der Eroberung des Burgunderreiches durch die Franken 534 zum Namen des gesamten südöstlichen Teiles des Frankenreiches geworden. Vgl. E. Ewig, Volkstum, S. 632-635; R. Marti, Von der multikulturellen Gesellschaft, S. 65; I. Wood, Gentes, S. 265-267; S. Esders, Römische Rechtstradition, S. 294f. Zur Verwendung von Burgundia als Teil-regnum des Frankenreiches parallel zu Austria und Neustria siehe etwa DDMerov 122 (Dum et episcopos de rigna nostra tam de Niuster quam et de Burgundia…) und 123 (per regna Deo propicio nostra, tam in Niustreco quam Austrea vel in Burgundia…), wohl aus dem Jahr 679., demselben anvertraut hat, das Kloster zu hüten, damit der gemeinschaftliche Lohn für den Soundso wegen der Stiftung und für die königliche Gnade wegen der Hilfe bei Schutz bei Gott wachse, ist es daher auch für uns angemessen, den schongenannten ruhmreichen Herrn, König Soundso darum zu bitten, dass wir den Mönchen, die dort wohnen, ein Privileg gewähren dürfen; vor allem deswegen, weil es zu geschehen pflegt, dass Laien die Hirtenstatt übernehmen, wenn fromme Bischöfe sterben6 Die Einsetzung von Laien zu Bischöfen war zwar kirchenrechtlich nicht möglich, im merowingischen Gallien aber dennoch lange Zeit übliche, von Kirchenseite oft heftig kritisierte Praxis. Vgl. dazu D. Claude, Bestellung, S. 38, 42-60; G. Scheibelreiter, Bischof, S. 115-127. Ähnliche Vorwürfe wie hier finden sich etwa auch bei Bonifatius et Lullus, Epistolae 50 von Anfang 742 (Modo autem maxima ex parte per civitates episcopales sedes traditae sunt laicis cupidis ad possidendum vel adulteratis clericis scortatoribus et publicanis seculariter ad perfruendum.)., und der Besitz, den man den Armen geschenkt hatte, vor allem durch die Dienstleute7 Der Begriff gasindus findet sich vor allem in langobardischen Quellen und bezeichnet dort das oft bewaffnete Gefolge eines Königs oder anderen Mächtigen. Gasindi scheinen eine gehobene Stellung genossen, zugleich jedoch auch eine Dienstfunktion innegehabt zu haben. Vgl. dazu G. v. Olberg, Bezeichnungen, S. 112-124. aber auch durch Priester verstreut wird, und man die angesammelten Güter, da man das kirchliche Leben vernachlässigt, für Jäger und Hunde und – was noch schlimmer ist – Huren verschleudert, und man sich mit der Leichtfertigkeit von Laien unrechtmäßiger Weise den weltlichen Dingen zuwendet, nachdem die geistliche Richtschnur einmal zerschnitten ist, und sie es wagen, durch ihre unschicklichen Ratschläge das Leben der Mönche zu stören. Daher also haben wir, die wir uns in dieser Hinsicht stets nach den gnädigen Lenker Christus richten, nämlich Bischof Soundso und andere, dem allgemeinen Willen zugestimmt, so dass wir für diese reinen Herzens ein Privileg ausfertigen.
Wir bestimmen und befehlen also beim Zeugnis der Heiligen Dreifaltigkeit und dem Lösegeld von Christi Blut vor Gott und den Engeln und Erzengeln, dass im Hinblick auf das erwähnte Kloster Soundso und alles, was auch immer dort entweder als königliches Geschenk oder Geschenk von Privatleuten oder an sonstigen Besitzungen und an materiellen Vermögen zusammengetragen wurde oder künftig zusammengetragen werden wird, der Bischof der Stadt Soundso keine Macht haben soll8 Seit der Spätantike unterstanden Klöster gemeinhin der bischöflichen Aufsicht (vgl. B. Rosenwein, Negotiating Space, S. 32-35). Die seit dem 5. Jahrhundert belegten Freiheitsprivilegien (libertatis privilegium) dienten wiederum der Herauslösung eines Klosters aus der bischöflichen potestas (vgl. zu diesen Privilegien E. Ewig, Beobachtungen zu den Klosterprivilegien, insb. S. 411-418). Typische Elemente solcher Freiheitsprivilegien waren die Garantie des klösterlichen Besitzes, der freien Abtswahl, des Ausschlusses der bischöflichen potestas über dem Kloster zugehörige Personen und Sachen sowie die Festlegung der correctio nach der Regel. Beim hier vorliegenden Fall handelt es sich nach der Kategorisierung Ewigs um eine „große Freiheit“ später Ausprägung, die dem Kloster größtmögliche Freiheit gewährten. Die unterschiedlichen Ausprägungen des vorliegenden Privilegs (mit Flavigny Pa+Ko 6/Chart. Flav. 58) stehen dem Privileg Bischofs Widegern für das Kloster Murbach von 728 (Regesta Alsatiae 113) nahe. Vgl. dazu E. Ewig, Beobachtungen zu den Klosterprivilegien, S. 424-426.. Weder9 Vgl. die Bestimmungen von Flavigny Pa+Ko 6. der Archidiakon von Soundso noch die Diener und die Beauftragten der Kirche oder sonst irgendjemand aus dem Klerus soll sich anmaßen, auf den Besitzungen des besagten Klosters irgendeine Vorherrschaft über irgendeine Sache zu besitzen, die man nennen oder aufzählen kann; nicht um Futter einzutreiben; nicht um Verpflegung einzufordern, nicht um überhaupt irgendeine Sache zu verlangen, nicht um den Abt einzusetzen, nicht um Dienste einzuteilen, nicht um Altäre oder Tische zu weihen, nicht um Weihegrade zu verleihen; der Bischof von Soundso soll sich nicht anmaßen, ebendort Zugang zu haben, es sei denn, der Abt und dieselbe Gemeinschaft glauben vielleicht nach gemeinsamem Beschluss, ihn zum liebevollen Dank für seine Verdienste um das heilige Leben einladen zu müssen. Und falls er vielleicht von ihnen eingeladen werden sollte, soll er das weder zur Gewohnheit machen noch irgendwelche Gaben dafür fordern, sondern es soll schlicht und einfach die Dinge geben, die ihm die Brüder anbieten mögen; nachdem die Schuldigkeit zur Nächstenliebe erfüllt wurde, soll er sich in Frieden für seine eigenen Angelegenheiten, genauso wie wegen der übrigen Angelegenheiten des Königs, nachhause begeben; denn es ist angemessen, dass man das, von dem ein König dieser Welt zusammen mit seinen Großen um des gemeinsamen Heils willen wollte, dass es erbaut werde, dauerhaft mit einem vollumfänglichen Privileg vor Möglichkeiten bewahrt, es mit Abgaben zu belasten.
Wir haben aber sodann das dauerhafte Recht bestätigt, dass dieselben Mönche sich, wenn der Abt desselben Klosters aus diesem Leben scheidet, wen auch immer sich die Mönche, die daselbst leben, nach Gott erwählen mögen, ohne irgendeine Vorgabe des Bischofs derselben Stadt zum Hirten einsetzen sollen, der sich dann unverzüglich ihres heiligen Ordens annehme. Gesetzt den Fall, dass sich die Gelegenheit ergibt, etwas der Kirche zu weihen oder Weihegrade einzusegnen oder Tische zu weihen, soll es in ihrer Macht liegen, irgendeinen der übrigen Bischöfe einzuladen, den der Abt und die Mönche wollen. Und damit nicht – was fern sei – der heilige Orden dort lau10 Die Furcht vor der Lauheit im Glauben geht auf die Drohung Gottes in Apc 3,15f. zurück: „Ich kenne deine Werke, weil du weder kalt bist noch warm. Wenn du doch kalt oder warm wärst! Aber weil du lau bist und weder kalt noch warm, will ich jetzt beginnen, dich aus meinem Mund auszuspeien“ (scio opera tua quia neque frigidus es neque calidus utinam frigidus esses aut calidus sed quia tepidus es et nec frigidus nec calidus incipiam te evomere ex ore meo) werde, und der Abt nicht willens sein sollte, dies persönlich zu bessern, oder gar er selbst es zusammen mit den Mönchen für unter seiner Würde hielte, die Bestimmungen der Regel einzuhalten, soll, sogar wenn man mit Mühe nur wenige unter den Mönchen sehen sollte, deren Glaube an Christus wohl gedeihen mag, jenen die Macht vorbehalten bleiben, von den benachbarten Klöstern, wen auch immer sie sich erwählen mögen, zu erbitten, den sie als rechtschaffener und würdiger gemäß der Regel des heiligen Benedikt befinden11 Vgl. Regula Benedicti 64,1-2., damit diese sich mühen, durch ihren heilbringenden Rat den heiligen Orden zu erneuern12 Entgegen Regula Benedicti 64,3-5, die in solchen Fällen eigentlich dem Bischof und den benachbarten Äbten das Recht einräumt, tätig zu werden und einen neuen Abt zu benennen..
Wir ordnen auch an, es soll in keinem Fall Zugang für Frauen hinter die Klosterpforten geben!
Wenn sich also jemand anschicken sollte, die vorliegende Verfügung für irgendein abgekartetes Spiel zu verändern, soll er von Gott dem Allmächtigen für schuldig befunden werden und sich als vom Frieden aller Christen ausgeschlossen betrachten und als mit der unauflöslichen Fessel dieser Verletzung Gebannter das Los der Verdammnis des Verräters Judas erleiden13 Judas Iskariot war jener Jünger, der Christus an die Tempelpriester verriet, und dafür von Jesus selbst „verflucht“ wurde (Mc 14,21). Zur Rezeption der Judasgeschichte P. Stotz, Judas Ischarioth, S. 11-31. Judas Iskariot ist die beliebteste biblische Figur, auf die in frühmittelalterlichen Poenformeln verwiesen wird. Vgl. dazu auch I. Rosé, Judas, insb. S. 65-77. .
Damit es für alle Zeiten bewahrt werde, haben wir dieses Privileg samt hinzugefügter eidlichen Zusicherung14 Die Stipulationsformel wies in römischen Urkunden ursprünglich auf ein mündliches, an Frage- und Antwortform gebundenes Leistungsversprechen hin, mit welchem eine Partei gegenüber einer anderen eine Verpflichtung einging. Die Anbringung der Formel an den Vertrag wirkte rechtskonstituierend, auch wenn der mündliche Vollzug der Stipulation nach und nach entfiel. In fränkischer Zeit scheint das Bewusstsein für die Herkunft der Formel geschwunden, ihre Anbringung aber als Stärkung der Autorität und Sicherheit der Urkunde verstanden worden zu sein. Vgl. dazu; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 34-46; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 373-382; D. Simon, Studien, S. 33-40; P. Classen, Fortleben und Wandel, S. 25-31., nachdem wir es mit eigener Hand unterzeichnet haben, bekräftigt und den Herren Bischöfen von Gallien und Äbten sowie Priestern für eine Bestätigung übergeben.
Gegeben an dem und dem Tag im Jahr Soundsoviel.
Geschehen am Ort Soundso.