WER AUF SEINEM BESITZ EIN KLOSTER ERBAUT, SOLL SOLCHERART EINE URKUNDE AUSSTELLEN1 Die Formel basiert auf einer Schenkungsurkunde des Wideradus für das Kloster Flavigny von 719, die entweder zur Gründung des Klosters selbst oder zeitnah zu dieser verfasst wurde. Die Urkunde (traditionell als petit testament bezeichnet, obgleich es sich um eine unmittelbar wirksame donatio handelt) liegt in einer kritischen Ausgabe bei C. B. Bouchard (Hg.), The Cartulary of Flavigny, 717-1113, Cambridge, Mass. 1991, Nr. 58, S. 140-144 vor. Unter Nr. 2 (S. 28-33) ist bei Bouchard darüber hinaus eine zweite Fassung ediert, die auf eine spätere Überarbeitung zurückgeht (vgl. dazu C. B. Bouchard, The cartulary of Flavigny, S. 13f.; J. Marilier, Notes sur la tradition). Der Text der Urkunde wurde bei der Umarbeitung zur Formel erheblich gekürzt und gestrafft: Umfangreiche Güterlisten sind zu (Plural-)Formen von ille/illa/illud kondensiert. An allen Stellen, an denen sich die Anonymisierung mittels der ursprünglichen Schenkung auflösen lässt, sind die entsprechenden Namen im Kommentar genannt. Zu den Zusammenhängen der Formel mit Wideradus’ Schenkung vgl. auch K. Zeumer, Formulae, S. 470 und A. Rio, Legal Practice, S. 119f.
Die altehrwürdige Autorität der Gesetze und die Erlässe der Fürsten bestätigen, dass ein jeder, solange er im Körper weilt, seinen Willen bezüglich des Eigentums, das man als Vermögen besitzt, in einem Schriftstück festhält, damit er für alle Zeiten unversehrt bestehen bleibe.
Da es allgemein bekannt ist, dass ich mit Zustimmung der gallischen Bischöfe auf meiner eigenen Besitzung, die mir in Nachfolge meiner Eltern zukam, zu Ehren des Heiligen2 Das ursprüngliche Dokument nennt den heiligen Preiectus († 676), Bischof von Clermont. am Ort namens Soundso im Gau Soundso in der Gemarkung Soundso3 Die ursprüngliche Stiftung erfolgt in Flavigny (Flaviniacum castrum) im ager Burniacensis. ein Kloster erbaute und dort einen Abt namens Soundso4 Die Urkunde nennt hier den Namen Magoaldus; über Flavignys ersten Abt ist außer dem Namen nichts bekannt. Ein Zusammenhang mit dem in zwei Urkunden Childeberts III. († 711) von 696 (DMerov 147) und 697 (DMerov 149) erwähnten Abt Magnoaldus des Klosters Tusoneualle (Tussonval?) bleibt reine Spekulation, vgl. C. B. Bouchard, The cartulary of Flavigny, S. 2. eingesetzt habe, der den heiligen Orden eben dort mit Gottes Hilfe lenken und seine Mönche dort ansiedeln soll und durch dessen Weihe derselbe heilige Orden [dort] dauerhaft eingesetzt und beschützt sein soll, schenken wir aus diesem Grund also denselben Ort, wo dasselbe Kloster5 Hier lässt sich der frühmittelalterlich-vulgärsprachliche Genuswechsel von monasterium zum Maskulinum (monasterius) beobachten, der über das altfranzösischen monastere in monastère fortlebt. errichtet wurde, samt allem, was dazu gehört und davon abhängt, und den Örtlichkeiten und Pachthöfen6 Bei den colonicae scheint es sich um von abhängigen Personen bewirtschaftete Königs- oder Fiskalgüter gehandelt zu haben. Vgl. S. Sato, La colonica rémoise. auf den Landgütern Soundso und Soundso7 Die Form illas ist Plural; es ist nicht klar, um wie viele villae es geht. Das ursprüngliche Dokument gibt hier eine umfangreiche Liste unterschiedlicher Besitzungen an verschiedenen Orten., im Gau Soundso an das schon erwähnte Kloster des heiligen Soundso und Abt Soundso und wollen, dass die Schenkung von Dauer sei. Dies alles, was wir oben erwähnt haben, gaben wir mit allem, was dazu gehört und davon abhängt, wieviel auch immer wir eben dort infolge irgendeiner Erwerbung halten und besitzen, vollständig und zur Gänze zusammen mit allem zuvor dargelegten zum heutigen Tage zu Ehren des heiligen Soundso als Heilmittel meiner Seele und zum ewigen Heil. Wir übertragen es samt Häusern, Gebäuden, Unfreien, Landpächtern, Freigelassenen8 Freigelassene verblieben nach ihrer Freilassung zumeist in der Patronatsgewalt ihres Freilassers. Dessen Schutz war häufig mit der Verpflichtung zu exakt festgelegten Diensten und Abgaben verbunden. Im Laufe des Frühmittelalters wurde libertus zunehmend zu einem vererbbaren Stand, während sich zugleich die Beziehung zwischen Freigelassenem und Freilasser allmählich entpersonalisierte. Seit dem 8. Jahrhundert scheinen die Grenzen zwischen liberti und servi, aber auch zwischen liberti und ingenui durch die Fixierung der Lasten zunehmend verschwommen zu sein. Vgl. dazu J.-P. Devroey, Puissants, S. 270; A. Rio, Slavery, S. 75-79; H. Grieser, Sklaverei, S. 150-153; S. Esders, Formierung, S. 23 und 30-33; H.-W. Goetz, Serfdom, S. 34; W. Rösener, Vom Sklaven zum Bauern, S. 85-87., Weinbergen, Wäldern, Feldern, Wiesen, Weiden, stehenden und fließenden Gewässern, Urkunden9 Die redundante Junktur instrumenta chartarum legt den Fokus auf die rechtskräftige Beurkundung der Besitzverhältnisse., Büchern, Kirchengewändern sowie auch Kirchengerät, beweglicher und unbeweglicher Habe, allem forderungsfreien Besitz, was auch immer man nennen oder aufzählen kann, vollständig und zur Gänze an das oben angeführte Kloster und den schon genannten Abt mit seinen Mönchen unter Gottes Schutz zum dauerhaften Besitz.
Da es allen Bischöfen und Edlen, die unseren Landsleuten sind, bekannt ist, dass ich, Soundso, auf meinem eigenen Besitz das bereits genannte Kloster erbaute und für Gott dort eine heilige Klostergemeinschaft gestiftet habe10 Es handelt sich hierbei nicht um eine Variante für den Benutzer, die erst bei der Umarbeitung in eine Formel eingefügt wurde. Das Paar monasterius bzw. monasterium und cenubiolo findet sich bereits im ursprünglichen Dokument (iam nominato monasterio edificato et coenobiolo sancto ibidem… instituo). Die beiden eigentlich synonymen Begriffe monasterium und c(o)en[o]biolum werden hier genutzt, um einmal das physische Kloster, also die Gebäude, und daneben die zugehörige Gemeinschaft des Kosters zu bezeichnen., und ich auch zum jetzigen Zeitpunkt noch irgendetwas daran tun will, soll mir in allen Belangen die uneingeschränkte Macht dazu verbleiben11 Der Anspruch eines Gründers auf Oberhoheit über das von ihm gegründete Kloster scheint sich im späten 7. Jahrhundert entwickelt zu haben und findet sich im 8. Jahrhundert häufiger. Vgl. dazu S. Wood, The proprietary church, S. 114-118.. Daher bestimme ich mit Zustimmung der zuvor erwähnten12 Die Form supramemoratus pontificis ist an dieser Stelle eine orthographische Variante von supramemoratos pontifices (vgl. dazu Chart. Flav. 58) und steht für supramemoratis pontificibus. Derartige Freiheiten im Umgang mit Graphie und Funktion sind typisch für die fränkische Latinität der vorkarolingischen Zeit und kündigen das sich Ablösen des Romanischen an. Bischöfe durch das vorliegende Schriftstück, dass kein Bischof aus irgendeiner Stadt oder ein Archidiakon oder sonst irgendjemand aus dem Klerus oder die Beauftragten einer Kirche es wagen sollen, eben dort irgendeine Oberherrschaft auszuüben13 Seit der Spätantike unterstanden Klöster gemeinhin der bischöflichen Aufsicht (vgl. B. Rosenwein, Negotiating Space, S. 32-35). Die seit dem 5. Jahrhundert belegten Freiheitsprivilegien (libertatis privilegium) dienten wiederum der Herauslösung eines Klosters aus der bischöflichen potestas (vgl. zu diesen Privilegien E. Ewig, Beobachtungen zu den Klosterprivilegien, insb. S. 411-418). Typische Elemente solcher Freiheitsprivilegien waren die Garantie des klösterlichen Besitzes, der freien Abtswahl, des Ausschlusses der bischöflichen potestas über dem Kloster zugehörige Personen und Sachen sowie die Festlegung der correctio nach der Regel. Ewig unterscheidet darüber hinaus zwischen der “großen Freiheit”, der vollständigen Aufgabe der bischöflichen Vollgewalt über das Kloster, und der “kleinen Freiheit”, bei der dem Diözesanbischof das Recht zu bestimmten Weihehandlungen prinzipiell vorbehalten blieb., weder um Beherbergung oder Verpflegung einzufordern, noch um Dienste einzuteilen, oder nach dem Abt zu schicken. Wenn es aber notwendig geworden sein sollte, Salböl zu erbitten, Tische oder Altäre zu weihen, [oder] von Weihegraden gesegnet zu werden, dann dürfen sich der Abt und die Mönche, die dort leben, einen beliebigen der heiligen Bischöfe auswählen, der dies tun soll; sie sollen die Erlaubnis haben zu bitten und jener14 Das illi fungiert hier nicht als Platzhalter, sondern wurde aus der Vorlage übernommen. die Erlaubnis, dies zu segnen und zu weihen. Falls aber irgendein Bischof, weil es die Liebe erfordert, vom Abt jener Stätte15 Das illius fungiert hier nicht als Platzhalter, sondern wurde aus der Vorlage übernommen. dorthin eingeladen wird, soll er lediglich das bekommen, was ihm von den Brüdern angeboten wird; er soll von ihnen keine Gastgeschenke oder Aufmerksamkeiten, die darüber hinaus gehen, einfordern und er soll keine Macht über den gesamten Besitz desselben Klosters haben16 Der Text des ursprünglichen Dokuments wurde für die Formel umgeordnet, der eigentlich anschließende Abschnitt Quod si pontifex ... minuare temptaverit, der sich mit der Absicherung der klösterlichen Rechte und Besitzungen vor bischöflichem Zugriff befasst, wurde in der Formel hinter die Bestimmungen zur Abtswahl gesetzt, die sich ursprünglich an die Zusicherungen anschließen..
Nachdem aber der Abt derselben Stätte hinscheiden musste, sollen die Mönche, die dort leben, gemäß der Regel des heiligen Benedikts einen von ihnen selbst aussuchen, der überaus tüchtig ist; denselben sollen sie dort als Abt einsetzen17 Vgl. Regula Benedicti 64,1-2.. Falls dieselben18 Das ursprüngliche Dokument hat quod si ibi de se ipsis talem non invenerint, „falls sie nun dort bei sich keinen solchen finden sollten“. Die ursprüngliche Formulierung si ibi erwies sich beim Kopieren als nicht unproblematisch. In beiden Fassungen der Formel ist das si ibi verloren: In Ko2 ist die Formulierung bereits zu sibi entstellt, P3 überliefert mit si ipse (hier für si ipsi) eine „verbesserte“ Fassung. nun bei sich keinen solchen finden sollten, ist es an den würdigeren Mönchen zusammen mit dem allgemeinen Rat; bei ihnen soll die Macht liegen, einen der Regel entsprechenden Abt von irgendwo anders her zu wählen, der sie unter der Regel des heiligen Benedikt anleite. Was Gott aber verhüte, sollte der heilige Orden dort vielleicht lau19 Die Furcht vor der Lauheit im Glauben geht auf die Drohung Gottes in Apc 3,15f. zurück: „Ich kenne deine Werke, weil du weder kalt bist noch warm. Wenn du doch kalt oder warm wärst! Aber weil du lau bist und weder kalt noch warm, will ich jetzt beginnen, dich aus meinem Mund auszuspeien“ (scio opera tua quia neque frigidus es neque calidus utinam frigidus esses aut calidus sed quia tepidus es et nec frigidus nec calidus | incipiam te evomere ex ore meo) werden und der Abt selbst nicht in der Lage oder nicht willens sein, dies zu bessern, soll denselben Mönchen die Macht vorbehalten bleiben20 Entgegen Regula Benedicti 64,3-5, die in solchen Fällen eigentlich dem Bischof und den benachbarten Äbten das Recht einräumt, tätig zu werden und einen neuen Abt zu benennen., von überall, wo sie in den benachbarten Klöstern rechtschaffenere und würdigere gemäß der Regel des heiligen Benedikt finden mögen, solche zu erbitten und durch deren heilbringenden Rat den heiligen Orden gemäß der Regel zu bessern.
Falls nun ein Bischof oder jemand anders von denen, die der Kirche dienen, wer auch immer es sei, oder sonst irgendein Abgesandter versuchen sollte, gegen denselben Abt oder seine Gemeinschaft von der oben aufgeschriebenen Verfasstheit oder den Segnungen oder von meiner eigenen Habe, die dem Klosters gehört, dem, was durch irgendeine Urkunde oder auf sonst irgendeine Weise an dasselbe Haus angebunden, ihm hinzugefügt, an es getauscht oder ihm zugestanden wurde oder künftig werden wird, oder dem, was dasselbe Kloster oder deren Leute betrifft, irgendetwas einzuklagen, zu stören oder durch irgendwelche Schliche zu schmälern, soll er deshalb unverzüglich von dem ruhmreichen Herrn gezüchtigt werden, dem Gott zu diesem Zeitpunkt erlaubt haben wird, das burgundische Reich zu lenken21 K. Zeumer, Formelsammlungen, S. 68, bezog diese Nennung auf das nach 879 neu entstandene burgundische Königreich, ohne allerdings Rücksicht auf die Datierung der der Formel zugrundeliegenden Urkunde zu nehmen. Regnum Burgundiae oder auch Burgundia war in der Folge der Eroberung des Burgunderreiches durch die Franken 534 zum Namen des gesamten südöstlichen Teiles des Frankenreiches geworden. Vgl. E. Ewig, Volkstum, S. 632-635; R. Marti, Von der multikulturellen Gesellschaft, S. 65; I. Wood, Gentes, S. 265-267; S. Esders, Römische Rechtstradition, S. 294f. Zur Verwendung von Burgundia als Teil-regnum des Frankenreiches parallel zu Austria und Neustria siehe etwa DDMerov 122 (Dum et episcopos de rigna nostra tam de Niuster quam et de Burgundia…) und 123 (per regna Deo propicio nostra, tam in Niustreco quam Austrea vel in Burgundia…), wohl aus dem Jahr 679.. Wir bitten daher den ruhmreichen Herrn, dem Gott in diesen Zeiten und denen, die da kommen werden, erlaubt hat, das burgundische Reich zu lenken, und wagen es, ihn bei Gottes schrecklichem Gericht darum zu beschwören, dass er geruhen möge, das vorliegende Schriftstück und meine Taten und meine schongenannte Klostergemeinschaft um des Lohns für ihn bei Gott willen mit seiner Tapferkeit gegen alle Widrigkeiten zu verteidigen und tüchtig gegen alle zu beschützen, so dass er keinesfalls von einer Heimsuchung böser Menschen untergraben werden kann, sondern sich daran erfreuen mag, dass der Abt und die Priester sowie die Mönche, die daselbst leben, dort ungestört Gott für sein Leben und das seiner Söhne und für sein Heer und für alles katholische Volk anrufen.
Falls aber jemand, was [ich nicht glaube, dass es] in Zukunft ...22 In der zugrundeliegenden Urkunde schließt sich eine umfangreiche poen, die Stipulationsformel und eine Zeugenliste an. Der Übeltäter wird mit Kirchenausschluss bedroht und muss eine Strafzahlung von dreißig libra Gold an den Geschädigten und den fiscus zahlen.