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Angers 38 (deu)

Schuldschein über ein Darlehen gegen Pfand

Schuldschein über ein Darlehen in Silber für welches der Schuldner dem Gläubiger bis zur Rückzahlung nach einer bestimmten Zahl von Jahren die Hälfte seines Rechtsstatus als Pfand überlässt und sich diesem zu regelmäßigen Diensten verpflichtet.

ES BEGINNT EIN SCHULDSCHEIN^{1 Die cautio löste in der Spätantike die Stipulationsurkunde als Schuldschein ab. Sie enthielt zumeist Angaben über den Empfang eines Darlehens, die Gewährung eines Pfandes sowie die Verpflichtung zur Rückzahlung nach einer bestimmten Frist nebst einer Strafklausel. Wurde das Darlehen zurückgezahlt, wurde die cautio zurückgegeben. Vgl. dazu M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 377-379; H. Siems, Handel und Wucher, S. 410-412.} FÜR EINEN MANN

An den prächtigen Herrn [und] Bruder^{2 Die Anrede fratri scheint hier als Anrede im christlichen Sinne (d.h. „Bruder in Christo“) gebraucht zu werden.} Soundso, ich der Soundso. Es ist bekannt, dass ich etwas bekommen habe, und zwar habe ich von euch durch diesen Schuldschein etwas als ein Darlehen^{3 Das beneficium (die „Wohltat“, „Gunstbezeugung“ oder „Gabe“) wird hier im Sinne von „etwas zur Verfügung gestelltes“, „geliehenes Gut“ gebraucht, im Zusammenhang mit Geld also „Darlehen“. Seit dem 7. Jahrhundert entwickelte sich beneficium zum terminus technicus für die zeitlich befristete Landleihe zum Nießbrauch, ohne seine Grundbedeutung zu verlieren. Vgl. dazu É. Lesne, Les diverses acceptions, S. 5; B. Kasten, Beneficium, S. 253f.; P. Fouracre, The use of the term beneficium, S. 70f.}, das [mir] gewährt wurde, bekommen, das sind soundsoviel Unzen Silber. Als Pfand^{4 Verpfändungen als Sicherheiten für Darlehen scheinen typisch, aber nicht obligatorisch für frühmittelalterliche Schuldscheine gewesen zu sein. War eine Verpfändung so wie hier, mit dem Versprechen auf Dienste oder Überlassung von Erträgen verbunden, so stellen diese eine Alternative zu Zinszahlungen auf das Darlehen dar. Vgl. dazu H. Siems, Handel und Wucher, S. 411 und 648-651. Nach römischem Recht gewann der Pfandnehmer kein dominium, also kein Eigentum, am ihm überlassenen Pfand. Besitz und Nutzung des Pfandes (so etwa auch der Genuß von daraus erwachsenden Feldfrüchten) waren ihm nur gestattet, wenn ihm diese vertraglich eingeräumt wurden. Erst wenn es der Schuldner versäumte, das Darlehen zurückzuzahlen, konnte der Gläubiger nach mehrfacher Ankündigung das Pfand veräußern, um aus dem Erlös seine Ansprüche zu befriedigen. Vgl. dazu Breviarium Alarici, Pauli Sententiae Interpretationes 5,8,2; M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 312-319; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 158-160.} überlasse ich Euch mein Dasein zur Hälfte, sodass ich alle sieben Tage an soundsoviel Tagen jedwede zulässige^{5 Im Gegensatz zu den Selbstverkäufen der Sammlung besitzt der Gläubiger in diesem Fall nur eingeschränkt Verfügungsgewalt über seinem Schuldner.} Arbeit verrichten muss, die ihr mir aufgebt^{6 Das Verb iungere bedeutet wörtlich „anschirren“ oder „anspannen“. Aus der Formel geht jedoch nicht hervor, dass es sich bei der „zulässige Arbeit“ nur um Spanndienste handelt, die dem Darlehensgeber zu leisten wären. Selbstverkäufe waren im römischen Recht zwar nominell geächtet, in der Praxis aber weit verbreitet. Vgl. dazu D. Liebs, Sklaverei aus Not; A. Rio, Self-sale.}. Wenn^{7 Hier que für si, wie die altfranzösischen Konjunktion que/ke. Que (konditional) wird hier eher im Sinne von quando (temporal) gebraucht, denn ein Ablaufen der Frist steht unveränderlich fest.} soundsoviele Jahre erfüllt sind, muss ich zurückerstatten, was Euch gehört, und Du musst dafür sorgen, dass ich meinen Schuldschein zurückerhalte^{8 Hier wird recipere in dem Sinne gebraucht, dass der Schuldner vom Gläubiger in die Lage versetzt wird seinen Schuldschein wieder an sich zu nehmen. Offenbar wurden hier aus falscher Kongruenz (res uestras … debias und caucionem meam … faciam) heraus die handelnden Personen vertauscht („musst Du zurückerstatten was Dir gehört und ich muss dafür sorgen, dass ich meinen Schuldschein zurückerhalte“). In Angers 22 finden wir die vermutlich richtige Zuordnung rem uestra redere debiam, et caucionem meam recipere facias. Auf den offensichtlichen Fehler hat bereits K. Zeumer, Formulae, S. 17 Anm. d (38) hingewiesen.}. Und falls ich mich alsdann zu demselben Termin (placitum) nicht um dieselben Werke oder um dieselben Dinge kümmern sollte oder säumig sein sollte oder mich von da an nicht nach Eurem Willen verhalten sollte, dann steht fest, dass ich Euch oder demjenigen, dem Du diesen Schuldschein zur Ausführung überlässt^{9 Zur Forderungsübertragung bei Schuldscheinen an Dritte und ihre Wurzeln im römischen Recht vgl. E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 154; H. Siems, Handel und Wucher, S. 411f..}, das was Euch gehört in doppelter Höhe zurückerstatten werde^{10 Die Strafzahlung in Höhe des doppelten Wertes (duplum) war bereits in der antiken Praxis weit verbreitet. Vgl. dazu J. Studtmann, Die Pönformel, S. 255-262 und 276-285; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 111-117; H. Siems, Handel und Wucher, S. 647.}.