Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Angers 35 (deu)

Übertragung eines Hauses

Übertragung eines Hauses nebst Weiler durch einen Mann an seine Ehefrau.

ES BEGINNT EIN SCHREIBEN

Ich nämlich der Soundso bekenne, [dass] ich dieses Schreiben ausfertigen musste^{1 Hier deberit wie debere; offenbar wurde ein ACI me … facere debere mit einer unpersönlichen Konstruktion mihi … facere deberit „Für mich war es nötig … auszufertigen“ vermischt.}. Dies habe ich so auch getan:

‚An meine Gattin Soundso, wegen deiner zärtlichen Liebe und wegen des Diensts, den Du für mich leistest, trete ich Dir hiermit^{2 Die Handschrift überliefert capsade casa; die Form capsade bedeutet höchstwahrscheinlich „mit diesem passenden Dokument“. Bereits K. Zeumer, Formulae, S. 16 fasst capsade als Form von cartole = chartula auf. Im Gegensatz dazu betrachtet E. Slijper, De formularum, S. 20 capsade als zu tilgenden Schreibfehler in Folge einer Dittographie des nachfolgenden cum ipso (aus casa und cum ipso wäre in diesem Falle capsade geworden, was aber das -ade nur unzureichend erklärt). Slijpers Interpretation der Stelle führt zur Lesart „trete ich Dir ein Haus ab und überschreibe es Dir“. J. Balon, L'Église de France, S. 22 fasst capsade als Form von casalis auf, das er als Variante von casualis versteht mit dem franz. casuel gleichsetzt. Ausgehend von dieser Interpretation gelangt Balon zu einer Deutung bei der die casualis casa zu einer Art ‛Fronhof’ im Sinne des Feudalismus wird. Neben der bedenklichen Etymologie (casalis ist ein Diminutiv zu casa bzw. der „Grund und Boden einer casa“; casualis heißt „zufällig“, „gelegentlich“) wirkt auch die Existenz einer „domaine seigneurial“ Ende des 6. Jhd. anachronistisch. Nimmt man die Handschrift ernst, handelt es sich bei capsade offenbar um einen Ablativ im Singular, das casa steht aller Wahrscheinlichkeit nach für ein casam. Als Grundform wäre somit wohl capas, capsadis anzusetzen. Bei capas dürfte es sich um eine orthographische Variante von capax „tauglich“, „geeignet“ handeln, womit man capsade = capaci erhält, was zu einer verständliche Lesart der Stelle führt. Entsprechend der Überschrift wäre gedanklich nur ein epistola zu ergänzen, womit man die Lesart capasade [epistola] = capaci [epistola] ein „geeignetes [Schreiben]“ erhält.} ein Haus ab und überschreibe es Dir zusammen mit demselben Weiler^{3 Der Germanismus vil(l)are ist aus wīlāri abgeleitet; dazu ChWdW 9, S. 949 und P. Stotz, Handbuch I, III §16.1, S. 357.}, wo dasselbe Haus liegt^{4 Es handelt sich demnach bei diesem Schreiben sinngemäß um eine Schenkung bzw. Abtretung. Die Bezeichnung als epistola an Stelle von cessio oder donatio findet sich auch in Angers 37 und Angers 46, die jedoch mehr Kontext bieten. Schenkungen zwischen Ehegatten waren im römischen Recht eigentlich verboten, wurden in der Praxis aber offenbar regelmäßig vorgenommen. Vgl. dazu M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 172; D. Liebs, Römische Jurisprudenz, S. 192.}. Du sollst deshalb vom heutigen Tage an durch dasselbe [Schreiben] die genannten Dinge haben, halten und besitzen und kannst von diesem Tage an machen, was Du willst‘. Und falls es aber jemanden geben sollte, sei es ich selbst oder irgendein Gegner, der es wagt gegen dieses Schreiben hier vorzugehen oder Widerstand zu leisten, muss er soundsoviele solidi bezahlen und, was er fordert, wird er auf keinen Fall erreichen und dieses Schreiben [soll fest bestehen bleiben]^{5 Die Formel wiederholt hier mit vindicare non valeat das Ende des vorhergehenden (Teil-)Satzes; bereits K. Zeumer, Formulae, S. 16 hat darauf hingewiesen, dass es sich dabei höchstwahrscheinlich um einen Schreiberfehler handelt und als Ende die an dieser Stelle übliche Floskel firma permaneat „soll fest bestehen bleiben“ vorgeschlagen. Nimmt man den Wortlaut ernst, lässt sich der Text als „dieses Schreiben soll nicht verkaufen können“ übersetzen. Möglicherweise sollte also ein Weiterverkauf der Güter im Besitztitel ausgeschlossen werden. Eine solche Bestimmung würde allerdings den vorherigen Bestimmungen wonach der Frau uneingeschränkt zugestanden wird, dass „Du (damit) machen kannst, was Du willst“ (facias quod uolueris) zuwiderlaufe}.