Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Bourges C 5 (deu)

Bittschreiben eines Bischofs an einen König bezüglich der Rückkehr von Kriegsgefangenen

Schreiben eines Bischofs an einen auf väterlichen Willen eingesetzten König mit der Bitte, von Franken und Alemannen gemachte Kriegsgefangene wieder in ihre Heimat zurückkehren zu lassen.

[ohne Titel]

Dem übermächtigen Herrn und ruhmreichen, an königlichen Insignien alles überragenden Sohn der Kirche, dem unfehlbar im katholischen Glauben rechtgläubigen König Soundso^{1 Es dürfte sich um Karlmann († 771) gehandelt haben.} sendet der Soundso^{2 Es dürfte sich um Erzbischof Hermenarius von Bourges gehandelt haben, der am Konzil von Rom 769 teilnahm (MGH Conc. 2,1, S. 80).} einen Gruß im Herrn^{3 Frühmittelalterliche Briefkommunikation diente neben dem Austausch von Nachrichten oft auch der Versicherung des gegenseitigen Wohlwollens und der Stärkung sozialer Bande. In ihrer Gestaltung folgten die Briefe häufig bestimmten Konventionen, wie dem Lob des Empfängers und der Betonung der eigenen humilitas (Bescheidenheitstopos). Ihr Stil war oft vom Bemühen geprägt, die eigene Bildung durch die Demonstration der sprachlichen Fähigkeiten zur Schau zu stellen. Darüber hinaus konnte der eigene Status auch durch den Verweis auf persönliche Verbindungen und Einflussmöglichkeiten unterstrichen werden. Diskretere inhaltliche Belange wurden dagegen zumeist den die Briefe überbringenden Boten in mündlicher Form anvertraut. Vgl. dazu B.-J. Schröder, Bildung und Briefe, S. 150-156; V. Scior, Vergegenwärtigung; F.-L. Ganshof, Merowingisches Gesandtschaftswesen, S. 174-182.}.

Sagt dem allmächtigen Gott des Himmels unermesslichen Dank, dass er Euch entsprechend dem Wunsch^{4 Das vultum steht hier mit einiger Sicherheit für ein votum, wie schon K. Zeumer, Formulae, S. 173 vermutet hat.} der allerfrommsten Ergebenheit vieler Gottesfürchtiger und gemäß dem Willen Eures berühmten Vaters^{5 Wohl Pippin der Jüngere († 768). Kurz vor seinem Tod teilte Pippin das Reich unter seinen Söhnen Karl (der Große) und Karlmann auf, wobei Karlmann unter anderem die Herrschaft über den östlichen Teil des Reiches, darunter Alemannien und einen Teil des eben unterworfenen Aquitaniens, erhielt. Vgl. Annales regni Francorum a. 768-769; Fredegarii Continuationes c. 53-54.} in diesen Zeiten die Lenkung des Reiches übergab, indem er nicht wenige Nacken von Völkern rasenden Gemüts^{6 In Verbindung mit saevire „toben“, „wüten“, „rasen“ könnte man die gentes auch biblisch als „Heiden“ lesen. Zur Wahrnehmung heidnischer Völker durch christliche Autoren im 8. und 9. Jhd. als wild, grausam und tierhaft mit einer Neigung zu Wut und Zorn vgl. S. Patzold, Wahrnehmen und Wissen.} unter Eure Macht beugte und die Streitigkeiten mit den übrigen auf beiden Seiten beilegte. Daher mögt Ihr, auf dass sich das Vermögen Eures Lohns zu Beginn der Herrschaft bis zum Himmel erstrecke, gleichsam das befehlen, was Euer allerehrwürdigster Vater, Bischof Soundso, persönlich Euren frommen Ohren darlegte, [nämlich] die Rückkehr der Gefangenen, die Alemannen oder Franken beim ruchlosen Kampf der Beute^{7 Hochrangige Kriegsgefangene wurden im frühen Mittelalter häufig als Geiseln gehalten. Die Geiselhaft konnte dabei auch zur Akkulturation und Christianisierung der Gefangenen dienen, wie etwa das Beispiel sächsischer Gefangener zur Zeit Karls des Großen zeigt (vgl. dazu D. Hägermann, Karl der Große, S. 474-478). Für Kriegsgefangene gab es auch die Option des Freikaufes durch die eigene Familie oder auch die Kirche. Vgl. dazu H. Grieser, Sklaverei, S. 166-190. Zur Kriegsgefangenschaft im frühen Mittelalter allgemein vgl. K. Jankrift, Aus der Heimat in die Fremde.} zugeführt hatten, damit diese zu [ihrem] Geburtsort zurückkehren^{8 E. Rozière, Recueil 2, S. 1005, dem sich K. Zeumer, Formelsammlungen, S. 81 anschloss, vermutete, dass es sich bei dem Dokument ursprünglich um eine Bittschrift an Ludwig den Frommen († 840) nach dessen Einsetzung als König in Aquitanien 781 gehandelt habe, mit der die Freilassung von Gefangenen des fränkischen Kriegszugs von 769 erbeten worden sei. Bourges war jedoch bereits 762 von Pippin dem Jüngeren erobert worden und befand sich bis zum Ende der Kämpfe 769 fest in fränkischer Hand. 768 teilte Pippin kurz vor seinem Tod das Reich unter seinen Söhnen Karl (dem Großen) und Karlmann auf, wobei Letzterem unter anderem die Herrschaft über Alemannien und einen Teil Aquitaniens zufiel. Es dürfte sich also beim Adressaten dieses Schreibens um Karlmann gehandelt haben, von dem die Freilassung der 762 gemachten Gefangenen erbeten wurde. Vgl. zu den Ereignissen Annales regni Francorum a. 762-769 und Fredegarii Continuationes c. 41-54. Zur Reichsteilung vgl. E. Ewig, Überlegungen, S. 237-239, jedoch ohne Ausführungen zu Aquitanien; M. Rouche, Remarques sur la géographie, S. 15, wonach Bourges im Reichtsteil Karlmanns lag. P. Classen, Karl der Große und die Thronfolge, S. 130 mit Anm. 92, lehnt dagegen den Bericht des Fredegarfortsetzers über die Teilung Aquitaniens ab, da Karlmann sich am Feldzug Karls nach Aquitanien 769 nicht beteiligt habe und Aquitanien damit wohl vollständig zum Reichtsteil Karls zu rechnen sei.}, so dass Ihr es Euch verdient, in solchem Maße, wie Euer Reich und Eure Herrschaft erblühen, auf ewig als Verdienst den Lohn beim Herrn zu empfangen.