Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Marculf I,7 (deu)

Bittschreiben an den König bezüglich der Bestimmung eines neuen Bischofs

Bittschreiben der Bürger einer commune an den König zur Einsetzung einer bestimmten Person als Bischof.

VII WILLENSERKLÄRUNG^{1 Der Begriff consensus erscheint in erzählenden Texten aus dem frühmittelalterlichen Gallien häufig als eine Art terminus technicus: Auch bei Gregor von Tours (†594) wird beispielsweise das Dokument, mit dem die (kanonische) Wahl eines neuen Bischofs dem König angezeigt wurde, consensus genannt. Er berichtet über die Erhebung seines Amtsvorgängers Euphronius († 573), das Volk habe dem König seine Wahl in einem consesus mitgeteilt (Gregor von Tours, Historiarum libri X IV, 15): „Als die Touroner aber hörten, dass der König aus dem Kampf mit den Sachsen heimgekehrt war, fertigten sie zugunsten des Priesters Euphronius einen consensus aus und begaben sich zu ihm (dem König)“ (Turonici autem audientes regressum fuisse regem de caede Saxonum facto consensu in Eufronio presbitero ad eum pergunt). Sowohl R. Buchner, Gregor von Tours, S. 215 als auch G. Scheibelreiter, Bischof, S. 102 schlagen dementsprechend „Wahlurkunde“ als Übersetzung von consensus vor. Die ältere Übersetzung bei W. Giesebrecht, Zehn Bücher Fränkischer Geschichte, S. 167 gibt den consensu in Eufronio presbitero erklärend als „Urkunde, daß sie den Priester Eufronius zu ihrem Bischof gewählt hätten“ wieder. In der karolingischen Vita des Bischofs Desiderius von Cahors (BHL 2143) wird das entsprechende Dokument in Desiderius’ Fall allerdings als suggestio civium bezeichnet (MGH SS rer. Merov. 4, S. 571). Grundlage für diese offenbar dezidiert gallische Begriffsentwicklung dürfte die ältere Tradition gewesen sein, nach der eine Bischofswahl durch acclamatio und consensus der Bürger ihre Rechtskraft erhielt. Kaiser Honorius (†423) bestand 419 darauf, dass derjenige zum Bischof geweiht werden sollte, den der universitatis consensus gewählt hätte: ille solum in sede apostolica permansurum, quem ex numero clericorum noua ordinatione diuinum iudicium et uniuersitatis consensus elegerit (Collectio Avellana, Ep. 37). Zum consensus vgl. auch D. Claude, Bestellung, S. 22-27; für consensus und Wahl G. Bartelink, Electio, S. 556-559; zur Bischofswahl und der Rolle von König und Volk G. Scheibelreiter, Bischof, S. 149-156. Eine interessante Verwendung von concessio im Zusammenhang mit einer Amtsübernahme findet sich zudem in einem Kapitular (MGH Capit. 2, Nr. 282) Karls des Kahlen († 877) vom Ende seiner Regierungszeit. Der Kaiser erhebt den Sohn eines Grafen per concessionem zu dessen Nachfolger (et ipse filius eius per nostram concessionem de illius honoribus honoretur).} DER BÜRGER BEZÜGLICH DES BISCHOFSAMTES

An den allerfrommsten und vortrefflichsten Herrn Soundso, dem wir dies zutragen müssen, [unseren] König und Oberherrn für die Gemeinde Soundso^{2 Es muss offenbleiben, ob es sich beim seniore commune illo um den König oder um eine weitere, unbekannte, Person handelt.}, von euren Knechten, deren Unterschriften und Zeichen unten ergänzt und festgehalten sind. Die umsichtige Milde eurer Fürstlichkeit versteht es, denen, die Gerechtes begehren, dies wohlwollend durch ihre Entscheidung bezüglich der Lenkung zu bestätigen, die, vor allem, wenn es durch eine allgemeine Bitte mit der Stimme aller gemeinsam gefordert wird, erwägt, was der Leitung der heimischen Kirche beständig nützen mag, was auch derselben königlichen Milde gleichermaßen zu Heil und Lohn verhelfen soll.

Nachdem nun der vir apostolicus Soundso heiligen Angedenkens, Bischof der Stadt Soundso, als sein Ende kam, von diesem Licht schied und sich der Lauf der Natur erfüllte, bitten wir^{3 Die Wahl des Bischofs erfolgte nicht durch die gesamte Gemeinde, sondern durch die Vertreter der Hauptkirchen sowie die cives, Angehörige der Oberschicht der civitas. D. Claude, Bestellung, S. 19-22.} demütig, damit die Schafe nicht – was fern sei –, weil der Hirte verschied, unbehütet zurückbleiben, dass Ihr es für angemessen haltet, den vir illuster Soundso – oder den vir venerabilis Soundso^{4 Im Gegensatz zum für geistliche Würdenträger reservierten vir venerabilis wurden mit vir inluster ausschließlich weltliche Große bedacht (vgl. dazu E. Jerg, Vir venerabilis, S. 182f.; H. Reimitz, Viri inlustres, S. 139–141). Die Besetzung von Bistümern mit Laien war in der Merowingerzeit, entgegen den kanonischen Regeln, gängige Praxis. Eine Weihe zum Priester fand in der Regel statt. Vgl. dazu D. Claude, Bestellung, S. 42-49.} – als Nachfolger auf den Bischofsstuhl des Soundso einzusetzen^{5 Gemäß kanonischem Recht war der Bischof von Klerus und Volk zu wählen und von Metropolitanbischof und Mitbischöfen zu weihen. In der Merowingerzeit avancierte das Königtum, trotz anhaltendem synodalen Widerstandes, zur zentralen Instanz bei der Besetzung von Bistümern und schaltete sich mittels des Konsekrationsdekretes zwischen Wahl und Weihe. Abgeleitet wurde der königliche Anspruch aus der Pflicht des Herrschers, Sorge für das Wohlergehen der Kirche zu tragen. Vgl. dazu D. Claude, Bestellung, S. 16-67; G. Scheibelreiter, Bischof, S. 128-166.}, bei dem man erhabene Klarheit, den freien Stand der Geburt^{6 Die Betonung des Rechtsstandes der freien Geburt (ingenuitas nationis), im Gegensatz zur Betonung des Adels in Marculf I,6 (nobilitas ordo sublimat) deutet an, dass der gallische Episcopat keine dem Hochadel vorbehaltene Domäne war. Vgl. zu diesem Problem G. Scheibelreiter, Bischof, S. 28-35; S. Patzold, Zur Sozialstruktur; S. Patzold, Bischöfe im Gallien der Transformationszeit; einordnend S. Scholz, Die Merowinger, S. 23-29.}, ein einnehmendes Auftreten, Umsicht in Bezug auf die Keuschheit und Wohlstand zugunsten der Nächstenliebe^{7 Die soziale Fürsorge für Witwen und Waisen, Arme, Kranke, Gefangene und Waisen zählte zu den zentralen Aufgaben eines Bischofs (vgl. zu diesen Aufgaben des Bischofs J. Durliat, Attributions civiles; zum caritas-Ideal der Bischöfe M.-L. Laudage, Caritas und Memoria, insb. S. 114-120). Seine Tätigkeit in diesem Bereich war vor allem dann lobenswert, wenn sie über den von spätantiker Gesetzgebung und Konzilien gesetzten Rahmen hinausging und sich auf Spenden aus dem Eigengut des Bischofs stützte (vgl. zur bischöflichen caritas M. Heinzelmann, Bischofsherrschaft in Gallien, S. 152 und 162-166).} findet.

Wir haben beschlossen, diese Willenserklärung^{8 Der Begriff consensus scheint sich im fränkischen Gallien zu einem terminus technicus für Schreiben, mit denen die Zustimmung zu einer Bischofswahl ausgedrückt wird, entwickelt zu haben. Ausgestellt nach der Wahl durch Klerus und Volk stellte das consensus-Schreiben die Bestätigung der Wahl und damit die Legitimation des Kandidaten dar. Konzilien der Merowingerzeit betonten wiederholt die Bedeutung des consensus für die Bischofswahl. Angesichts des königlichen Einflusses besaßen die Schreiben jedoch weniger verbindlichen als mehr empfehlenden Charakter (daher wohl auch die gelegentliche Bezeichnung als suggestio). Vgl. dazu G. Bartelink, Electio, S. 557-558; D. Claude, Bestellung, S. 22-26; S. Patzold, Konsens und Consensus, S. 274-289.} von unserer Hand unverbrüchlich zu bekräftigen.