Formulae - Litterae - Chartae: Leseumgebung

Flavigny Ko 2 (deu)

Übergabe von Landgütern nach einer Schenkung

Übergabe mittels Tür und Tor der einem Kloster geschenkten Landgüter durch den Schenker an einen Mönch, mit förmlichem Eigentumsverzicht mittels Faden und Halm.

ÜBERTRAGUNG^{1 Das Stück ist nur in Ko2 überliefert. K. Zeumer, Formulae, S. 492 ediert den Text als Additamentum 6 seiner Edition des Formelmaterials aus Flavigny nach der barocken Ausgabe F. Lindenbrog, Codex legum, S. 1287, die unter der Nr. 155 eine leicht abweichende Fassung dieser traditio abdruckt. K. Zeumer, Lindenbruch’sche Handschrift, S. 601 bietet eine erneute Edition auf Basis von Ko2 (Sigle Zeua). Das Dokument weist zahlreiche Parallelen zu Flavigny Pa 9 auf.}

Belegschreiben für die Übertragung^{2 Im römischen Recht bezeichnet die traditio die zumeist öffentlich vollzogene, formfreie Übergabe einer Sache durch den Eigentümer zum Übereignungszweck. Im frühen Mittelalter scheint sie konstitutiver Bestandteil der Eigentumsübertragung gewesen, jedoch häufig bei Kaufverträgen mit der Zahlung des Preises zusammengefallen und nicht mehr beurkundet worden zu sein. Vgl. dazu M. Kaser, Das römische Privatrecht I, S. 351f. und M. Kaser, Das römische Privatrecht II, S. 274f. und 278-284; J. Gaudemet, Survivances romaines, S. 181-188.} eines Ortes, welcher Art sie ist und in wessen Gegenwart sie vor denjenigen geschah, die unten bestätigt haben.

Ein Mann namens Soundso kam hierhin zu jenen Besitzungen – oder den Landgütern Soundso und Soundso^{3 Die Form illas ist Plural; es ist nicht klar um wie viele Landgüter es geht.}–, die derselbe vor diesem Tage durch sein Schenkungsschreiben an das Kloster Soundso, das zu Ehren der Heiligen Soundso und Soundso^{4 Die Form illorum ist Plural; es ist nicht klar um wie viele Heilige es geht.} errichtet wurde, dem Herr Abt Soundso zusammen mit der Mönchsgemeinschaft vorsteht, zum heutigen Tage abgetreten und bestätigt hat. Der schon benannte Soundso [ ausgefallen]^{5 Der Infinitiv der Konstruktion mit videri ist offenbar ausgefallen. Aufgrund des Kontexts muss es sich um Verben der Übergabe, des Übertragens, des Zusicherns bzw. Bestätigens handeln. K. Zeumer, Formulae, S. 492, der den abweichenden Text der Ausgabe F. Lindenbrog, Codex legum, S. 1287 benutzt, dem die zweite Erwähnung des missus (ad ipso misso) fehlt, und der damit einen anderen Text vorliegen hat, schlägt vor, die Prädikattrias consignavit, tradidit et vestivit der nachfolgenden Konstruktion als Infinitive zu lesen (lege: signavisse etc.).} sie durch Tür und Tor^{6 Die symbolische Übergabe eines ostium findet sich auch in anderen Formeln. In einigen dieser wird das ostium gemeinsam mit dem Türverschluss (anatale) bzw. der Türangel (axatura) übergeben, was deutlich macht, dass es sich tatsächlich beim ostium um eine Tür handeln muss (vgl. Cartae Senonicae 8: per illo ostio vel anaticula de ipsa casa; Cartae Senonicae Appendix 5: per hostium et anatalia; Formulae Extravagantes 23: per hostium et axatoria; Formulae Pithoei CX: per hostium et axatoria; [1]: per hostium et axatoria; [3]: per hostium et axatura). Die symbolische Repräsentation einer größeren Einheit durch einen Bruchteil derselben in Eigentumsangelegenheiten war in Antike und frühem Mittelalter weit verbreitet (vgl. etwa Plinius, Naturalis Historiae Libri 22,4) und findet sich auch im römischen Recht (etwa Gaius, Institutiones IV,17; Codex Theodosianus 8,12,2; Codex Justinianus 8,53,26; vgl. dazu C. Pharr, The Theodosian Code, S. 213 Anm. 17) und den Leges (etwa Lex Alamannorum 81). Die sogenannte ideelle Auflassung durch die Verwendung von entsprechenden Grundstückssymbolen im Rahmen der Übereignung (traditio) findet sich etwa im alemannischen Raum noch bis ins Spätmittelalter und fand in England als livery of seisin Eingang in die Common Law. Vgl. dazu M. Thévenin, Textes relatifs aux institutions privées et publiques, S. 263f.; D. Joswig, Die germanische Grundstücksübertragung, S. 150-165; D. Werkmüller, Traditio, Sp. 296;} und auch durch jene Schenkung an den Abgesandten des oben genannten Klosters und jenes genannten Abtes Soundso; alles und in allem, so viel, wie in jenem Schreiben erwähnt und aufgezeichnet ist, übereignete [und] übergab er an denselben Abgesandten und setzte ihn ein^{7 Hier vestire = investire.}, und mit seinem Faden^{8 Welches Objekt genau benutzt wird, lässt sich aus dem Kontext nicht erschließen. Die Form pilo kann sowohl Ablativ von pilus „Haar“ als auch pilum „Speer“ sein. Du Cange, Bd. 6, col. 324b fast pilo in diesem Kontext als Ablativ zu pilus auf und versteht pilus in diesem Zusammenhang als pilus vestimenti d.h. „Faden“, K. Zeumer, Lindenbruch’sche Handschrift, S. 602, der Formulierung anhand von Lin Nr. 155 diskutiert, hält die Du Cangsche Lesart für sehr plausibel.} und Halm^{9 Der Druck von F. Lindenbrog, Codex legum, S. 1287 hat „mit Türpfosten und Halm“ (per durpilum et festucam), was K. Zeumer, Lindenbruch’sche Handschrift, S. 601 als „auf einem Versehen Lindenbruchs beruhend“ wertet und verwirft. Ob es sich bei der festuca um einen Halm oder einen Stab handelte, ist unklar. Zumindest bei der in anderen Zusammenhängen belegten festuca notata scheint es sich jedoch um einen Stab gehandelt zu haben, an dem Zeichen (etwa Kerben) angebracht wurden. Vgl. dazu K. v. Amira, Der Stab, S. 145f. und 150. Das Werfen oder die Übergabe der festuca vor Zeugen symbolisierte einen Akt des Verzichtes oder Lossagens, das Greifen der festuca dagegen des Akzeptierens und in-Verantwortung-Nehmens. Vgl. P. S. Barnwell, Action, Speech and Writing, S. 21f.; W. Müller, Fertigung, S. 29-31. Die symbolische Repräsentation einer größeren Einheit durch einen Bruchteil derselben in Eigentumsangelegenheiten war in Antike und frühem Mittelalter weit verbreitet (vgl. etwa Plinius, Naturalis Historiae Libri 22,4) und findet sich auch im römischen Recht (etwa Gaius, Institutiones IV,17; Codex Theodosianus 8,12,2; Codex Justinianus 8,53,26; vgl. dazu C. Pharr, The Theodosian Code, S. 213 Anm. 17) und den Leges (etwa Lex Alamannorum 81). Die sogenannte ideelle Auflassung durch die Verwendung von entsprechenden Grundstückssymbolen im Rahmen der Übereignung (traditio) findet sich etwa im alemannischen Raum noch bis ins Spätmittelalter und fand in England als livery of seisin Eingang in die Common Law. Vgl. dazu M. Thévenin, Textes relatifs aux institutions privées et publiques, S. 263f.; D. Joswig, Die germanische Grundstücksübertragung, S. 150-165; D. Werkmüller, Traditio, Sp. 296; W. Ogris, Übereignung, Sp. 400; W. Ogris, Auflassung, Sp. 340; W. Müller, Fertigung, S. 25f.} erklärte er, dass er^{10 Das sibi steht hier hyperkorrekt für ein se vgl. dazu P. Stotz, Handbuch 4, VIII, §57.2f., S. 123.} davon ausgeschieden sei, in jeder Hinsicht fremd ist und verzichtet hat^{11 Es handelt sich um einen von dixit et fecit abhängigen ACI mit einer Ellipse, lies se exitum [esse]. K. Zeumer, Formulae, S. 490 hat das Fehlen eines esse ebenfalls bemerkt und se zu esse verbessert.}, und warf sie weg^{12 Das Verb verpire/werpire (wirpivit = werpivit) ist aus dem althochdeutschen werpan = werfan „werfen“ abgeleitet, vgl. ChWdW 9, S. 1039. In der Bedeutung „wegwerfen“, d.h. „aufgeben“ findet sich werpire als guerpire auch im Altfranzösischen.}.

In deren Gegenwart geschah es da und da^{13 Der Druck von F. Lindenbrog, Codex legum, S. 1287 hat zusätzlich noch den noch aus anderen Formeln bekannten Hinweis et reliqua.}:

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